# taz.de -- Hessische Grüne und Dannenröder Forst: Unfallfrei abholzen
       
       > Bei der Rodung des Dannenröder Forsts schiebt die Grüne in Hessen die
       > Schuld dem Bund zu. Dadurch bricht der Landespartei die Basis weg.
       
 (IMG) Bild: Sie sollen den Weg ebnen: Polizisten räumen eine Sitzblockade im Herrenwald
       
       Am 1. Oktober, während die Abgeordneten im Plenarsaal über die Rodungen im
       Dannenröder Forst debattieren, entrollen vor dem Wiesbadener Landtag
       Umweltaktivisten ein Banner: „Wenn das noch Grün ist, sehen wir schwarz!“
       
       Bei der Großdemonstration im inzwischen bundesweit bekannten Forst am
       ersten Oktober-Wochenende wurde der grüne Wirtschafts- und Verkehrsminister
       gar mit dem brasilianischen Despoten verglichen, der Urwälder abholzen
       lässt: „Bolsonaro in Brasilien – in Hessen Al-Wazir“, stand da.
       
       Die Auseinandersetzungen um den Lückenschluss der nordhessischen A49
       werfen ein Schlaglicht auf die Entfremdung der grünen Partei von den
       Bewegungen, aus denen sie entstanden ist. Im Land sind sie als
       Regierungspartei mitverantwortlich für die gewaltsame Räumung und Rodung
       des Waldes, im Bundestag fordern sie ein Moratorium und damit einen
       Baustopp.
       
       In der Opposition ist es vergleichsweise einfach, Kurs zu halten. In
       Regierungsverantwortung, zumal in Koalitionen mit der CDU, geraten Grüne
       dagegen in Konflikte, die ihre Glaubwürdigkeit gefährden. Bei der
       Landtagswahl im kommenden März in Baden-Württemberg könnte das die
       „Klimaliste“ nutzen, eine neue Partei des entschiedenen Klimaschutzes.
       „Eine ernste Sache“, sagt der grüne Ministerpräsident Winfried Kretschmann,
       der um seine Mehrheit fürchtet.
       
       ## Toni, die Erde und der Mond
       
       „Ich war immer gegen dieses Projekt“, betonte der grüne Wirtschaftsminister
       Tarek Al-Wazir einmal mehr in der Landtagsdebatte zur A49. Die mit dem Bau
       beauftragte Landesbehörde Hessen-Mobil untersteht seinem Ministerium.
       
       Der Bund habe den Lückenschluss beschlossen, der Bundestag habe mit großer
       Mehrheit zugestimmt, das höchste Deutsche Verwaltungsgericht habe den Weg
       freigemacht, so Al-Wazir. Dass die Landesregierung die Rodungen nun
       durchsetzt, erklärte er mit den Zwängen des Amts. „Ein Minister kann und
       darf sich nicht aussuchen, welches Gesetz er umsetzt.“
       
       Nicht nur die Linken-Konkurrenz lässt ihm das nicht durchgehen. „Weltweit
       gehen Millionen gegen den Klimawandel auf die Straße, das Bewusstsein
       ändert sich, und ein grüner stellvertretender Ministerpräsident gibt den
       Kampf verloren. Das ist ein Schlag in das Gesicht der Aktivisten“, sagte
       Linken-Fraktionsgeschäftsführer Jan Schalauske; „Baurecht ist keine
       Baupflicht“, hielt er dem Wirtschaftsminister vor.
       
       „Das gilt nur für den Bauherrn, und das ist der Bund“, erwiderte Al-Wazir.
       Anders als die Grünen im Bundestag vermied er jeden Angriff auf den
       Bundesverkehrsminister. Aus früheren Stellungnahmen und Erklärungen ist
       nicht unbedingt eine Gegnerschaft zu dem Projekt zu erkennen.
       
       Mit einem Landtagsbeschluss hoben CDU und Grüne im Jahr 2014 die „regionale
       und überregionale Bedeutung“ der A49 hervor. 2015 forderte der Minister vom
       Bund ein „tragfähiges Finanzkonzept“ ein; nur eine „zügige Realisierung in
       sinnvollen Teilabschnitten“ werde die Belastungen für die BürgerInnen
       minimieren und den „erhofften Nutzen für den Verkehr herbeiführen“, so
       Al-Wazir damals.
       
       Die Bundestagsfraktion der Grünen hat Bundesverkehrsminister Andreas
       Scheuer (CSU) jetzt aufgefordert, den Bau der A49 zu stoppen. Fraktionschef
       Toni Hofreiter sagte am Mittwoch im Bundestag: „Das deutsche Straßennetz
       ist zweimal so lang wie die Entfernung zwischen Erde und Mond. Wer diesen
       Wahnsinn nicht noch weiterführen will, muss jetzt für ein
       Straßenbaumoratorium sein.“
       
       ## „Klimapolitische Unvernuft“
       
       Die grüne Landespartei und die Grüne Jugend Hessen haben sich der Forderung
       angeschlossen. Nur der Bund könne das Projekt noch stoppen, argumentiert
       die grüne Landesvorsitzende Sigrid Erfurth: „Wir haben keine Handhabe“,
       sagt sie und spricht von einem „Dilemma“.
       
       Ihr gehe es mit der A49 genauso wie mit einem anderen Autobahnprojekt in
       ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, der A44: „Ich kann das nicht verhindern,
       selbst wenn ich mich jeden Tag auf einen Bagger setze, das ist die bittere
       Wahrheit.“
       
       Für viele der AktivistInnen, die im Wald in Baumhäusern und Camps Wind und
       Wetter trotzen, sich von Polizeibeamten wegtragen lassen und mit Anzeigen
       und Strafverfolgung rechnen müssen, stehen Al-Wazir und die Landtagsgrünen
       auf der falschen Seite. „Das schmerzt mich“, bekennt die grüne
       Landtagsabgeordnete Katy Walther.
       
       Die taz am Wochenende erreicht sie per Telefon auf dem Weg in den
       Dannenröder Forst, im Funkloch. Als parlamentarische Beobachterin will die
       Abgeordnete zur Deeskalation beitragen: „Ich suche das Gespräch mit den
       AktivistInnen, auch wenn ich manchmal Projektionsfläche für Wut und
       Enttäuschung bin.“ Vierzig Jahre lang hätten die grünen Orts- und
       Kreisverbände den Widerstand gegen die A49 getragen.
       
       „Wir als die Umwelt- und Klimaschutzpartei werden jetzt von vielen als
       Autobahnpartei wahrgenommen. Die Diskussionen sind anstrengend und hart,
       aber das müssen wir aushalten.“ Die Grüne Bundestagsabgeordnete Bettina
       Hoffmann berichtet, sie kenne Grüne aus der Gegend, die seit dreißig Jahren
       gegen die A49 gekämpft hätten und sich jetzt beschimpfen lassen müssten,
       weil sie nicht genug getan hätten. „Natürlich tut mir das weh!“ Als Projekt
       „klimapolitischer Unvernuft“ bezeichnet die promovierte Biologin den
       Lückenschluss der A49.
       
       Zusätzlich in Rage bringt sie, dass Minister Scheuer das Milliardenprojekt
       nicht mit Haushaltsmitteln, sondern in öffentlich-privater Partnerschaft
       finanziere. Statt Verkehr zu vermeiden, sei ein privater Betreiber
       interessiert, Anreize für mehr Verkehr zu schaffen, klagt sie und spricht
       von einer Verkehrspolitik in die falsche Richtung.
       
       ## Möglichst geräuschlos regieren
       
       Einen Meinungsstreit mit den Landesgrünen mag sie indes nicht erkennen.
       Allein der Bund als Bauherr sei verantwortlich, der hessische
       Landesminister sei nur Auftragsverwalter, sagt sie.
       
       Im Koalitionsvertrag mit der CDU hatten die Grünen zwei Voraussetzungen für
       einen Weiterbau der A49 durchgesetzt: Eine rechtssichere durchgehende
       Planung und eine gesicherte Finanzierung.
       
       Niemand habe sich damals vorstellen können, dass das gelingt, argumentieren
       die Grünen, sie hätten die Hürden sehr hochgelegt. „Das war damals für uns
       der Hebel, um das zu verhindern“, sagt im Rückblick die Landtagsabgeordnete
       Walther. Dass es heute schwierig ist, diese Postion zu vermitteln, räumt
       sie ein.
       
       Auch die AktivistInnen gegen den Ausbau des Frankfurter Flughafens sind auf
       Distanz zu den Regierungsgrünen gegangen. Auf Wahlplakaten hatte der grüne
       Spitzenkandidat Al-Wazir versprochen, alles zu tun, um den Bau des Dritten
       Terminals zu verhindern. Nach der Landtagswahl 2018 stellte er als Minister
       fest, dass ihm dafür die rechtlichen Möglichkeiten fehlten. Das Terminal,
       das dezidiert für Billigflieger entsteht, ist längst im Bau.
       
       Terminal 2, direkt daneben, ist wegen der coronabedingten Krise der
       Luftverkehrswirtschaft stillgelegt. Auf Anfrage, ob nun ein Baustopp zu
       erwägen sei, sagt der Minister: „Der Bau des Terminal 3 war eine
       unternehmerische Entscheidung der Fraport AG, das gilt auch für das
       Festhalten am Projekt. Ob sich dort angesichts der jetzigen Situation
       manche wünschen, dass man 2015 meiner kritischen Haltung gefolgt wäre und
       Alternativen zum T3 umgesetzt hätte, müssen Sie Fraport fragen.“
       
       Der Kasseler Politikprofessor Wolfgang Schroeder beschreibt den
       Regierungsstil der Grünen in Hessen gegenüber der taz am Wochenende so: „Da
       gibt es die tiefe Überzeugung, dass grüne Regierungsfähigkeit darin
       besteht, diese besondere Kooperation mit der Union unfall- und
       aufmerksamkeitsfrei zu gestalten. Es gibt keine Bereitschaft, große
       Konflikte auf offener Bühne auszutragen.“
       
       Schroeder bewertete so das beredte Schweigen der Landtagsgrünen zu den
       unglücklichen Auftritten von Innenminister Peter Beuth (CDU) im
       Zusammenhang mit rechten Umtrieben in der hessischen Polizei. „Die Grünen
       gefährden damit auch ihre Anschlussfähigkeit an die neuen sozialen
       Bewegungen und ihre damit verbundene Glaubwürdigkeit“, sagte Schroeder.
       Damals herrschte noch Ruhe im Dannenröder Forst.
       
       10 Oct 2020
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christoph Schmidt-Lunau
       
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