# taz.de -- Impfungen in der vierten Corona-Welle: Dreifach hält besser
       
       > Die Inzidenz explodiert, die Politik bittet doppelt Geimpfte zur
       > Auffrischung. Ob diese Booster die Katastrophe noch stoppen können?
       
 (IMG) Bild: Third time's a charm: Warten auf die Booster-Impfung
       
       Schwierige Situationen lassen den Menschen auf einfache Lösungen hoffen.
       Derzeit trägt die Situation wieder das Label Corona, [1][so grell wie nie
       zuvor] – und auch wenn man das Kapitel eigentlich abgehakt sehen wollte:
       Eine Lösung muss her.
       
       Seit Wochen wird daher über Booster gesprochen. Eine dritte Impfung der
       bereits doppelt Geimpften, hieß es zuletzt [2][aus dem Munde der Politik],
       könne die Katastrophe stoppen. Booster erscheinen also als Fortschritt im
       Vergleich zur Winter-Coronawelle des letzten Jahres, der weitreichende
       andere Regelungen überflüssig macht. Doch stimmt das überhaupt?
       
       Rund zwei Drittel der Menschen in Deutschland sind zweifach geimpft, die
       meisten ausschließlich mit den modernen mRNA-Impfstoffen. Ein kleinerer
       Teil wurde mit einer Kombination aus einer Dosis der Vektorimpfstoffs von
       Astra-Zeneca oder Johnson & Johnson und einer weiteren Dosis mRNA-Impftsoff
       geschützt. In allen Fällen reduziert das Vakzin nach zwei Dosen das Risiko,
       schwer zu erkranken.
       
       Dieses Risiko ist immer individuell zu sehen, abhängig vom vorherigen
       Risiko ohne Impfung, welches mit zunehmendem Alter eher hoch ausfällt. Aber
       bei den meisten Geimpften im mittleren Alter ist der Schutz sehr hoch. In
       den ersten Wochen nach der Impfung ist auch der Schutz vor Ansteckungen
       recht hoch. Daten aus Israel weisen auf gut 90 Prozent hin. Doch ebenfalls
       aus Israel stammen Erhebungen, die zeigen, dass der Schutz vor Infektionen
       mit der Zeit nachlässt, vor allem bei Älteren. Das heißt: Geimpfte können
       das Virus nach einigen Monaten wieder häufiger einfangen und übertragen.
       
       ## Blut vs. Schleimhäute
       
       Ein zentraler Grund dafür ist physiologischer Natur: Die Impfungen werden
       in die Muskulatur gegeben, meistens in den Oberarm. Dort entsteht die
       Immunantwort und wird auf den Blutkreislauf übertragen. Das reale
       Infektionsgeschehen findet aber in den Schleimhäuten der Atemwege statt.
       „Die Impfung induziert vor allem Antikörper, die im Blut zirkulieren und
       nicht – wie eine Infektion über die Atemwege – Antikörper, vor allem IgA,
       die in den Geweben der oberen Atemwege vorkommen und den Erreger direkt vor
       Ort neutralisieren können“, sagt Anke Huckriede, Impfstoffforscherin an der
       Universität Groningen.
       
       Zwar würden auch einige der Antikörper aus dem Blut in die Schleimhäute von
       Nase und Rachen transportiert. Kurz nach der Impfung ist diese biologische
       Barriere meist hoch genug, um das Virus abzuwehren. Aber die Schutzimpfung
       vor einer Ansteckung hält, über den Muskel stimuliert, nach zwei Dosen
       nicht sehr lange vor.
       
       Anders verhält es sich mit dem Schutz vor Erkrankung. Dafür ist ein anderer
       Teil der Immunabwehr verantwortlich, die T-Zell-Immunität. Sie hat breitere
       Wirkung und hält nach den bisherigen Erkenntnissen auch nach zwei Dosen
       Impfstoff ein hohes Niveau. Langfristig schützt eine zweifache Impfung
       wahrscheinlich noch recht gut vor schwerer Erkrankung, aber nur schlecht
       vor Ansteckungen.
       
       Von Beginn der Impfungen war offen, ob eventuell noch eine dritte oder
       vierte Dosis nötig sein würde, um über die Muskulatur auch die Atemwege
       nachhaltig zu immunisieren. Solche Impfschemata sind nicht auf Schwächen
       des Impfstoffs zurückzuführen, gerade bei Atemwegserkrankungen wie Covid
       sind sie eher die Regel. Daten aus Israel zeigten schließlich, dass eine
       Auffrischungsimpfung das Immunsystem nochmals stimuliert und damit
       insbesondere bei alten Menschen einen länger anhaltenden, besseren Schutz
       etabliert. Vor Erkrankungen, aber vor allem auch vor Ansteckungen.
       
       ## Vollständig geimpft mit drei Dosen
       
       „Es ist für uns schon seit einiger Zeit klar, dass wir dreifach impfen
       müssen“, sagt Leif-Erik Sander von der Berliner Charité, ein Experte für
       Atemwegserkrankungen, der die Wirkung von Covid-Impfstoffen erforscht. „Wir
       müssen beginnen, eine vollständige Impfung als eine Impfung mit drei Dosen
       zu betrachten“, sagte auch Sanders Charité-Kollege, der Virologe Christian
       Drosten, diese Woche im NDR.
       
       Nach dieser Definition wären in Deutschland derzeit allerdings nur drei
       Millionen Menschen, also knapp 3,6 Prozent der Bevölkerung, vollständig
       geimpft. Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Eine doppelte
       Impfung schützt das Gesundheitssystem vor Überlastung und bremst immer noch
       die Verbreitung von Sars-CoV-2, auch wenn die zweite Dosis eine Weile her
       ist. Aber die Geimpften können das Tempo einer sehr raschen Verbreitung des
       Virus nicht abfangen. Das ist jetzt aber der Fall, in der vierten Welle.
       
       Dass die Inzidenz aktuell so atemberaubend schnell steigt, liegt allerdings
       vor allem an der hohen Zahl von Ungeimpften, die überhaupt nicht geschützt
       sind. Fast ein Drittel der Bevölkerung kann das Virus ungehemmt
       weitergeben. Darunter sind 15 Millionen Erwachsene, die seit Monaten eine
       Impfung beanspruchen könnten, es aber bislang nicht getan haben. Viele von
       ihnen haben ein sehr hohes Risiko, schwer zu erkranken und
       intensivmedizinische Betreuung zu benötigen, die schon jetzt nur noch
       begrenzt zur Verfügung steht.
       
       Und sie stellen auch für einen Teil der Geimpften eine Gefahr dar. Ältere
       und vorerkrankte Menschen mit schwachem Immunsystem sind trotz Impfung oft
       schlecht vor einer Infektion und genauso vor schwerer Erkrankung geschützt.
       Sie können sich insbesondere bei ungeimpften Infizierten rasch anstecken,
       insbesondere mit der sehr leicht übertragbaren Deltavariante.
       
       ## Bremsung durch Booster
       
       Eine Booster-Impfung für diese älteren und vorerkrankten Menschen ist der
       beste Weg, das Risiko wieder deutlich zu reduzieren, das haben
       Untersuchungen der Charité gezeigt, an der auch Sander und Drosten
       beteiligt waren. Insgesamt kann eine dritte Dosis für alle Geimpften zudem
       die Übertragung des Virus in der Bevölkerung bremsen. Über den ganzen
       Winter kontrollieren lasse sich das Virus mit Boosterimpfungen aber
       aufgrund der insgesamt geringen Impfquote wohl nicht, sagt Sander.
       
       „Booster sind ein Baustein, den wir jetzt vollständig einbringen müssen –
       und schneller, als es bei den Erstimpfungen im Frühjahr der Fall war.“
       Genauso wichtig ist seiner Ansicht nach aber, die Impflücken zu schließen.
       Dafür sei die Politik gefragt, um Impfungen möglichst überall anzubieten –
       in Apotheken, Impfzentren, Impfmobilen. Das finde bislang nicht statt. „Ich
       sehe keine Impfkampagne“, sagt der Arzt. „Wenn man das mal mit dem
       Wahlkampf vergleicht – es passiert hinsichtlich der Impfungen praktisch
       nichts.“
       
       Und schließlich sieht auch Sander die Notwendigkeit, Kontakte durch eine
       strenge 2G-Regel einzuschränken. „Wir brauchen 2G-Plus, also geimpft oder
       genesen plus Test, um zumindest im Ansatz noch die Hoffnung zu haben,
       größere Einschränkungen verhindern zu können“, sagt der Experte, der
       gemeinsam mit 20 weiteren seriösen Fachleuten gerade ein Strategiepapier
       zum kommenden Corona-Winter veröffentlicht hat. Demnach bleiben Testungen
       ebenfallls wichtig, aber im Gegensatz zu einer schützenden Impfung könnten
       sie die Verbreitung des Virus und die Folgen dieser Verbreitung nicht
       stoppen. „Tests schützen nicht vor Ansteckungen“, sagt Sander.
       
       Doch wenn [3][das, was die Politik nun unternimmt, nicht reicht]? Die
       Experten schlagen einen Notschalter vor. Zwei Wochen lang alles
       dichtmachen, das gesamte Leben runterfahren. Aktuell sieht es von Tag zu
       Tag mehr danach aus, dass dies nötig werden wird.
       
       13 Nov 2021
       
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