# taz.de -- Festival Tehran Contemporary Sounds: Wenn es Schriftzeichen prasselt
       
       > Experimentierwille ohne Dogma: Eindrücke vom elektronischen Festival
       > „Tehran Contemporary Sounds“ im Berliner Kunstquartier Bethanien.
       
 (IMG) Bild: Pari San am Freitagabend im Kunstquartier Bethanien Berlin
       
       Mit den Geräuschen eines galaktischen Turbinenkollers beendete Hadi Bastani
       am Sonntagabend seinen Auftritt im Rahmen der zweiten Ausgabe des Festivals
       „Tehran Contemporary Sounds“, das seit Freitag im „Studio 1“ des
       Kunstquartiers Bethanien in Berlin-Kreuzberg stattgefunden hatte.
       
       Aber auch bereits zuvor hatte sich Bastani, Noise-Musiker mit Doktorgrad,
       nicht lumpen lassen und an den Anfang seines Sets sehr tiefe, geschichtete
       Bässe gesetzt, in die er mit zunehmender Intensität unterirdisches Gurgeln,
       hölzernes Klackern und metallisches Klackern schaltete.
       
       Davon abgesehen, dass das noch lauter gegangen wäre – tatsächlich fanden
       sich Leute im Publikum, die inmitten dieses ohrenbetäubenden Wirbels noch
       in ihre Smartphones schauten – korrespondierte Bastanis Performance in
       gewisser Weise mit einem [1][Exponat der Ausstellung], welche die „Tehran
       Contemporary Sounds“ begleitete.
       
       ## Farsi-Wort für Punkt
       
       Im zweiten Stockwerk, im Rundgang der ehemaligen Krankenhauskapelle, waren
       unter dem Titel „Noxte“, Farsi für Punkt, Medienkunst und Installationen
       ausgestellt. Eine von ihnen, Ghazal Majidis „Pneumo-mania“, stellte in
       einer auf mathematischen Formeln basierenden Animation einen beständig
       wachsenden steinernen Organismus dar.
       
       Majidi hatte sich dafür von dem jahrtausendealten iranischen
       Bewässerungssystem „Quanat“ und dessen tiefen Brunnen inspirieren lassen.
       Hier könnte Hadi Bastani, seinen Auftritt absolvierte er in Halbdunkel und
       dezentem Nebel, ein passendes Video finden. Wo Bastani auf ein karges
       Bühnenbild setzte, griffen andere Künstler:Innen des Festivals zu
       Bühnenprojektionen.
       
       Da war beispielsweise am Samstagabend Sahar Homami mit einer Performance,
       die sich [2][aus elektronischer Musik] und einer digitalen Bildwelt
       zwischen Traumarchitektur und Halbleiterplatte speiste. Irgendwann fing es
       in dieser seltsamen Welt an zu regnen, doch was da niederprasselte, waren
       Schriftzeichen, Buchstaben in einem ausgedehntem Loop.
       
       ## Abstrakt und sinnlich zugleich
       
       Nach Homami trat das Duo Soheil Shayesteh und Luka Batista auf: Shayesteh
       an der Kamantsche, der iranischen Stachelgeige, und Batista bediente die
       Liveelektronik. In ihrem abstrakt-sinnlichen Auftritt fanden klassische und
       futuristische Klangsprachen zueinander, die Laser-Projektionen, die ihren
       Auftritt flankierten, taten das ihrige.
       
       Waren und sind die „Tehran Contemporary Sounds“ schwerer Stoff? Und wenn
       ja, was spricht gegen das Schroffe? Die Ästhetik des Berliner Festivals,
       das Plakat- und Flyer-Layout trägt Schwarz wie der erste, 2019 erschienene,
       sehr hörenswerte Festival-Sampler, ist schon ein Statement, meint Behrooz
       Moosavi, der Organisator der mehrtägigen Veranstaltung.
       
       Was auf dem Festival über die Bühne ging, ließe sich als „Experimentalismus
       ohne Dogma“ bezeichnen, wobei einige Dinge schon klar und deutlich waren.
       Moosavi trug ein T-Shirt mit der Aufschrift „Syndikat bleibt“; das Syndikat
       ist ein linkes Hausprojekt im Neuköllner Schillerkiez. Weitere „Tehran
       Contemporary“-Besucher:Innen waren in Migrantifa- und Laibach-T-Shirts
       gekommen.
       
       ## Feministische Kooperation
       
       Auch ein Statement war der Programmpunkt, mit dem der Samstagabend begann:
       Eine von der Iranian Female Composers Association (IFCA) kuratierte
       Werkschau von einem Dutzend Künstlerinnen: Klassische Musik,
       Performancekunst, ein märchenhafter Trickfilm, Sounds und Bilder von
       Fantasie und Selbstbehauptung gab es da zu bestaunen. In der Sache ähnlich
       der Videoeinspielung, mit der das Festival am Freitag begonnen hatte, wenn
       auch mit anderer Ästhetik.
       
       Eröffnet hatte nämlich die HipHop-Künstlerin Roody, eine „Rapkon“, in Farsi
       eine „Rap-Macherin“. In ihren Videos war sie aus Teheran zu sehen, aus der
       Skyline der Metropole und bei der kreativen Ausgestaltung der
       Stadtfassaden. Roody wird hoffentlich einmal livehaftig in Berlin zu sehen
       sein, bis dahin bleibt ihr Gastbeitrag auf einer der Alben, die den Weg
       nach Berlin geschafft hatten: „Bādbān“ von Taramoon, einem Projekt des
       Komponisten Nima Aghiani, eine frappierend eingängige Musik.
       
       Auf dem „Tehran Contemporary“ war Aghiani mit der Sängerin Sara Bigdeli
       Shamloo zu erleben. Beide sind das deutlich experimentellere Duo 9T
       Antiope, im Gepäck hatten sie ihr gerade erschienenes Kassettenalbum
       „Placebo“, Teil einer [3][Trilogie gegen vorschnellen Optimismus]. Dass das
       außerordentlich gut klang, sei als Argument für Diffiziles ins Feld
       geführt.
       
       25 Oct 2021
       
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