# taz.de -- Jugendmagazin „Bravo“ wird 65: Junge Sehnsüchte
       
       > Die „Bravo“ wird 65. Ein Rückblick auf problematische Geschlechterbilder,
       > die Mitschuld am Untergang – und die politische Funktion nach 68.
       
 (IMG) Bild: Ewig jung: die „Bravo“
       
       ## „Jungs wollen immer nur das eine“
       
       Die erste Bravo muss ich irgendwann in der vierten Klasse gelesen haben.
       Dass sie existiert, wusste ich schon vorher, denn meine Eltern hatten früh
       ein Lese- und Kaufverbot ausgesprochen. Der Grund? Ich vermute etwas
       zwischen der Anrüchigkeit, die Bilder von nackten Teenagern und deren
       Bumsgeschichten haben, wenn sie von einem Haufen erwachsener Redakteure
       schlüpfrig aufbereitet werden, und der typischen Mittelschichtsprüderie der
       späten 80er Jahre.
       
       Meine Freundin Karo durfte sich die Bravo schon mit 10 Jahren kaufen. Wenn
       wir bei ihr waren, lasen wir alles über die US-Boyband New Kids on the
       Block. Aber immer häufiger streiften wir auch Sensationsnachrichten über
       jugendliche Drogenopfer, ohnmächtig werdende Fans auf Popkonzerten und die
       Sex-Rubriken, schauten uns seitengroß abfotografierte nackte 16-Jährige an
       und lasen „Mein erstes Mal“.
       
       Waren wir [1][davor noch offen und vorurteilsfrei gegenüber Jungs] und sich
       anbahnender Verliebtheit, wurden wir spätestens jetzt mit der bedrohlichen
       Realität konfrontiert. Das Dr.-Sommer-Team antwortete auf Fragen nach
       Ausfluss im Slip, in den besten Freund verliebt sein und bin ich pervers,
       wenn ich mich selbst befriedige in scheinbar beruhigenden
       Satzkonstruktionen: „Hab keine Angst“, „Wenn er Dich wirklich liebt, wird
       er warten“, „Viele Mädchen in deinem Alter werden erregt, wenn sie …“. Doch
       die bewirkten das Gegenteil.
       
       Denn was wir erfuhren, war: Die Welt ist gefährlich und schlecht. Jungs
       wollen immer nur das eine, Mädchen am liebsten nur kuscheln, und wenn schon
       Sex, dann mit Duftlampe und Kuschelrock. Dabei werden sie aber ständig von
       den Boys unter Druck gesetzt, „es“ endlich zu tun – gemeint war stets der
       Akt vaginaler Penetration.
       
       Die Bravo: der berühmte Autounfall, bei dem man nicht wegschauen kann. Die
       Bild-Zeitung für Einsteiger. Sie verkaufte uns eine engstirnige
       heteronormative Welt, aufgepeppt mit viel nackter Haut, Blut, Sperma und
       den Träumen und Albträumen von Jugendlichen.
       
       [2][Sunny Riedel], 40 Jahre 
       
       ## „Mit allem gewonnen, außer mit Sozialismus“
       
       In den 1970er Jahren wurden in der Bravo insbesondere Schlachten zwischen
       den Anhängern der Gruppe Sweet und denen der Gruppe Bay City Rollers
       ausgetragen. Beziehungsweise, wie man heute weiß, wurden diese Schlachten
       bewusst geschürt, die weiblichen Fans der beiden Kapellen sollten sich in
       die Haare bekommen, eine inszenierte Realität, der verkaufsfördernde
       Wirkung attestiert wurde.
       
       Ob das in seiner Harmlosigkeit ein typisches 70er Ding war, weiß ich nicht,
       aber es wäre folgerichtig: Denn die Gesellschaft war sich in diesem
       Jahrzehnt – abgesehen von ein paar pathetischen RAF-Radikalen und ihren für
       68 zu spät geborenen Claqueuren – bemerkenswert einig in dem Willen,
       gemeinsam nach vorne zu gehen. Tatsächlich waren die wilden End-60er, in
       denen ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung die rebellierende
       studentische Jugend noch gern mit Panzern überrollt gesehen hätte, in ein
       neues Jahrzehnt gemündet, das die gesellschaftlichen Verhältnisse gründlich
       liberalisiert, demilitarisiert und natürlich nicht zuletzt hochgradig
       sexualisiert hatte.
       
       Die 68er hatten mit allem gewonnen, außer mit dem Sozialismus, und wer zu
       lange an entsprechenden Jugendideen festhielt, endete oft genug in Suff,
       Selbstmord oder Hochsicherheitstrakt. Die jüngere und jüngste Jugend aber
       genoss die Freiheit, sich nicht zwischen maoistischen oder anderen
       marxistischen Gruppen entscheiden zu müssen, sondern zwischen Sweet und den
       Bay City Rollers. Und wenn es einen Sinn hat, an diese Epoche zu erinnern –
       außer natürlich den wirklich guten Sweet-Songs „Ballroom Blitz“ und „Love
       is like oxygen“ – dann in dem Sinn, dass die identitätspolitischen
       Bewegungen, also das 68 unserer Tage, nun auch langsam ihre heroische Phase
       hinter sich lassen und ihre emanzipatorischen Inhalte Allgemeingut werden.
       Die Jugend kann also wieder symbolische Feindschaften pflegen, die heute
       selbstverständlich dank Internet ohne Bravo auskommen.
       
       [3][Ambros Waibel], 52 Jahre 
       
       ## „Deep in Digitaliserung“
       
       Es ist das Jahr 2007 und alles verändert sich. Der High-School-Musical-Hype
       löst den Tokio-Hotel-Hype ab: Statt Tom und Bill wird hysterisch nach
       Gabriella und Troy geschrien. Die Casting-Show-Popstars produziert nach
       Monroses keine echten Popstars mehr. Die Auflage der Bravo ist seit 1998 um
       die Hälfte eingebrochen. Bravo TV wird wegen schlechter Quoten eingestellt.
       Moderatorin Gülcan zieht mit It-Girl-Kollegin Collien Fernandes „aufs
       Land“, wie Paris Hilton und Nicole Richie zuvor in der US-Reality-Show „The
       Simple Life“.
       
       Ich, ein elfjähriges Mädchen aus der Mittelschicht, chatte in meiner
       Freizeit mit meinen Mädelzzz (xD) auf Jappy, oder versuche, meine Sims auf
       kreative Art umzubringen. Meine Freizeit findet jetzt in einem massiven
       grauen Windows-Rechner statt.
       
       2007 und wir sind deep in Digitalisierung: 72 Prozent der deutschen
       Haushalte haben einen Computer. Seit Kurzem gibt es Youtube, seine
       Nutzer:innenzahlen steigen rasant. Der neue Nintendo DSi hat eine
       Kamera, die Bilder kann man bearbeiten und verschicken.
       
       Ich trage Mitschuld [4][am Bedeutungsverlust der Bravo]. Einsetzende
       Pubertät, ein Schwarm in der Klasse, die Wii, es gab einfach Spannenderes
       als das altehrwürdige Teenie-Magazin. Die Bravo war für mich bald nur noch
       eine Art Playboy: Vor den Eltern tat ich hin und wieder journalistisch
       interessiert. Aber eigentlich wollte ich nur einmalig das lebensgroße
       Poster von Zac Efron. Oder mit Freundinnen heimlich unter der Bettdecke
       Facts über Selbstbefriedigung lernen.
       
       Trotzdem lebt die Bravo in uns weiter: Wenn Millennials heute feiern – also
       für einen Samtagabend ihr Schicksal zwischen 60-Stunden-Woche und
       Altersarmut vergessen wollen. Dann wird eine Bravo-Hits 2000er Playlist bei
       Spotify vorgekramt. Und zu „The Sweet Escape“ von Gwen Stefani getanzt, als
       wäre Knut der Eisbär noch am Leben. Und das Internet uns noch nicht
       komplett über den Kopf gewachsen.
       
       [5][Emeli Glaser], 25 Jahre
       
       25 Aug 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Gegenvorschlag-fuer-die-Bravo/!5213582
 (DIR) [2] /Sunny-Riedel/!a272/
 (DIR) [3] /Ambros-Waibel/!a67/
 (DIR) [4] /Bravo-in-der-Krise/!5031554
 (DIR) [5] /Emeli-Glaser/!a83189/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Sunny Riedel
 (DIR) Emeli Glaser
 (DIR) Ambros Waibel
 (DIR) Volkan Ağar
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Bravo
 (DIR) Medien
 (DIR) Sexualität
 (DIR) Jugendkultur
 (DIR) Digitalisierung
 (DIR) IG
 (DIR) Hollywood
 (DIR) Medien
 (DIR) Bravo
 (DIR) Bravo
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Männliche Schönheitsideale: Der eigene Körper als Trophäe
       
       Brad Pitt und Til Schweiger feiern 60. Geburtstag. Sie stehen für das
       männliche Schönheitsideal der 90er. Heute sind Sixpacks nicht mehr so
       wichtig.
       
 (DIR) Flirt-Tipps nach Bravo: Das Satiremagazin
       
       „Bravo“ hat sich noch nie als sonderlich politisch korrekt präsentiert.
       Doch wie gut, dass Mädchen und Jungen in der Regel selber denken können.
       
 (DIR) Gegenvorschlag für die „Bravo“: So klappt‘s garantiert
       
       Für ihre 100 Tipps, mit denen „Girls“ den „Jungs“ auffallen, steckte die
       Zeitschrift Bravo viel Kritik ein. Hier sind unsere Tipps für „Boys“.
       
 (DIR) „Bravo“ in der Krise: Dick und gemütlicher
       
       Die Jugendzeitschrift „Bravo“ erscheint ab 2015 nur noch alle 14 Tage,
       dafür dicker und mit mehr Netzthemen. Doch das wird kaum reichen.