# taz.de -- Nachrufe über Franz Beckenbauer: Geschichten vom unschuldigen Franz
       
       > Kritische Worte über Franz Beckenbauer? Geht gar nicht, pietätlos! Dabei
       > braucht es ein aufrichtiges Interesse an seiner Vergangenheit.
       
 (IMG) Bild: Für den Kaiser bitte nur Lobpreisungen, Seufzer und Blumen
       
       Wenn Fußballspieler*innen sterben, verschwinden alle Farbaufnahmen,
       die von ihnen existierten, und übrig bleiben nur noch
       Schwarzweißfotografien. In den zugehörigen Artikeln wird nicht gespart an
       salbungsvollen Worten; es ist wichtig, dass die Autor*innen am Ende des
       Textes von sich selbst gerührt sind, ähnlich gerührt wie hoffentlich die
       Leser*innen, und in dieser Gemeinschaft der Gerührten finden sich Trost und
       Zusammengehörigkeitsgefühl.
       
       Ein letztes Geschenk der Verstorbenen an die Hinterbliebenen, die über alle
       Differenzen hinweg sich einträchtig an der Hand nehmen und sich ins
       Knopfloch weinen, in den Ärmel schniefen. De mortuis nil nisi bene, heißt
       es dann, alle nicken.
       
       [1][Anlässlich des Todes von Franz Beckenbauer] hat jetzt Christian
       Streich, eine Art gutes Gewissen der Fußballnation, nochmal alle
       abgekanzelt, die nicht in die Seufzer und Lobpreisungen einstimmen wollten.
       
       „Der Franz“, wie der Christian ihn nennt, sei ja „alles“ gewesen, bis dann
       eine heuchlerische Bande den Daumen nach unten gereckt habe, nachdem er die
       WM 2006 nach Deutschland geholt habe. Dabei habe der Franz nur den Willen
       aller umgesetzt, weil ja alle die WM in Deutschland haben wollten, und es
       hätten ja auch alle davon profitiert, und endlich habe man sich als
       Deutsche*r der Welt wieder von seiner sympathischen Seite präsentieren
       dürfen, und außerdem hat ihm eine Visagistin gesagt, Franz Beckenbauer sei
       der netteste Mann bei Sky, und damit sei auch alles gesagt.
       
       ## Andere Erinnerungen
       
       Es wird Menschen, die in solchen Momenten etwas reservierter kucken, gerne
       vorgeworfen, ihnen gebreche es an Menschlichkeit. Dabei ist es egal,
       weswegen sie sparsam kucken: sei es wegen der [2][nie abschließend
       aufgearbeiteten Korruptionsverdachtsmomente], sei es, weil nicht alle die
       WM 2006 in derart guter Erinnerung haben wie Christian Streich, sondern sie
       eher als Ausgangspunkt sehen für einen wiedererstarkenden Nationalismus,
       als der Moment, an dem viele Deutsche wieder gemerkt haben, wie sie gehen
       und gehen wollen ([3][nicht so wie die Gauchos nämlich]).
       
       In die Trauer um Franz Beckenbauer mischt sich auch die Hoffnung, selbst
       Vergebung zu finden; zum Beispiel bei Matthias Sammer, der relativ
       unumwunden zugibt, dass es wahrscheinlich Korruption gegeben hat. Im
       Interview mit T-online sagte er: „Wir alle haben Franz Beckenbauer
       vorgeschickt und alle wussten, mit welchem korrupten System, welchen
       Anforderungen, die dieses Fifa-Konzil in sich trägt, er es am Ende zu tun
       haben würde.
       
       Ich weiß nicht, wie er es am Ende geschafft hat, die WM 2006 nach
       Deutschland zu bringen. Ihn dann aber so zu attackieren, weil er dafür
       dieses System irgendwo bearbeiten musste, das ist Heuchelei. Das tut mir
       sehr, sehr weh. Ich finde es unwürdig und schäme mich ein Stück weit dafür,
       was wir, dieses ganze Land und unsere Medien ihm angetan haben.“
       
       Das ist schon eine bemerkenswerte Erzählung: der unschuldige kleine Franz
       wird in eine verkommene Welt hinein ausgesetzt, und ganz auf sich allein
       gestellt, erreicht er doch das Unmögliche. Und statt ihn zu feiern dafür,
       dass er das Unmögliche geschafft hat, steht auf dem Marktplatz der Pranger,
       vor dem er sich den Rest seines Lebens in seiner Villa verstecken muss. Es
       stellt sich die Frage, welche Eigeninteressen sich hinter der Trauer über
       den Tod Beckenbauers notdürftig verstecken, aber auch dies wohl eine Frage,
       die schnell als pietätlos abgetan wird.
       
       Möge die Trauer um Franz Beckenbauer schnell verrauchen, damit jene, die
       sich tatsächlich für ihn und sein Wirken interessieren, wieder die Arbeit
       aufnehmen können. Am 4. 3. 2024 nimmt das Landgericht Frankfurt die
       Verhandlungen zum Korruptionsskandal wieder auf. Dann werden die Bilder
       sicher auch wieder bunt.
       
       17 Jan 2024
       
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