# taz.de -- Ein Jahr nach dem Anschlag in Halle: Länder schützen Synagogen besser
       
       > Knapp ein Jahr ist vergangen seit dem antisemitischen Anschlag in Halle.
       > Heute fließt mehr Geld zum Schutz jüdischer Einrichtungen. Aber reicht
       > das?
       
 (IMG) Bild: 10. Oktober 2019: Polizisten vor der Neuen Synagoge in Berlin
       
       BERLIN taz | Vor einem Jahr war Naomi Henkel-Gümbel an Jom Kippur, dem
       höchsten jüdischen Feiertag, in der Synogoge in Halle, als ein
       Rechtsextremer versuchte, das Gebäude zu stürmen. Henkel-Gümbel war in
       Halle zu Gast, eigentlich lebt sie in Berlin. Hier fühle sie sich ziemlich
       sicher, sagt sie, aber die Stadt sei eine Ausnahme. Gerade kleinen
       jüdischen Gemeinden fehle oft das Geld für wirksamen Schutz ihrer
       Einrichtungen.
       
       Henkel-Gümbel, die auch Nebenklägerin im [1][Prozess gegen den mutmaßlichen
       Attentäter von Halle] ist, sitzt in der Neuen Synagoge in Berlin, der
       Mediendienst hat zum Pressegespräch geladen. „Ein Jahr nach Halle: Wie gut
       werden Synagogen geschützt?“, lautet die Frage, die besprochen werden soll.
       
       Der Mediendienst hat dafür in allen Bundesländern nachgefragt, was sie seit
       dem Anschlag verändert haben. Das Ergebnis: In fast allen Bundesländern
       würden jüdische Einrichtungen stärker bewacht. Außerdem hätten fast alle
       Länder zusätzliche Mittel bereit gestellt, um Synagogen, Kitas oder Schulen
       besser zu schützen – etwa mit schusssicherern Türen, Zäunen oder Schleusen
       am Einlass. Bayern hat acht Millionen, Hessen vier, Sachsen-Anhalt 2,4
       Millionen Euro dafür zugesagt. Hinzu kommen 22 Millionen vom Bund.
       
       Der Lackmustest sei, ob wirklich gebaut wird, sagt Ronen Steinke, Jurist
       und Journalist, dessen Buch „Terror gegen Juden“ gerade erschienen ist.
       Viel zu lange seien die Jüdischen Gemeinden bei der Umsetzung der
       Sicherheitsempfehlungen der Polizei auf sich selbst gestellt gewesen, auch
       müssten manche Gemeinden bis zu 50 Prozent der Kosten selber tragen. In die
       Synagoge in Halle sei vor dem Anschlag kein einziger Euro aus Steuermitteln
       für den Schutz des Gebäudes geflossen, so Steinke. „Das war sehr klar ein
       Versagen des Staates.“
       
       ## Ein doppeltes Dunkelfeld
       
       „Gefahrenabwehr ist Aufgabe des Staates“, betonte der Autor. Deshalb müsse
       die Polizei sich in der Pflicht sehen, dieser Gefahr zu begegnen. Weniger
       als eine hundertprozentige Finanzierung von Sicherheitsmaßnahmen sei nicht
       akzeptabel. „Wenn wir das nicht sicherstellen, ist das Recht auf
       Religionsausübung nicht viel wert.“
       
       „Der Schutz jüdischer Gemeinden ist besser geworden, aber er ist noch nicht
       flächendeckend gut“, räumte Jürgen Peter, Vizechef des Bundeskriminalamts
       ein. Auch sei „sehr viel mehr Dialog“ zwischen den jüdischen Gemeinden und
       der Polizei nötig. 2023 antisemtische Straftaten haben die
       Sicherheitsbehörden im vergangenen Jahr festgestellt, die meisten seien
       rechts motiviert, so Peter. „Mehr als fünf Straftaten pro Tag, das ist
       unerträglich.“ Hinzu komme ein doppeltes Dunkelfeld: [2][Die Polizei]
       erkenne antisemitische Straftaten nicht als solche – oder sie die Taten
       würden erst garnicht angezeigt.
       
       Das bestätigte Sigmount Königsberg, Antisemitismusbeauftragter der
       Jüdischen Gemeinde Berlin. Oft würden Vorfälle von der Polizei etwa nur als
       Körperverletzung aufgenommen, nicht aber der antisemitische Hintergrund
       einer Tat. Zudem würde laut einer EU-Studie nur jede fünfte antisemitische
       Straftat gemeldet.
       
       Steinke betonte, wie „pervers“ die Situation sei, dass jüdische
       Einrichtungen bewacht werden müssen und sprach von einem
       Belagerungszustand. „Damit wir zur Schule oder zum Gottesdienst gehen
       können, stehen Polizisten vor der Tür.“
       
       Henkel-Gümbel – die Überlebende des Halle-Anschlags, hatte in der
       vergangenheit auch das Verhalten der Polizei nach dem Anschlag und die
       Ermittlungen scharf kritisiert. Am Dienstag betonte sie aber, dass
       Deutschland trotz allem das Land sei, in dem sie sich auch in Zukunft
       weiter leben sehe. „Ich kann die Leute hier doch nicht allein lassen“,
       sagte die angehende Rabbinerin. Man dürfe den rechtsextremen Ideologien
       keinen Platz lassen und müsse solidarisch sein. „Ich muss meinen Teil
       beitragen.“
       
       22 Sep 2020
       
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