# taz.de -- Ausbeutung in der Landwirtschaft: Das kaputte Zertifikat
       
       > Wird unser Obst und Gemüse unter guten Arbeitsbedingungen geerntet? Ja,
       > sagen die Supermärkte. taz-Recherchen zeigen ein anderes Bild.
       
       Fünf verdreckte Toiletten für rund zweihundert Menschen. Überfüllte
       Bungalows, keine Dusche, mitten in der [1][Pandemie]. Unter diesen
       Bedingungen leben Männer und Frauen, die in Südfrankreich Aprikosen,
       Nektarinen und Pfirsiche ernten. Obst, das in den Einkaufswagen deutscher
       Verbraucher landet. Sie gehen davon aus, dass die Supermärkte, in denen sie
       einkaufen, angemessene Arbeitsbedingungen bei ihren Lieferanten
       garantieren.
       
       Verlierer sind Arbeiter und Arbeiterinnen, wie jene, die in den überfüllten
       Bungalows des Unternehmens Earl Racamier wohnen müssen. Mitte August
       vergangenen Jahres hat die taz die Farm in Südfrankreich besucht. Mitten in
       der Pandemie herrschen hier katastrophale sanitäre Zustände. Zeitweise gibt
       es gar kein fließendes Wasser.
       
       Bereits Anfang Mai hatte die Präfektur Bouches-du-Rhône deshalb vier der
       Bungalows geschlossen. Die meisten, die dort leben, kommen aus Marokko,
       Westafrika oder Lateinamerika. Angestellt sind sie über die spanische
       Leiharbeitsfirma Terra Fecundis.
       
       Eine Frau aus Paraguay sagt der taz, sie sei nach einer Nacht abgereist.
       Die Wohn- und Arbeitsverhältnisse hätten ihr Angst gemacht. „Meine Matratze
       war voller Urin, Blutflecken und Fäkalien. Ich musste sie desinfizieren und
       drei Bettlaken darüberlegen, um darauf zu schlafen.“
       
       ## Wie verlässlich ist das Zertifikat?
       
       [2][Earl Racamier exportiert nach eigenen Angaben] 30 Prozent seiner
       Pfirsiche, Äpfel, Nektarinen und Aprikosen nach Deutschland, Belgien und in
       die Schweiz. In der Regel ahnen die Käufer*innen nicht, was für Zustände
       auf der Plantage herrschen, denn das Unternehmen stützt sich auf einen
       gewichtigen Fürsprecher: Global G.A.P. – den nach eigenen Angaben
       weltgrößten Zertifizierer von Lebensmitteln und Aquakultur. G.A.P., das
       steht für Good Agricultural Practice.
       
       Seit mehreren Jahren recherchieren wir zu Arbeitsausbeutung in der
       spanischen und französischen Landwirtschaft. Es geht, wie bei Earl
       Racamier, häufig um menschenunwürdige Unterbringung, aber auch um
       Unterlaufen des Mindestlohns, um fehlende Coronaschutzmaßnahmen für
       Erntehelferinnen, körperliche Misshandlung und sexuelle Belästigung.
       
       Immer wenn wir Supermärkte mit Zuständen konfrontieren, die auf den Feldern
       ihrer Lieferanten herrschen, bekommen wir ähnlich lautende Antworten: Man
       nehme die Vorwürfe sehr ernst, wolle aber hinzufügen, dass alle Produzenten
       zertifiziert seien – durch Global G.A.P. Aber wie verlässlich ist das
       Zertifikat?
       
       Die taz hat ein halbes Dutzend Vorfälle recherchiert, in denen teils
       schwerwiegende Vorwürfe gegen Produzenten in Frankreich und Spanien im Raum
       standen oder die sich bereits in Gerichtsverfahren befanden, während sie
       weiter durch Global G.A.P. zertifiziert wurden.
       
       Global G.A.P. schreibt auf Anfrage, dass man jede Missachtung der
       Arbeitnehmerrechte und grundsätzlich jeden sozialen Missbrauch aufs
       Schärfste verurteile. „Gleichzeitig müssen wir hervorheben, dass es sich
       bei den meisten von Ihnen genannten Vorfällen um kriminelle Handlungen
       handelt, die außerhalb des Anwendungsbereichs aller Zertifizierungssysteme
       liegen“, so eine Sprecherin des Global-G.A.P.-Sekretariats. Auf Fragen zu
       konkreten Fällen, wie dem von Earl Racamier, geht das Unternehmen nicht
       ein.
       
       ## Eines der größten Lebensmittelsiegel der Welt
       
       Anders als Fairtrade oder Rainforest Alliance ist Global G.A.P. kein
       Siegel, das sich an den Endverbraucher richtet. Auf den Aprikosen oder der
       Schachtel Erdbeeren, die man im Supermarkt in seinen Wagen legt, findet
       sich kein erkennbares Logo. Alle Global-G.A.P.-zertifizierten Produkte
       tragen allerdings eine Nummer – meist ist sie neben dem Barcode
       aufgedruckt. Wer die Nummer in [3][die Datenbank von Global G.A.P.]
       eingibt, kann nachvollziehen, von welchem Produzenten das Gemüse oder Obst
       stammt.
       
       Während manche Siegel staatlich sind, wie etwa das EU-Bio-Siegel, ist
       Global G.A.P. ein privates Unternehmen, das auf eine Initiative
       europäischer Supermarktketten aus dem Jahr 1997 zurückgeht. Der Fehler ist
       also von Beginn an angelegt: Die Supermärkte kontrollieren sich quasi
       selbst. Heute ist Global G.A.P. eines der größten Lebensmittelsiegel der
       Welt und zertifiziert Betriebe im Bereich Nutzpflanzen, Viehzucht und
       Aquakultur. Sein Sitz liegt in Köln, aber das Unternehmen ist nach eigenen
       Angaben in mehr als 135 Ländern vertreten. Dabei arbeitet es mit
       sogenannten Zertifizierungsstellen zusammen, eigenständigen Unternehmen,
       die für Global G.A.P. vor Ort Kontrollen durchführen.
       
       Möchte ein Betrieb zertifiziert werden, zahlt er dafür Geld, etwas mehr als
       1.500 Euro im Jahr. Während das Label ursprünglich gegründet wurde, um
       Standards zu Fragen der Hygiene, Rückverfolgbarkeit und
       Umweltverträglichkeit zu garantieren, soll es heute auch die Gesundheit und
       Sicherheit der Arbeiter gewährleisten. Diese Bewertung ist seit Oktober
       2020 verpflichtend und nennt sich „Global G.A.P. Risk Assessment on Social
       Practices“, kurz GRASP.
       
       ## Todesursache: Dehydrierung
       
       An einem heißen Tag im Juli 2011 bricht der 32-jährige [4][Elio Maldonado]
       in einem Gewächshaus auf der Plantage SARL Les Sources zusammen. Viele
       Stunden soll der Ecuadorianer Melonen geerntet haben – ohne etwas trinken
       zu dürfen. Die Verantwortlichen sollen keinen Rettungswagen gerufen,
       sondern ihn erst nach eineinhalb Stunden ins Krankenhaus gefahren haben.
       Dort stirbt er. Todesursache: Dehydrierung. Die Familie von Elio Maldonado
       klagt. Das Gerichtsverfahren zieht sich über unglaubliche neun Jahre hin.
       Im Mai 2020 endet es mit einem Freispruch für den Manager von SARL Les
       Sources, Julian P. Die Familie geht in Berufung. Doch es bleiben nicht die
       letzten Ermittlungen gegen den Landwirt.
       
       Der taz liegt ein Dokument der Polizei in Saint-Rémy-de-Provence vor, aus
       dem hervorgeht, dass Julian P. und seine Frau die berüchtigte
       Zeitarbeitsfirma Terra Fecundis mitgegründet haben, auf die wir bereits im
       Fall von Earl Racamier gestoßen sind. Auch der verstorbene Elio Maldonado
       war über Terra Fecundis angestellt. Die spanische Firma schickt jedes Jahr
       rund 2.000 Arbeitsmigrant*innen zur Erntesaison auf französische
       Felder. Weil sie diese in Spanien registriert, muss sie ihnen weniger
       zahlen. Wie Sklaven seien sie behandelt worden, sagt ein Arbeiter dem
       Fernsehsender [5][France 2].
       
       Seit 2010 steht die Firma bereits unter Beobachtung der Behörden: Terra
       Fecundis soll den französischen Staat um 112 Millionen Euro
       Sozialversicherungsbeiträge betrogen und illegal Leiharbeiter
       weitervermittelt haben. Das wäre der größte bekannte Fall von Sozialbetrug
       in Frankreich. Aus dem Dokument, das der taz vorliegt, geht hervor, dass
       nun gegen Julian P. und seine Frau unter anderem wegen bandenmäßigen
       Sozialbetrugs ermittelt wird. Im November 2020 sollte das Gerichtsverfahren
       endlich beginnen, nun wurde es erneut auf Mai 2021 verschoben.
       
       Global G.A.P. stellt SARL Les Sources, dem anderen Unternehmen von Julian
       P., Ende September 2020 trotzdem erneut ein Zertifikat aus. Laut diesem
       darf es seinen Endiviensalat in alle EU-Länder exportieren. Auch wenn es
       noch kein Gerichtsurteil gegen Julian P. gibt, stellt sich die Frage, ob
       die Zertifizierung eines Produzenten, gegen den strafrechtliche Vorwürfe
       von solcher Erheblichkeit im Raum stehen, nicht zumindest ausgesetzt werden
       sollte.
       
       ## Was bringt das neue Lieferkettengesetz?
       
       Global G.A.P. geht in der Antwort auf unsere Anfrage nicht auf den Fall
       SARL Les Sources ein, sondern schickt uns Auszüge aus dem allgemeinen
       Regelwerk. Dort heißt es: „Eine Suspendierung mit sofortiger Wirkung
       erfolgt, wenn eine ernsthafte Gefährdung für die Sicherheit von
       Arbeitnehmern, Umwelt, Verbrauchern und/oder für die Produktintegrität
       besteht.“
       
       Warum der Tod eines Arbeiters sowie mehrfache strafrechtliche Ermittlungen
       gegen einen Produzenten nicht dazu führen, dass ein solcher Prozess
       ausgelöst wird, beantwortet Global G.A.P. nicht.
       
       Dass Produzenten ein Zertifikat erhalten, obwohl möglicherweise Verstöße
       gegen Menschenrechte vorliegen, sei keine Seltenheit, sagt Sandra Dusch von
       der Christlichen Initiative Romero (CIR). CIR unterstützt die
       [6][Initiative zum Lieferkettengesetz].
       
       Anfang Februar wurde ein erster Entwurf für das Gesetz öffentlich. Demnach
       sollen deutsche Unternehmen grundsätzlich verpflichtet werden, entlang
       ihrer Lieferkette die Einhaltung von Umweltstandards und Menschenrechten zu
       gewährleisten. Auch Bußgelder sind vorgesehen. Doch es ist fraglich, ob man
       Supermarktketten nachweisen kann, dass sie von Menschenrechtsverletzungen
       wussten, zumal, wenn sie auf Zertifikate wie Global G.A.P. verweisen
       können.
       
       CIR hat Zertifikate und Siegel aus der Lebensmittel- und Textilbranche
       untersucht und geprüft, inwiefern sie die Arbeitsbedingungen vor Ort
       verbessern. [7][Dabei schnitt Global G.A.P. schlecht ab].
       
       ## Andere Siegel machen es besser
       
       Die sozialen und ökologischen Kriterien seien unzureichend, befindet die
       NGO. „Existenzsichernde Löhne und eine faire Beschaffungspolitik werden
       nicht gefordert, lokale Akteur*innen nicht hinreichend einbezogen“, so
       die Begründung. Den Unternehmen werde die Einhaltung der
       menschenrechtlichen Sorgfaltspflicht empfohlen, aber die Umsetzung nicht
       systematisch geprüft.
       
       Es sei ein sich selbst genügendes System, das nicht mit anderen
       Informationsquellen verknüpft sei, sagt Sandra Dusch. Mit anderen Worten:
       Wird über Vorwürfe gegen einen Produzenten in einem Zeitungsbericht über
       eine gewerkschaftliche Pressemitteilung berichtet, erreicht diese
       Information den Zertifizierer gar nicht. Auch eine Frage wie: „Gab es in
       den letzten Jahren oder Monaten ein Strafverfahren?“, sei möglicherweise
       nicht Teil der Überprüfungen von Global G.A.P.
       
       Andere Siegel zeigen, dass es besser geht. Das Siegel der World Fair Trade
       Organisation (WFTO) etwa hat ein Meldesystem, in dem alle zertifizierten
       Mitglieder sowie Interessengruppen und auch Journalisten oder
       Journalistinnen Probleme benennen oder Bedenken bezüglich eines
       WFTO-Mitglieds anmelden können.
       
       „Kriminelle Handlungen fallen in den Zuständigkeitsbereich der
       Strafverfolgungsbehörden“, verteidigt sich Global G.A.P. in seiner
       Stellungnahme. Und natürlich ist das richtig. Ein Lebensmittelzertifizierer
       ist nicht die Polizei. Doch ein Blick in das Regelwerk zeigt, dass Global
       G.A.P. die lokalen Kontrollstellen nicht einmal verpflichtet, Vorfälle zu
       melden, wenn Produzenten gegen Gesetze verstoßen.
       
       ## Keine Verpflichtung, Verstöße zu melden
       
       In dem Dokument heißt es: „Die CB [Zertifizierungsstelle] kann
       schwerwiegende Betrugsfälle oder Verstöße gegen gesetzliche Anforderungen
       sowie Verbrechen den zuständigen lokalen/nationalen Behörden melden.“
       Verpflichtet ist sie dazu nicht.
       
       Der taz liegt auch die Checkliste vor, anhand derer vor Ort die Farmen und
       Plantagen überprüft werden. Eine Frage nach laufenden Strafverfahren gegen
       den Produzenten findet sich darin tatsächlich nicht. Ebenso fehlen direkte
       Fragen bezüglich der Unterbringung von Arbeitern oder der sanitären
       Ausstattung der Unterkünfte.
       
       Und so kommt es dazu, dass deutsche Supermärkte teilweise offenbar nicht
       wissen, dass sie von problematischen Lieferanten Obst beziehen.
       
       ## Äpfel und Birnen
       
       Im Jahr 2017 begann vor dem Arbeitsgericht in Arles ein Verfahren gegen das
       Unternehmen Coccolo, die spanische Leiharbeitsfirma Laboral Terra, sowie
       weitere französische Unternehmen. Laboral Terra war eine der wichtigsten
       spanischen Leiharbeitsfirmen in der französischen Landwirtschaft.
       
       Die Klage eingereicht hatten fünf marokkanische und spanische
       Arbeiter*innen. Sie warfen Laboral Terra sowie den landwirtschaftlichen
       Betrieben, mit denen die Firma zusammengearbeitet hatte, unter anderem
       illegale Leiharbeit, betrügerischen Gehaltsabzug und Geldwäsche vor.
       Außerdem sollen sie Überstunden und Urlaub nicht bezahlt und Arbeitsunfälle
       nicht gemeldet haben.
       
       Das Verfahren zog sich über drei Jahre hin. In all diesen Jahren erhielt
       Coccolo, eines der angeklagten Unternehmen, jedes Jahr wieder ein
       Global-G.A.P.-Zertifikat. Für Coccolo war 2019 und 2020 in der Datenbank
       auch eine GRASP-Evaluierung verfügbar, also zu den Gesundheits- und
       Sozialstandards für Arbeiter*innen, mit dem Vermerk „fully compliant“ –
       „vollständig konform“.
       
       Im September 2020 verurteilte das Arbeitsgericht in Arles Laboral Terra und
       acht weitere Unternehmen, darunter Coccolo, unter anderem wegen
       Unterlaufens des Mindestlohns und betrügerischen Lohnabzugs zu
       Strafzahlungen. Das Urteil liegt der taz vor.
       
       Aldi Nord gab auf Anfrage der taz an, in den vergangenen Jahren vereinzelt
       Produkte von Coccolo bezogen zu haben. Vermutlich Äpfel oder Birnen, denn
       die baut das Unternehmen an. „Wir werden Global G.A.P. bitten, die von
       Ihnen geschilderten Verstöße weiter zu untersuchen“, so ein Sprecher.
       
       ## Auslisten und boykottieren?
       
       Man sei sich der Herausforderungen bei dem Anbau von Obst und Gemüse
       bewusst. „Daher führen wir risikoorientiert eigene Produzenten-Assessments
       und Besuche in den für uns relevanten Herkunftsländern durch“, so Aldi. Was
       genau das bedeutet, wie viele solcher Besuche durchgeführt werden und
       anhand welcher Kriterien die besuchten Produzenten ausgesucht werden, teilt
       Aldi nicht mit.
       
       Auch REWE gibt an, saisonal Äpfel und Birnen von Coccolo zu beziehen. Der
       Lieferant habe aber bestätigt, seit 2017 nicht mehr mit der
       Leiharbeitsfirma Laboral Terra zusammenzuarbeiten. „Wir möchten an dieser
       Stelle betonen, dass wir belegte Verstöße gegen Landesgesetze, ILO-Normen
       und Mindestlöhne bei Lieferanten nicht tolerieren und diese bei Nachweis
       sanktionieren – bis hin zur Auslistung“, so eine REWE-Sprecherin. ILO ist
       die Organisation der Vereinten Nationen, die für Arbeitsrecht zuständig
       ist.
       
       Auf den erneuten Hinweis der taz, dass das im Herbst 2020 ergangene Urteil
       sich gegen Coccolo direkt richtet, ging REWE nicht ein.
       
       Auslistung als letzte und härteste Maßnahme ist laut Sandra Dusch von der
       Christlichen Initiative Romero nicht hilfreich. Das sogenannte „cut and
       run“ trage nicht zur Verbesserung vor Ort bei und sei nur für die
       Unternehmen in Deutschland angenehmer: „Dann können sie sagen: Da gab’s ein
       Problem und wir sind direkt rausgegangen.“ Als Reaktion auf [8][Recherchen]
       über sexuelle Belästigung auf Erdbeerplantagen hatte etwa Lidl im Jahr 2018
       Geschäftsbeziehungen zu Lieferanten in Spanien abgebrochen.
       
       ## Mafiöse Strukturen
       
       Ein Boykott könne nur etwas sein, das von Arbeiter*innen vor Ort
       gefordert werde. Meistens sei das aber nicht deren Interesse.
       „Normalerweise sind die auf den Job angewiesen und wollen nur
       menschenwürdige Arbeitsbedingungen“, so Dusch. „Cut and run ist sehr aus
       einer Konsumentenperspektive gedacht.“ Es gehe darum, bei „den Guten“ zu
       kaufen. Dabei bleibe wirkliche Veränderung der Arbeitsbedingungen vor Ort
       auf der Strecke.
       
       Auch die Fälle bei den Leiharbeitsfirmen Laboral Terra und Terra Fecundis
       zeigen, dass es nicht damit getan ist, einzelne Lieferanten auszusortieren.
       Für billiges Obst und Gemüse werden Erntehelfer*innen [9][systematisch
       ausgebeutet]. Immer wieder spielen [10][Leiharbeitsfirmen und
       Vermittlungsagenturen] eine Rolle, die vor allem die wirtschaftliche
       Abhängigkeit von Arbeiter*innen aus Nicht-EU-Ländern ausnutzen.
       Teilweise, so scheint es, haben sich [11][mafiöse Strukturen] entwickelt.
       
       Der französische Soziologie Frédéric Decosse beschäftigt sich seit Jahren
       mit Arbeitsmigration und den Bedingungen in der südfranzösischen
       Landwirtschaft. Laut ihm gehe es bei Global G.A.P., aber auch bei vielen
       anderen Labels, nicht wirklich darum, dass sie gute Arbeitsbedingungen vor
       Ort schaffen. Vielmehr dienten sie als Absicherung zwischen Verkäufer und
       Käufer. „Es geht bei einem solchen Label vor allem darum, einen Zugang zum
       Großhandel zu erhalten und bei den Konsumenten bekannt zu sein“, sagt
       Decosse. „Dafür sind Labels da.“
       
       ## Als wäre nichts gewesen
       
       Wie weit die Bewertung durch Global G.A.P. und die Zustände auf einer
       Plantage auseinander klaffen können, zeigt auch ein Fall aus der spanischen
       Region Huelva.
       
       Fünfzig Euro Miete pro Monat für eine Unterkunft ohne heißes Wasser und
       Waschmaschine hätten die Arbeiterinnen hier bezahlen müssen. Die Toilette
       sei lediglich ein Loch im Boden gewesen. Das berichtete im Juli 2020 die
       [12][Lokalzeitung La Mar de Onuba]. Den Frauen sei gedroht worden für den
       Fall, dass sie sich über die Zustände auf der Farm äußerten.
       
       Auf öffentlichen Druck hin hatte die spanische Arbeitsministerin Yolanda
       Díaz im Sommer letzten Jahres unangekündigte staatliche Kontrollen gegen
       Arbeitsausbeutung und moderne Sklaverei durchgesetzt. Hierbei wurden durch
       die Kontrollbehörden auf der Plantage von Frutas El Curi im Juni
       [13][„ernste“ Missstände] festgestellt.
       
       Trotzdem führte Global G.A.P. das Unternehmen auch noch drei Monate nach
       Bekanntwerden dieser Vorwürfe in seiner Datenbank.
       
       Aldi Nord hat nach eigenen Angaben Beeren von Frutas El Curi bezogen. Auf
       Anfrage der taz schreibt ein Sprecher: „Strafrechtliche Vergehen, wie die
       von Ihnen angeführten, nehmen wir sehr ernst. Deshalb haben wir unsere
       Ansprechpartner bei Global G.A.P. über diese Vorwürfe informiert.“ Der
       Supermarkt scheint es nicht ungewöhnlich zu finden, dass dem Zertifizierer
       solche Vorkommnisse entgehen.
       
       Als wir die Datenbank im Januar erneut überprüfen, steht dort für Frutas El
       Curi: „self-declared suspension“ – freiwillige Aussetzung. Global G.A.P.
       gibt auf Anfrage keine Einzelheiten zu dem Fall bekannt. Möglicherweise ist
       der Beerenhersteller damit einer Verwarnung zuvorgekommen und kann später
       wieder leichter ein Zertifikat erhalten. Kurz vor Erscheinen dieses Textes
       ist das Unternehmen dann überhaupt nicht mehr in der Datenbank zu finden –
       als hätte es nie ein Zertifikat gehabt.
       
       Bei Lidl und Aldi sind ab Montag Zitronen aus Spanien im Angebot.
       
       Diese Recherche ist auch auf Französisch im basta.mag erschienen.
       [14][Hier] finden Sie die Geschichte.
       
       27 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Wie-viele-Corona-Infizierte-gibt-es-aktuell/!5728077
 (DIR) [2] http://www.racamier.fr/
 (DIR) [3] https://database.globalgap.org/globalgap/search/SearchMain.faces?init=1
 (DIR) [4] https://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/metiers/agriculture/video-parce-qu-ils-ont-refuse-de-lui-donner-un-verre-d-eau-ils-ont-laisse-mourir-mon-frere-la-famille-d-un-saisonnier-denonce-les-conditions-de-sa-mort_4202403.html
 (DIR) [5] https://www.francetvinfo.fr/economie/emploi/metiers/agriculture/video-ils-nous-sucent-le-sang-on-est-comme-des-esclaves-envoye-special-a-enquete-sur-le-business-de-la-main-d-oeuvre-agricole_4202489.html
 (DIR) [6] https://lieferkettengesetz.de/
 (DIR) [7] https://www.ci-romero.de/kritischer-konsum/siegel-von-a-z/label/4-globalg-a-p/
 (DIR) [8] https://www.buzzfeed.com/de/pascalemueller/vergewaltigt-auf-europas-feldern
 (DIR) [9] https://www.theguardian.com/global-development/2017/oct/31/terrible-conditions-police-uncover-abuse-and-exploitation-on-farms-in-sicily
 (DIR) [10] https://www.buzzfeed.de/recherchen/ich-hatte-das-gefuehl-noch-weniger-wert-zu-sein-als-ein-hund-90138092.html
 (DIR) [11] https://www.mediapart.fr/journal/france/170720/terra-fecundis-l-exploitation-de-travailleurs-en-bande-organisee-visee-par-la-justice
 (DIR) [12] http://revista.lamardeonuba.es/un-punto-rojo-y-no-trabajaras-mas-en-este-pais-las-trabajadoras-marroquies-de-el-curi-denuncian-explotacion-impagos-y-amenazas-del-empresario-investigado-por-la-itss/
 (DIR) [13] http://revista.lamardeonuba.es/un-punto-rojo-y-no-trabajaras-mas-en-este-pais-las-trabajadoras-marroquies-de-el-curi-denuncian-explotacion-impagos-y-amenazas-del-empresario-investigado-por-la-itss/
 (DIR) [14] https://www.bastamag.net/Agro-alimentaire-label-Global-GAP-certification-conditions-de-travail-indignes-fraude-a-la-securite-social-fruits-et-legumes
       
       ## AUTOREN
       
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 (DIR) Agrarmarktstrukturgesetz im Bundestag: Die Macht der Discounter brechen
       
       Ein neues Gesetz soll verhindern, dass Händler Lieferanten mit unfairen
       Methoden unter Druck setzen. Doch ändern wird es nur wenig.
       
 (DIR) Coronainfizierter Erntehelfer tot: Schutzlos bei der Ernte
       
       Ein erkrankter Rumäne wird tot auf einem Spargelhof bei Freiburg gefunden.
       Der Seuchenschutz macht Aushilfen noch abhängiger von ihrem Arbeitgeber.