# taz.de -- Nationalpark Ostsee vor dem Aus: Widerstand in den eigenen Reihen
       
       > Der Nationalpark Ostsee ist das Herzensprojekt von Schleswig-Holsteins
       > grünem Umweltminister. Doch die CDU will nicht mehr mitziehen.
       
 (IMG) Bild: Wenn das Land zu dir spricht: Fehmarn grüßt Schleswig-Holsteins Ministerpräsidenten Daniel Günther
       
       KIELtaz | Anfang Juli an einem sommerlichen Nachmittag steht Tobias
       Goldschmidt im Kieler Stadtteil Holtenau auf einer Kaimauer am Ostseearm
       Kieler Förde. Ein leichter Wind weht, Möwen schweben am blauen Himmel –
       perfekt für die Fernsehbilder und die Pressekameras. Es ist ein angenehmer
       Termin für Goldschmidt, Minister für Energiewende, Klimaschutz, Umwelt und
       Natur des Landes Schleswig-Holstein: Der Grünen-Politiker unterschreibt
       gemeinsam mit der Naturschutzorganisation BUND eine Absichtserklärung.
       
       Es geht um [1][den Ostsee-Nationalpark], Goldschmidts Wunschprojekt für
       diese Wahlperiode, das es in den Koalitionsvertrag von Schwarz-Grün
       schaffte. Ergebnisoffen sollte geprüft werden, ob ein Nationalpark das
       passende Instrument zum Schutz des Binnenmeers ist. Doch nun ist klar:
       Ergebnisoffen ist hier gar nichts mehr.
       
       Der Koalitionspartner CDU hat sich parteiintern von dem Projekt
       verabschiedet. Auf seinem Landesparteitag am 5. Oktober soll das Aus
       endgültig besiegelt werden. Beschlossen werden soll stattdessen ein
       Sechspunkteplan, um die Ostsee besser zu schützen. Die CDU will unter
       anderem auf ein freiwilliges Aktionsbündnis setzen, um die Interessen aller
       – von Seebestattern und Bootsverleihern über die Bundeswehr und
       Hafenwirtschaft bis zur Fischerei – unter einen Hut zu kriegen.
       
       Außerdem sollen freiwillige Vereinbarungen weiterentwickelt und die
       Munitionsaltlasten aus dem Binnenmeer geborgen werden. Gemeint ist die
       Kriegsmunition, die tonnenweise auf dem Grund der Ostsee liegt und durch
       langsame Zersetzung eine große Gefahr für Tiere und Pflanzen birgt. Hier
       sieht die CDU nun vor allem den Bund in der Pflicht. Ein Nationalpark sei
       keine geeignete Lösung, um den Herausforderungen des Ostseeschutzes zu
       begegnen, heißt es in dem fünfseitigen Antrag, der der taz vorliegt.
       
       Neben den CDU-Kreisverbänden Ostholstein, Rendsburg-Eckernförde, Flensburg
       und Schleswig-Flensburg gehört zu den Antragstellern auch der
       Landesvorstand – der Antrag dürfte also die Zustimmung von Landesparteichef
       und Ministerpräsident Daniel Günther finden und mit deutlicher Mehrheit
       angenommen werden. Die Grünen wären in der Koalition überstimmt, der
       Nationalpark wäre vom Tisch.
       
       ## Die Ostsee ist schwer krank
       
       Die Situation hat allerdings nichts mit einem Wünsch-dir-was zu tun: Auch
       wenn die Ostsee an Tagen mit blauem Himmel, Möwengeschrei und sanftem
       Wellenschlag wie ein Bilderbuchgewässer aussieht: Sie ist schwer krank.
       
       Rund 400.000 Quadratkilometer umfasst das Binnenmeer, an das Deutschland,
       Polen, die baltischen Staaten Litauen, Lettland und Estland sowie Russland
       und die skandinavischen Länder Finnland, Schweden und Dänemark angrenzen.
       Traditionell ist das Meer für sie alle Handels- und Reiseroute. Allein in
       der Kieler Förde zählt die Statistik des Wasser- und Schifffahrtsamts
       (WSA) mehr als 36.000 Schiffsbewegungen pro Jahr, davon 915 Schiffe, die
       länger als 230 Meter sind.
       
       Fast ebenso viele Schiffe kreuzen den schmalen Fehmarnbelt. Den
       Nord-Ostsee-Kanal, der sich mit dem Titel der meistbefahrenen künstlichen
       Wasserstraße der Welt schmückt, passieren pro Jahr rund 27.000 Schiffe:
       Frachter, Kreuzfahrtschiffe, Fischkutter und Segelboote. Dabei ist die
       Ostsee, deren mittlere Tiefe nur 52 Meter beträgt, ein hochsensibles
       Gewässer, das nur durch wenige schmale Zugänge mit den Weltmeeren verbunden
       ist.
       
       In dem gering salzhaltigen Brackwasser nahe den Küsten haben die
       Ostseeheringe ihre Laichplätze, auch zahlreiche andere Tier- und
       Pflanzenarten haben sich an die Verhältnisse angepasst. Aber jahrelange
       Überfischung hat die Bestände reduziert, die Klimaerwärmung macht sich
       bemerkbar. Es gibt bereits große sogenannte Todeszonen in dem Binnenmeer,
       in denen der Sauerstoff nicht mehr für das gewohnte Tier- und
       Pflanzenwachstum ausreicht.
       
       ## Der Nabu in der Hochburg der Gegner
       
       „Die Ostsee ist ein ebenso wertvoller wie fragiler Lebensraum“, heißt es im
       Koalitionsvertrag der schwarz-grünen Landesregierung. „Entsprechend
       internationalen Schutzabkommen, dem Green Deal der EU und der
       Biodiversitätsstrategie des Landes ist es unser Ziel, den Meeresschutz in
       der schleswig-holsteinischen Ostsee zu verbessern.“
       
       Aber wie? Dass das Meer besseren Schutz braucht, darin stimmen die meisten
       Beteiligten überein. Doch gegen Goldschmidts Idee gab es von Anfang an
       heftigen Widerstand. Eines seiner Zentren ist die Insel Fehmarn.
       
       Im August machte der Nabu auf seiner mehrtägigen „Nabu macht Meer“-Tour mit
       dem Traditionssegler „Ryvar“ auf Fehmarn fest. „Wir sind hier in der
       Hochburg der Gegner“, sagte Ingo Ludwichowski, Geschäftsführer des Nabu
       Schleswig-Holstein. Er ist für den Nationalpark, weil trotz der bestehenden
       Schutzgebiete einfach zu wenig passiert sei.Es fehle auch an Ressourcen und
       Personal. Darum müsse sich was ändern.
       
       Die Nabu-Leute bauten im Hafen Burgstaaken einen Infostand auf,
       organisierten eine Podiumsdiskussion, Thema: [2][Munitionsaltlasten im
       Meer]. Die üblichen Beschimpfungen wie „Klimakleber“ und „grüne
       Terroristen“ habe es gegeben, sagt Ludwichowski, aber es sei insgesamt sehr
       konstruktiv gewesen.
       
       ## Das Thema der Stunde
       
       Tatsächlich muss man nicht lange nach Gegner*innen des Nationalparks
       suchen. Kaum trifft man mit Leuten von der Insel zusammen, sei es beim
       Essen nach der freitäglichen Segelregatta, sei es beim Besuch im Hafen
       Burgstaaken, ploppt das Thema auf. Die allermeisten leben hier vom
       Tourismus: Camping, Gastronomie, Wassersport. Die Angst, dass weite Teile
       der Küste zu Nullnutzungszonen erklärt werden könnten, ist groß, das
       Vertrauen in das grün geführte Umweltministerium in Kiel gering.
       
       Auch Ministerpräsident Daniel Günther bekam den Widerstand zu spüren, als
       er Ende August auf Fehmarn war. Hunderte Menschen hatten sich vor dem
       Rathaus in Burg versammelt, wo Günther sich mit Vertreter*innen aus
       Kommunalpolitik, Tourismus und Verwaltung traf, um über den
       Fehmarnbelttunnel nach Dänemark und über die Nationalparkpläne zu sprechen.
       Sie hatten Trillerpfeifen und Plakate dabei, auf denen etwa stand: „Daniel,
       tue uns das nicht an“.
       
       Auf ein Feld an der Südküste der Insel hatten Gegner*innen des
       Nationalparks den Schriftzug „Daniel, wir wollen deinen Nationakpark
       nicht!“ gemäht. Und Günther stellte sich den Demonstrierenden in Burg,
       sprach mit einigen, betonte, dass noch nichts entschieden sei.
       
       ## Die CDU hält am Narrativ fest
       
       Denn eigentlich befindet sich die Landesregierung mitten in einem
       „intensiven Konsultationsprozess mit den Ostsee-Anrainerkreisen und
       -kommunen sowie den relevanten gesellschaftlichen Interessenvertretungen an
       der Ostsee“, genau wie CDU und Grüne es im Koalitionsvertrag vereinbart
       haben. In der Mitte der Legislaturperiode will „die Koalition darüber
       entscheiden, ob und in welcher Form wir den Park auf den Weg bringen
       werden“.
       
       An diesem Narrativ hält die CDU fest: Man wolle den von Goldschmidt
       gestarteten Konsultationsprozess wie vereinbart zu Ende führen, hieß es
       diese Woche. In ihrem Antrag für den Landesparteitag steht allerdings unter
       dem Kapitel „Unsere Lösung“ auch, ebenjener Konsultationsprozess habe
       bereits jetzt ergeben, dass ein Nationalpark die Probleme der Ostsee nicht
       löse.
       
       Konkret will das grün geführte Umweltministerium eine Fläche von rund
       160.000 Hektar unter Schutz stellen. Das skizzierte Gebiet reicht von der
       Flensburger Förde über die Mündung des Ostseefjords Schlei, die südliche
       Eckernförder Bucht und die östliche Kieler Bucht bis östlich der Insel
       Fehmarn. Rund die Hälfte dieser Fläche, etwa 800 Quadratkilometer, hätten
       zur sogenannten Kernzone erklärt werden sollen, in der Fischerei verboten
       und Sportarten wie Surfen und Kiten nur mehr eingeschränkt möglich gewesen
       wären. Segeln und baden wären erlaubt geblieben.
       
       Der Nationalpark könnte zwar nicht alle Probleme lösen, sei aber ein
       wichtiger Hebel, mehr Schutz durchzusetzen und den rechtlichen Status des
       Gewässers zu verbessern, argumentieren Fachleute des Ministeriums sowie der
       Naturschutzorganisationen.
       
       ## Reichlich Gegenwind
       
       Goldschmidt tourt seit Wochen durch Küstenorte, und das bei reichlich
       Gegenwind. Nur selten bekam er einen so schönen verbalen Rettungsanker
       zugeworfen wie beim Pressetermin auf der Kaimauer: „Der Nationalpark bietet
       viele Chancen“, sagte Ole Eggers, Geschäftsführer des BUND
       Schleswig-Holstein. „Wir wollen den Prozess unterstützten.“
       
       Artig bedankte sich Goldschmidt für das „klare Bekenntnis“ – das allerdings
       nicht viel wert ist, wie sich jetzt deutlich zeigt: Dass sich eine
       Naturschutzorganisation für mehr Naturschutz ausspricht, überrascht nicht.
       Schwerer wiegt, dass sich so viele andere Gruppen so klar dagegen
       ausgesprochen haben: Neben den Fischer*innen sehen auch die
       Wassersportvereine das Vorhaben kritisch. Sie erklärten in offenen Brief an
       den Ressortchef, „ein Erfordernis für einen Nationalpark“ sei bisher nicht
       ausreichend begründet worden.
       
       Auch aus dem politischen Raum hagelt es schon länger Kritik. „Die
       Landesregierung muss endlich die Reißleine ziehen und ihre
       symbolpolitischen Nationalparkpläne versenken“, sagte etwa der
       FDP-Landtagsabgeordnete Oliver Kumbartzky. Der Park sei ein „falsches
       Instrument“, den Grünen gehe es nur um ein „parteipolitisches Denkmal“.
       
       Er reagierte damit auf einen offenen Brief, mit dem Goldschmidt Ende Juni
       für den Park geworben hatte. Darin schreibt der Minister von
       schützenswerten Riffen, von bedrohten Arten, benennt aber auch Chancen für
       den Tourismus, wenn das Meer als Park beworben werden könne. Und er warnt
       davor, noch mehr Zeit zu verlieren: „Unsere Ostsee ist ein großes
       ökologisches Kapital. Doch dieses große Kapital drohen wir zu verspielen.“
       
       ## Ohne Naturschutz kein Tourismus
       
       Unterstützung, zumindest eine halbe, bekam Goldschmidt vor ein paar Wochen
       noch von Ministerpräsident Daniel Günther selbst. Der sagte während seines
       Besuchs auf Fehmarn, Fischerei, Wassersport oder Tourismus gehörten zur
       Identität des Landes und stünden nicht zur Diskussion. Doch er betonte:
       „Diese Bereiche haben aber nur dann eine Zukunft, wenn die Ostsee eine hat,
       und zwar als intaktes System.“ Wenn die Identität des Landes erhalten
       werden solle, dürfe man sich [3][einem besseren Schutz] nicht in den Weg
       stellen: „Ich wäre sonst auch bereit, Widerstände zu überwinden.“ Das liest
       sich jetzt, nach der Absage an die Park-Pläne, etwas anders. Offenbar ist
       er auch bereit, Widerstände in der eigenen Koalition zu überwinden.
       
       Fraglich ist nun, was es für die schwarz-grüne Koalition bedeutet, wenn der
       Ministerpräsident an jenem Wunschprojekt sägt, mit dem der grüne Partner
       den Wahlkampf maßgeblich bestritt und für das Umweltminister Goldschmidt
       steht.
       
       Die SPD-Umweltpolitikerin Sandra Redmann sprach diese Woche schon davon,
       dass die CDU den kleineren Koalitionspartner „mit dem Nasenring durch die
       Manege“ führe. Und die Grünen-Co-Landesvorsitzende Anke Erdmann sagte, dass
       es in einer guten Beziehung ab und zu mal krache. Das bedeute nicht, dass
       man sich gleich trenne. „Es ist klar, dass man nicht auf Biegen und Brechen
       beieinanderbleibt.“ Eine Trennung sei nie ausgeschlossen, aber momentan
       sehe sie das nicht.
       
       Und Goldschmidt? Bleibt auf seinem Kurs: „Die Ostsee ist ein sterbendes
       Meer. Ich fühle mich dem Meeresschutz und den Menschen im Land
       verpflichtet, die zukünftig von, an und mit einer gesunden Ostsee leben
       wollen“, sagte der Grünen-Politiker am Mittwoch. „Für mich ist klar, dass
       ein Nationalpark das beste Instrument für den Schutz unserer Ostsee ist.“
       
       18 Sep 2023
       
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