# taz.de -- Antisemitismus bei der Documenta: Schweinerei auf Bildern
       
       > Ein Gemälde wird in Kassel wegen antisemitischer Motive abgebaut.
       > Kritiker sind entsetzt darüber, dass es das Werk überhaupt auf die
       > Schau schaffte.
       
 (IMG) Bild: Die „People's Justice“ Figurendarstellung des Kollektivs Taring Padi wird in Kassel verhüllt
       
       KASSEL/BERLIN taz | Man muss sich erst einmal ungläubig die Augen reiben.
       Tatsächlich sind diese Bilder entrollt worden: Auf dem zentralen
       Friedrichplatz in Kassel, dem Hauptspielort der Documenta 15, ist ein mit
       [1][antisemitischen Figuren gespicktes Bildwerk] präsentiert worden. Hier
       also, wo am Samstagabend mit Konzerten und Performances ein „Dialog der
       Kulturen“ gefeiert werden sollte, hing offen antisemitisches Bildwerk. Am
       Dienstagabend sollte es nach scharfer Kritik wieder abgebaut werden.
       
       Das Werk namens „People’s Justice“ des indonesischen Kollektivs Taring Padi
       zeigte im Gewimmel eines metergroßen Protestbanners einen Zigarre
       rauchenden Geschäftsmann. Er hat Wolfszähne und blutunterlaufene Augen,
       Hakennase, Brille und Schläfenlocken. Auf seinem Melonenhut ist das
       Doppelrunen-Zeichen der SS erkennbar. Mag das Werk auch zwanzig Jahre alt
       sein und mit seiner agitatorischen, karikaturenhaften Bildsprache im gerade
       von Diktator Suharto befreiten Indonesien die freie Meinungsäußerung einer
       lang unterdrückten Gesellschaft bekunden: Es bedient antisemitische Motive,
       vom Verschwörungsnarrativ des Juden als Strippenzieher und Finanzjongleur
       hinter der Macht.
       
       Ihr Werk stehe „in keiner Weise mit Antisemitismus in Verbindung“, erklärte
       hingegen Taring Padi am Montagabend. „Wir sind traurig darüber, dass
       Details dieses Banners anders verstanden werden als ihr ursprünglicher
       Zweck.“
       
       Doch „People’s Justice“ bedient noch weitere antisemitische Codes: Hinter
       dem Rauchenden mit SS-Hut drängt aus einer uniformierten Hundertschaft ein
       Schwein mit Rüssel hervor, „Mossad“ steht auf seinem Helm, ein Davidstern
       auf seinem roten Halstuch.
       
       ## Wie konnte es soweit kommen?
       
       Nach scharfer Kritik von der Bundesregierung, der hessischen
       Landesregierung und dem Zentralrat der Juden sollte das Werk, nachdem es am
       Montag erst verhüllt wurde, am Dienstag abgebaut werden.
       Kulturstaatsministerin Claudia Roth und die hessische Kunstministerin
       Angela Dorn (beide Grüne) warfen dem Künstlerkollektiv Taring Padi eine
       „antisemitische Bildsprache“ vor.
       
       Aber wie konnte es überhaupt so weit kommen? Schon vor einem halben Jahr
       kamen Bedenken auf, ob nicht auf dieser Documenta mit über 50 geladenen
       Künstlerkollektiven auch die Gefahr antisemitischer Äußerungen bestehen
       könnte, dass hier vielleicht die Kontrolle darüber verloren werden könnte,
       aus welchem politischen Kontext einige Gruppen in ihren lokalen, außerhalb
       von Europa liegenden Wirkungsorten kommen. Selten hat eine Documenta im
       Vorfeld eine so heftige Debatte hervorgerufen wie diese. Die indonesische
       Kurator:innengruppe Ruangrupa und die Generaldirektorin der
       Documenta, Sabine Schormann, hatten aber Zweifel stets abgewehrt.
       
       Im Fokus stand zuletzt die palästinensische Künstlergruppe The Question of
       Funding. Ihr Beitrag zur Documenta sorgte für Kritik: Er zeigt unter
       anderem Fotocollagen mit Anspielungen auf Pablo Picassos weltbekanntes Werk
       Guernica. Israelische Soldaten greifen darauf palästinensische Bauern an.
       Auch hier wird bildlich die Parallele zwischen dem nationalsozialistischen
       und dem israelischem Staat aufgemacht.
       
       ## Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des Dialogs
       
       Von dem Protestbanner der Gruppe Taring Padi war jedoch bis dahin keine
       Rede. Denn „People’s Justice“ war bei dem Presserundgang auf dem
       Friedrichsplatz noch gar nicht zu sehen. Erst am Freitag wurde es
       aufgebaut, „nachdem notwendige restauratorische Maßnahmen aufgrund von
       Lagerschäden an der 20 Jahre alten Arbeit durchgeführt wurden“, heißt es in
       einer Stellungnahme von Schormann. In Kassel sei es „die erste Präsentation
       des Banners in einem europäischen und deutschen Kontext“ gewesen.
       
       Doch trotz der Kritik im Vorfeld wurde offensichtlich nicht verstärkt
       darauf geachtet, was für Bilder auf der Documenta 15 gezeigt werden
       sollten, welche Botschaften auf der internationalen Kunstschau verbreitet
       werden. Schormanns Reaktion blieb zunächst mager: „Die Geschäftsführung der
       Documenta ist keine Instanz, die sich die künstlerischen Exponate vorab zur
       Prüfung vorlegen lassen kann und darf das auch nicht sein.“
       
       Mit der Verhüllung hofften Taring Padi, eine Debatte in Gang zu bringen.
       „Das Werk wird nun zu einem Denkmal der Trauer über die Unmöglichkeit des
       Dialogs in diesem Moment“, hatte das Kollektiv noch erklärt. Doch in welche
       Richtung sich diese Diskussion nun nach dem Abbau des Werks entwickelt, ist
       unklar – ebenso, welche Rolle die Verantwortlichen bei der Documenta darin
       spielen werden.
       
       21 Jun 2022
       
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