# taz.de -- Kämpfe erschüttern Tripolis: Libyens neuer Milizenkrieg
       
       > In Libyens Hauptstadt bekriegen sich seit Montag rivalisierende Milizen.
       > Es ist ein Stellvertreterkrieg zwischen sich messenden Machtzentren.
       
 (IMG) Bild: Libysche Sicherheitskräfte stehen Wache in Tripolis
       
       TUNIS taz | Bei Kämpfen zwischen zwei bewaffneten Gruppen in der libyschen
       Hauptstadt sind seit Montag mindestens 55 Zivilisten ums Leben gekommen.
       Die Krankenhäuser von Tripolis meldeten mindestens 100 Verletzte, die in
       das Kreuzfeuer schwer bewaffneter Milizionäre inmitten der Wohngebiete von
       Ain Zara am südlichen Stadtrand geraten waren.
       
       Auslöser der Straßenkämpfe war die Festnahme von Mahmoud Hamza, Kommandeur
       der “Brigade 444,“ durch die am Flughafen von Tripolis stationierte
       “Deterrence Force“ (SDF). Beide Milizen werden von der Regierung in
       Tripolis bezahlt, handeln aber wie die anderen bewaffneten Gruppierungen in
       Tripolis oft eigenmächtig.
       
       Obwohl die in der ganzen Stadt hörbaren Einschläge von Luftabwehrraketen
       und schwerem Maschinengewehrfeuer am Mittwoch morgen deutlich nachließen,
       trauten sich weiterhin nur wenige Bewohner im Süden der Stadt aus ihren
       Häusern.
       
       Riesige schwarze Rauchwolken signalisierten, dass die zuletzt stabil
       erscheinende politische Patt-Situation im ungeklärten Machtkampf zwischen
       den rivalisierenden west- und ostlibyschen Machtzentren nur eine Atempause
       gewesen sind. Unterschiedliche Milizen in Tripolis sind mit der ein oder
       anderen Seite verbündet.
       
       ## Beide Machtzentren erkennen sich gegenseitig nicht an
       
       In Tripolis amtiert der im Februar 2021 aus internationalen
       Friedensbemühungen hervorgegangene Premierminister [1][Abdulhami Dbaiba],
       der aber eigentlich nur übergangsweise regieren sollte und dessen Mandat im
       Dezember 2021 abgelaufen ist.
       
       Der in Ostlibyen herrschende Feldmarschall [2][Chalifa Haftar, der 2019-20
       vergeblich versucht hatte], ganz Libyen zu erobern und Tripolis monatelang
       belagerte, erkennt Dbaiba nicht mehr an. Aber bislang begnügte sich der
       74-Jährige mit der Stabilisierung seines Machtbereiches im Osten Libyens,
       wo die größten Gas- und Ölvorkommen des Kontinents gefördert werden.
       
       Während die beiden Machtzentren sich politisch gegenseitig nicht
       anerkennen, arbeiten sie ökonomisch zusammen. Der Sold von Haftars
       Milizenallianz wird von der Zentralbank in der in Westlibyen liegenden
       Hauptstadt Tripolis beglichen. Dort wiederum landen die reichlich
       sprudelnden Öleinnahmen aus dem Export aus Ostlibyen.
       
       Mit diesen Geldern stützt die Regierung Dbaiba nebenbei auch die
       Zentralbank der Türkei, deren Militärhilfe 2020 dafür gesorgt hatte, dass
       Haftar seine Belagerung von Tripolis beenden und sich nach Ostlibyen
       zurückziehen musste. Dbaiba hat zahlreiche staatliche Aufträge an türkische
       Firmen vergeben.
       
       ## Konfliktlösung tritt seit Jahren auf der Stelle
       
       Die neuen Kämpfe in Tripolis sind nun eine Art Stellvertreterkrieg. Die
       Brigade 444 hält zu Premier Dbaiba. Der SDF werden Kontakte in das Lager
       Haftars nachgesagt.
       
       Denn die politische Konfliktlösung tritt seit Jahren auf der Stelle.
       [3][Die ursprünglich für Dezember 2021 geplante Neuwahl von Parlament],
       Regierung und Staatspräsident in Libyen scheiterte wenige Tage vor der
       Öffnung der Wahllokale, weil international niemand bereit war,
       Wahlergebnisse notfalls auch gegen den Willen der Milizen durchzusetzen.
       
       Daher versucht Premier Dbaiba nun, das Milizenkartell von Tripolis mithilfe
       der Brigade 444 unter Kontrolle zu bringen. Der am Montag verhaftete
       Kommandeur Mahmud Hamsa wurde inzwischen an Mittelsmänner übergeben. Doch
       die Brigade 444 ist in Ain Zara auf dem Vormarsch und verlangt seine
       bedingungslose Freilassung. Der Flughafen von Tripolis, der wegen der
       Kämpfe geschlossen war, wurde am Mittwoch wieder von einigen zivilen
       Passagiermaschinen angeflogen.
       
       Sollte sich die Niederlage der Deterrence Force bestätigen, hätte Premier
       Dbaiba seine Macht in Tripolis entscheidend gefestigt – auf Kosten ziviler
       Opfer und massiver Zerstörungen im Süden der Hauptstadt. Ein weiteres Opfer
       wären westliche Lösungskonzepte: Auf die Idee von Neuwahlen angesprochen,
       reagieren viele Tripolitaner nur noch mit einem müden Lächeln.
       
       16 Aug 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Abdul-Dbaiba-wird-Premierminister/!5749636
 (DIR) [2] /Haftars-Niederlage-in-Libyen/!5684933
 (DIR) [3] /Rueckschlag-fuer-Wiederaufbau-des-Staates/!5824072
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Mirco Keilberth
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Milizen in Libyen
 (DIR) Libyen
 (DIR) Nordafrika
 (DIR) Tripolis
 (DIR) Machtkampf
 (DIR) Abdul Hamid Dbaiba
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Libyen
 (DIR) Unwetter
 (DIR) Libyen
 (DIR) Abdul Hamid Dbaiba
 (DIR) Niger
 (DIR) Schlagloch
 (DIR) Tunesien
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Nach der Überschwemmung in Libyen: Das Misstrauen bleibt
       
       Die Katastrophe im Osten Libyens hat die Stadt Darna besonders getroffen.
       Die Überlebenden leiden nicht nur unter dem Verwesungsgeruch.
       
 (DIR) Wetterkatastrophe in Libyen: Halbe Stadt ins Meer gespült
       
       Tausende Tote, Zehntausend vermisst: Die Flutkatastrophe in Libyen trifft
       das Land umso mehr, als es seit zwölf Jahren von Konflikten gebeutelt ist.
       
 (DIR) Überschwemmungen in Libyen: Regierung befürchtet Tausende Tote
       
       Begleitet von heftigem Regen hat das Sturmtief „Daniel“ den Osten Libyens
       erfasst. Laut Rotem Kreuz und Rotem Halbmond werden etwa 10.000 Menschen
       vermisst.
       
 (DIR) Unruhen in Libyen: Diplomatisches Eigentor
       
       Mit dem Bekanntmachen des Außenministertreffens hat sich Israel selbst
       geschadet. Für die libyschen Oppositionellen ist es ein gefundenes Fressen.
       
 (DIR) Geheimtreffen Israel und Libyen: Forderung nach Rücktritt
       
       Die libyische Außenministerin trifft sich in Italien mit Israels
       Außenminister. Als das bekannt wird, kommt es in Libyens Hauptstadt zu
       Protesten.
       
 (DIR) Auswirkungen des Putsches in Niger: Längere Flüge, höhere Preise
       
       Der Putsch in Niger beeinflusst den Flugverkehr zwischen Europa und Afrika.
       Flüge werden umgeleitet, der Kerosinverbrauch steigt.
       
 (DIR) Zukunft der Demokratien: Die Krisen des Westens
       
       Im globalen Rahmen sind wir im Westen die Arschlöcher. Aber Selbsthass und
       Ressentiments machen die Luft trotzdem nicht besser.
       
 (DIR) Tunesien deportiert Migrant:innen: In die Wüste verschleppt
       
       Tunesien setzt Migrant:innen im Grenzgebiet zu Libyen aus. Menschen in
       der Region machen entsetzliche Funde, wie neue Videos und Fotos zeigen.