# taz.de -- Buch über antirassistische Kämpfe: Wenn Weiße Retter spielen
       
       > Die nigerianisch-irische Autorin Emma Dabiri rechnet in ihrem Buch mit
       > Rassismus ab. Ins Gericht geht sie auch mit falsch verstandenem
       > Antirassismus.
       
 (IMG) Bild: Emma Dabiri bei der Verleihung der Royal Television Society Programme Awards 2019
       
       Was braucht es, um Rassismus zu bekämpfen und echte soziale Transformation
       zu erreichen? Aus Alliierten im Kampf gegen Rassismus müssen Koalitionäre
       der sozialen Frage werden. Das jedenfalls meint Emma Dabiri in ihrem Buch
       „Was weiße Menschen jetzt tun können“. Die irisch-amerikanische Autorin,
       die unter anderem für den Guardian und für Vice schreibt, fordert zu einer
       radikalen Dekonstruktion der Kategorie race auf.
       
       Emma Dabiri wächst als Tochter einer nigerianischen Mutter und eines
       irischen Vaters in Atlanta und Dublin auf. Während Irland sich ganz
       „natürlich“ als weißes Land definiert, verfügen die Vereinigten Staaten
       über große schwarze Communitys.
       
       In den USA und Irland erlebt Dabiri jeweils sehr unterschiedliche
       Vorurteils- und Benachteiligungsstrukturen. Aber hier wie da ist die enorme
       Kluft zwischen Schwarz und Weiß weit mehr als eine Frage des Rassismus. Sie
       ist immer auch [1][grundiert von Klassenungerechtigkeiten].
       
       Dabiri liefert in ihrem Buch eine präzise Analyse der Funktionsweise
       rassistischer Ideologien innerhalb der kapitalistischen
       Klassengesellschaft. Dabei gelingt ihr eine schwierige Gratwanderung:
       Obgleich sie unverblümt mit Rassismus und falsch verstandenem Antirassismus
       abrechnet, bleibt ihr Buch vor allem eins: konstruktiv im Aufzeigen neuer
       Wege. Das ist erfrischend neu und anders.
       
       ## Aktivistische Floskeln
       
       Harsch geht Dabiri dagegen mit dem Onlineaktivismus ins Gericht. Es reiche
       eben nicht, floskelhafte Bekenntnisse auf Social Media zu äußern und zum
       „Checken“ der eigenen Privilegien aufzufordern. Viel zu oft sei ein solcher
       Aktivismus rein performativer Natur, während soziales Engagement ausbliebe.
       Bei Dabiri lautet die zentrale Aufforderung daher schlicht: „Spielt nicht
       mehr die ‚weißen Retter‘.“
       
       Der Begriff Ally, also Alliierter, schrecke sie zudem regelrecht ab. „Es
       reproduziert eine Machtdynamik, die abstoßend auf mich wirkt.“ Solche und
       ähnliche Kritik wurde zuletzt von vielen schwarzen Autoren völlig
       unterschiedlicher politischer Couleur vorgetragen.
       
       Etwa von John McWhorter, einem konservativen Professor für
       Literaturwissenschaften, der in seinem Buch „Die Auserwählten“ äußerst
       polemisch mit Antirassisten und fanatischer Cancel Culture abrechnet.
       Dabiris Text ist weniger polemisch, aber ebenso direkt. Im Tonfall erinnert
       er an Texte Audre Lordes: Dabiri klingt ein wenig wie eine gute alte
       Freundin, die einem die Meinung geigt.
       
       Das Hauptproblem des antirassistischen Aktivismus besteht für Dabiri darin,
       dass er sich nicht von der Vorstellung von race lösen könne. Anders als
       hierzulande, wo der Begriff „Rasse“ ohnehin sehr problematisch ist, stellt
       race in den USA eine zentrale Analysekategorie dar. Aber jede Bezugnahme
       auf die Kategorie führe unweigerlich zu Rassismus, weil man
       verallgemeinernde Aussagen über eine Gruppe treffe, so die Autorin.
       
       ## Klassen sichtbar machen
       
       Dabiri will darüber hinaus den Spieß umdrehen: Statt die Benachteiligung
       von Schwarzen zu adressieren, gelte es, Weiße als Gruppe sichtbar zu
       machen. Denn während alle anderen markiert sind – also als „schwarz“,
       „indigen“ oder „asiatisch“ –, werden Weiße klandestin als Norm gesetzt.
       [2][Weiße sind in diesem Sinne unmarkiert, aber genau das ist Ausdruck
       „normativer Machtstrukturen“]. „Wir müssen das Weißsein sichtbar machen, es
       benennen, es einrahmen, um es zu demontieren.“
       
       Der nächste Schritt ist das Sichtbarmachen von unsichtbaren
       Klassenstrukturen. Dabiri weist darauf hin, wie die Ausbeutung der
       Arbeiterklasse von Anfang an durch den Glauben an weiße Suprematie gestützt
       wird, der eine doppelte Funktion besitzt: Weiße Suprematie legitimiert die
       Ausbeutung Schwarzer, und sie vermittelt selbst dem ärmsten weißen
       Arbeiter, dass er immer noch mehr wert ist als ein Schwarzer. Deswegen ist
       die weiße Überlegenheit bis heute ein entscheidendes Moment populistischer
       rechter Parteien.
       
       Und in gewisser Weise versteht Dabiri, warum ärmere weiße Männer das
       Trostpflaster der Suprematie gerne annehmen: „Wir mögen es verabscheuen,
       aber wenn ein zartes und zerbrechliches Überlegenheitsgefühl gegenüber
       Schwarzen oder anderen als Minderheit bezeichneten Menschen alles ist, was
       Donny besitzt, warum sollte er das aufgeben?“ Wie aber könnte man „Donny“,
       stellvertretend für andere einfache Männer der Working Class, wirklich
       helfen und zugleich seine rassistische Weltsicht zerstören?
       
       Durch Koalitionen, durch temporäre Bündnisse im Kampf für konkrete
       Anliegen, so Dabiri. Nicht nur weiße oder schwarze Frauen der Mittelschicht
       können Koalitionen schließen. „Wir können beginnen, neue Geschichten zu
       erzählen, anstatt auf die Trennungslinien zurückzufallen, die gezogen
       wurden, um uns zu spalten, um uns besser ausbeuten zu können.“
       
       Koalitionen ermöglichen Solidarität, ganz ohne „Einfühlung“ in den anderen.
       So umgeht man auch eventuelle identitätspolitische Fallstricke, wonach eine
       Gruppe wie die der weißen Männer sich sowieso nie in die Gruppe schwarzer
       Arbeiterinnen einfühlen könne. Das müssen sie überhaupt nicht. Es genügt
       schon, wenn sie gemeinsam über gerechtere Ressourcenpolitik oder bessere
       Schulen nachdenken.
       
       1 Apr 2022
       
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