# taz.de -- Jura-Prof über Wikipedia-Sperre in Türkei: „Das ist Einschüchterungstaktik“
       
       > In der Türkei gibt es keinen Zugang zu Wikipedia mehr. Yaman Akdeniz
       > spricht über die Hintergründe und einen möglichen Widerstand.
       
 (IMG) Bild: Eine Welt ohne Wissen? Für die türkische Regierung vorstellbar
       
       Seit Samstag sind in der Türkei alle Wikipedia-Seiten gesperrt. Denn die
       Plattform weigert sich, Artikel zu löschen, die aus Sicht der Regierung
       Falschaussagen beinhalten. 
       
       taz: Herr Akdeniz, auf Wikipedia kann jeder über Artikel diskutieren und
       sie ändern, wenn er sie für falsch hält. Hat die türkische Regierung nicht
       verstanden, was Wikipedia ist? 
       
       Yaman Akdeniz: Doch, ich denke schon. Jeder weiß, was Wikipedia ist. Ich
       glaube, tatsächlich ist das Einschüchterungstaktik. Die Türkei hat das in
       der Vergangenheit schon mit Facebook, Twitter, YouTube und Google versucht,
       leider zum Teil erfolgreich. Obwohl wir mit unseren Klagen gegen die
       Sperrungen vor dem türkischen Verfassungsgericht und dem Europäischen
       Gerichtshof für Menschenrechte letztlich Erfolg hatten: Mit der Drohung,
       die ganze Plattform zu sperren, bringen die türkischen Behörden sie dazu,
       einzelne Artikel zu entfernen. Besonders Facebook hat viele Inhalte
       gelöscht. Jetzt versuchen sie es mit Wikipedia.
       
       Weiß man inzwischen, um welche Artikel es genau geht? 
       
       Einmal handelt es sich um den Artikel [1][„Foreign involvement in the
       Syrian Civil War“]. Der zweite trägt den Titel [2][„State-sponsored
       terrorism“]. Beide betreffen auch die Türkei. Wikipedia-Einträge sind
       weniger originäre Artikel, sondern eher Sammlungen, die auf anderen
       primären Quellen beruhen. Die Anschuldigungen gegen Staaten, die
       Terrorismus bezahlen, sind also nicht neu.
       
       Auf welcher rechtlichen Grundlage wurde Wikipedia gesperrt? 
       
       Auf Grundlage des Gesetzes 5651. Seit April 2015 gibt es Regelungen, nach
       denen der Zugang zu Inhalten eingeschränkt werden kann, um die nationale
       Sicherheit und die öffentliche Gesundheit zu bewahren und um Kriminalität
       und die Störung der öffentlichen Ordnung zu verhindern. Das sind sehr vage
       Formulierungen. Inwieweit etwas davon die Sperrung der Wikipedia
       rechtfertigen soll, ist äußerst fraglich. Das Gesetz sagt, dass der
       Premierminister nur in Notfällen zu Zensurmaßnahmen greifen kann. Es gibt
       keinen Notfall. Ganz besonders nicht im Fall von Artikeln, deren Inhalte
       lange bekannt sind. Diese Regelung wird benutzt um Webseiten zu sperren.
       Zum Beispiel sind fast alle kurdischen Nachrichtenseiten auf ihrer
       Grundlage gesperrt worden.
       
       Gibt es Möglichkeiten aus der Türkei heraus, die Sperre zu umgehen? 
       
       Man kann das Tor-Netzwerk und VPN-Dienste verwenden. Aber seit dem
       Ausnahmezustand geht die türkische Regierung gegen VPN-Dienste vor und
       einige funktionieren nicht mehr in der Türkei. Sicher gibt es immer
       technische Möglichkeiten, solche Sperren zu umgehen. Aber nicht jeder hat
       das Wissen dazu.
       
       Wie sollte Wikipedia reagieren? 
       
       Genau wie wir haben sie die Entscheidung angefochten. Wenn sie nicht
       rückgängig gemacht wird, werden wir alle vor dem Verfassungsgericht klagen,
       denke ich. Und wenn das nichts bringt, werden wir den Fall vor den
       Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte bringen. Die
       Wikipedia-Foundation sollte auf keinen Fall Inhalte löschen.
       
       3 May 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://en.wikipedia.org/wiki/Foreign_involvement_in_the_Syrian_Civil_War
 (DIR) [2] https://en.wikipedia.org/wiki/State-sponsored_terrorism
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Martin Thoma
       
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