# taz.de -- Grüne gegen Ampel-Partner: Die flauschigen Jahre sind vorbei
       
       > Die Grünen sind genervt, vor allem von der FDP. Jetzt machen sie ihrem
       > Ärger Luft und attackieren die Ampel-Partner scharf. Ein Wagnis.
       
 (IMG) Bild: Ausgebremst: Robert Habeck, hier bei der Eröffnung einer Stromtrasse am 17. März in Sachsen-Anhalt
       
       Alle jetzt noch schön aufstellen und die großen, weißen Buchstaben
       festhalten. „Gemeinsam stärker“ soll da gleich stehen. Ein paar
       Regieanweisungen später schauen die Abgeordneten in die Kamera, rufen
       „Yeah“ und lachen. Dann brechen die meisten von ihnen auf, vom Fototermin
       hinter der Weimarhalle in Richtung Bahnhof. So endet am Donnerstag nach
       drei Tagen die [1][Klausurtagung der grünen Bundestagsfraktion]: mit
       schönen Bildern.
       
       Alles wieder gut bei den Grünen? Keineswegs. Keine 48 Stunden ist es zu dem
       Zeitpunkt her, dass der Vizekanzler und die Fraktionsspitze vor der
       angereisten Presse ihren Ärger über die Ampel-Partner öffentlich gemacht
       haben. „Es kann nicht sein, dass in einer Fortschrittskoalition nur ein
       Koalitionspartner für den Fortschritt verantwortlich ist“, sagt Robert
       Habeck. Für die Klimaziele sei die ganze Regierung verantwortlich, sagt
       Katharina Dröge. „Auch ein Kanzler.“
       
       Das waren ungewöhnlich deutliche Worte für Grüne, die doch stets Wert
       darauf legen, dass die Koalition ein geschlossenes Bild abgibt – und
       Probleme intern gelöst werden. Aber der Ärger hat sich angestaut. Auslöser
       für den Wutauftritt war der [2][Streit um Habecks Pläne, Öl- und
       Gasheizungen schrittweise zu verbieten]. Dahinter: eine lange Liste
       weiterer Konflikte, vom [3][Verbrenner-Aus] bis zur Planungsbeschleunigung.
       Und es gibt ein noch grundlegenderes Problem: Im zweiten Ampeljahr kommen
       die Grünen in der Wirklichkeit des Regierens an. Nicht alle ihrer
       bisherigen Annahmen halten diesem Realitätscheck stand.
       
       Ein Irrtum: Den Wähler*innen – und vielleicht auch sich selbst – haben
       die Grünen über Jahre vorgemacht, dass Klimaschutz nicht wehtut.
       Veggie-Day, Flugscham, Verzicht, alles landete im Giftschrank. Jetzt aber,
       da es in der Regierung ans Machen geht, stößt die Erzählung von der
       schmerzlosen Transformation an Grenzen. Habecks Gesetzesentwurf zu den
       Heizungsverboten sieht zwar großzügig Ausnahmen vor und der Staat wird den
       Einbau von Wärmepumpen bezuschussen. Doch die Menschen werden zum Handeln
       gezwungen. Und der Staat wird nicht allen Betroffenen die Kosten
       vollständig erstatten. Einige werden drauflegen.
       
       ## Ohne Zumutungen geht's nicht
       
       Ganz ohne Zumutungen gibt es die Energiewende eben nicht. Aber wo es ernst
       wird, scheint es mit der Bereitschaft der Deutschen zum Klimaschutz nicht
       mehr weit her zu sein. Seit der unfertige Gesetzentwurf auf unbekannten
       Wegen bei der Bild gelandet ist, fährt die Boulevardzeitung eine Kampagne
       gegen das Vorhaben („Habecks Heizungs-Irrsinn!“). In einer Forsa-Umfrage
       sprachen sich zuletzt 78 Prozent der Befragten gegen die Pläne aus.
       
       Und so wie der Wohlfühlkurs der letzten Jahre die Partei erst an die Macht
       geführt hat, trägt die Realität des Regierens jetzt wohl zum vorläufigen
       Ende des grünen Wachstums bei. In der Sonntagsfrage liegen die Grünen, die
       zwischendurch auf über 20 Prozent geklettert waren, im Moment nicht mehr
       weit über den 14,8 Prozent der letzten Bundestagswahl. Der Weg zur
       stärksten Kraft der linken Mitte ist noch lang.
       
       Deswegen wieder von ihren Plänen abzurücken, ist für die Grünen aber keine
       Option. Im ersten Regierungsjahr, unter dem Eindruck des Ukraine-Kriegs,
       hatten sie ihre Ambitionen vorübergehend zurückgeschraubt. Damit aber
       strapazierten sie nicht nur die Geduld ihrer Stammwählerschaft. Der Streit
       um die Räumung von Lützerath zeigte, dass auch die Parteibasis nicht auf
       Dauer alles mitträgt.
       
       Auch die Bundestagsfraktion machte ihren Kabinettsmitgliedern in den
       letzten Monaten deutlich, dass sie beim Klimaschutz Ergebnisse sehen will.
       Dazu kommt der Druck der Realität: Erst am Montag warnte der Weltklimarat
       in seinem neuen Bericht, dass die Auswirkungen des Klimawandels bereits
       dramatischer sind als bislang angenommen. Dem Klimaschutz laufe die Zeit
       davon.
       
       In der Frage, wie er sich doch noch rechtzeitig umsetzen lässt, offenbart
       sich ein zweiter Irrtum. Über Jahre strickten vor allem Vertreter*innen
       des Realo-Flügels an einer Erzählung über lagerübergreifende Bündnisse:
       Koalitionspartner rechts der Mitte könnten dafür sorgen, dass grüne Politik
       kompatibel wird für neue Milieus. Am Ende, so die Idee, machen auch
       Konservative begeistert bei der Energiewende mit.
       
       In manchen schwarz-grünen Landesregierungen geht das Kalkül zumindest
       teilweise auf. NRWs Ministerpräsident Hendrik Wüst (CDU) etwa lässt sich
       mittlerweile stolz neben Windparks ablichten.
       
       Mit der FDP im Bund ist aber das Gegenteil der Fall. Aus der Koalition
       heraus heizt sie die Stimmung gegen die grünen Transformationspläne an.
       Generalsekretär Bijan Djir-Sarai wirft Habeck „verbohrte Ideologie“ vor.
       FDP-Parteichef Christian Lindner wettert gegen „pauschale Verbote“. Und
       Verkehrsminister Volker Wissing blockiert, wo er kann. Ähnlich destruktiv
       tritt die FDP laut Grünen auch intern oft auf.
       
       „Ich erwarte, dass wir nicht immer wieder über Dinge reden müssen, die wir
       bereits im Koalitionsvertrag vereinbart und im Koalitionsausschuss noch
       einmal bestätigt haben“, sagt Grünen-Fraktionsvize Julia Verlinden, die für
       die Klimathemen zuständig ist. „Es ist ineffizient und kostet wertvolle
       Zeit, die wir für die Umsetzung von Klimaschutz brauchen.“
       
       Zuletzt nahm auch der Ärger über die SPD zu. Bei manchen Grünen sorgen die
       Sozialdemokrat*innen sogar für mehr Frust als die FDP. Statt Farbe
       zu bekennen, würden sie sich aus vielen Konflikten raushalten, für
       Klimaschutz zeigten sie wenig Interesse. Wie ein Beleg dafür erscheint der
       Auftritt von Olaf Scholz am Donnerstag in Brüssel.
       
       Trotz der Grünen-Schelte stellte er sich dort hinter den Verkehrsminister
       und brachte im Streit um das Verbrenner-Aus auch EU-Partner gegen sich auf.
       „In meinen Augen ist der Kanzler das Problem“, sagt Ex-Fraktionschef Anton
       Hofreiter. Und fügt selbstkritisch an: „Wir haben zu lange mit der FDP
       gestritten und zu wenig Druck auf die SPD entfaltet.“
       
       Allein steht Robert Habeck mit seinem Ärger also nicht. Aus der Fraktion
       heißt es höchstens, dass die Gegenattacke etwas spät komme. Als Habecks
       Gesetzesentwurf zu den Heizungen im Februar durchgestochen wurde und die
       Angriffe auf ihn begannen, setzte er zunächst wenig dagegen. Ein genaues
       Konzept zum sozialen Ausgleich hat er bis heute nicht vorgelegt.
       
       Auf der anderen Seite finden aber auch nicht alle Grünen die neue Härte
       richtig. Zu Beginn der Ampel-Koalition hatte sich die grüne Spitze darauf
       verständigt, sich als verantwortungsbewusste und staatstragende Kraft zu
       positionieren. In der Parteizentrale gibt es jetzt die Sorge, dass die
       Attacken das gemeinsame Regieren und Einigungen beim Koalitionsgipfel am
       Sonntag eher erschweren als erleichtern.
       
       Auffallend ist: Anders als die Fraktionschefinnen stimmten die
       Parteivorsitzenden nicht in Habecks Vorwürfe ein. Ricarda Lang gab sich in
       der Talkshow Maybrit Illner am Donnerstagabend betont sachlich: „Jetzt
       müssen wir zusammenkommen und uns an einen Tisch setzen. Das erwarten die
       Bürgerinnen und Bürger.“
       
       Eines eint dann aber doch wieder alle Grünen – die Einsicht, dass bis zur
       nächsten Wahl kein Weg an der Ampel vorbeiführt. Die grüne Fraktion ist
       zwar so groß wie nie. Ihre Klausur, die aus Tradition im kleinen Weimar
       stattfindet, wird dadurch zur logistischen Herausforderung. Auf drei Hotels
       müssen sich die Abgeordneten aufteilen und als nach einem Abendempfang in
       einem Vorort der letzte Shuttlebus ausfällt, sind nicht genügend Taxis für
       den Rückweg aufzutreiben. Einige Abgeordnete finden sich so auf einer
       nächtlichen Wanderung zurück in die Stadt wieder, vorbei an
       Einfamilienhäusern mit Kamin auf dem Dach und Verbrenner in der Einfahrt.
       
       Aber trotz ihrer Rekordgröße sind die Grünen im Bundestag noch immer nur
       die drittstärkste Kraft. Ohne Koalitionspartner geht es nicht. Und dass es
       in einer Jamaika-Koalition unter Friedrich Merz besser laufen würde, glaubt
       in der Fraktion auch niemand. Was also heißt: Man muss mit der FDP
       irgendwie klarkommen. Für deren Verzweiflungstaten es sogar ein gewisses
       Verständnis gibt. Nach den ganzen Wahlschlappen gehe es bei den Liberalen
       eben ans Eingemachte.
       
       Viel spricht daher dafür, dass der scharfe Ton dieser Woche bei den Grünen
       nicht zum Dauerzustand wird. Ohnehin waren ihre Vorwürfe an die
       Koalitionspartner in Ton und Inhalt wohlkalkuliert. Schnell war in Weimar
       vor der Presse auch wieder von Gemeinsamkeiten und Erfolgen der Koalition
       und vom „Team Ampel“ die Rede. Auf die Steilvorlage von FDP-Vize Wolfgang
       Kubicki, der Habeck mit Putin verglichen hatte, stieg die Fraktionsspitze
       gar nicht erst ein. „Jeder disqualifiziert sich, so gut er kann“, sagte
       Britta Haßelmann. Das war’s.
       
       Das könnte es leichter machen, mit SPD und FDP doch wieder zu einem
       belastbaren Verhältnis zu finden. Und dem Eindruck der Öffentlichkeit
       entgegenwirken, es jetzt wieder mit Krawallos an der Grünen-Spitze zu tun
       zu haben. Denn die Auftritte dieser Woche bergen ja durchaus auch eine
       andere Gefahr: Offenen Streit zwischen Koalitionären lehnen Wähler*innen
       oft ab. Auch das werden die Grünen bedenken, wenn sie darüber beraten, ob
       sie jetzt regelmäßig gegen die Ampel-Partner schießen – oder ob es bei
       einer einmaligen Aktion bleibt.
       
       Als die Grünen-Abgeordneten am Donnerstag von der Weimarhalle zum Bahnhof
       ziehen, kommen sie an einem haushohen Werbeplakat vorbei. Das Haus der
       Weimarer Republik will damit für die Demokratie werben. Der Spruch auf dem
       Banner passt aber auch zur momentanen Situation der Grünen. „Demokratie
       ist, wenn du an der Ampel stehst und fluchen darfst“, steht da. „Und dann
       geht es trotzdem weiter.“
       
       26 Mar 2023
       
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