# taz.de -- Neuer DGB-Chef über Geld: „Geiz ist nicht geil“
       
       > Reiner Hoffmann soll am Montag an die Spitze des DGB treten. Ein Gespräch
       > über den Wert der Arbeit, die Rente der Zukunft und Europa.
       
 (IMG) Bild: Seit Montag haben die Genossen einen Neuen.
       
       taz: Herr Hoffmann, der Deutsche Gewerkschaftsbund steht für Solidarität
       der Menschen untereinander. Aber kann man von Solidarität sprechen, wenn
       künftig Facharbeiter mit 63 Jahren aussteigen können, aber alle Rentner
       dies mit einem schneller sinkenden Rentenniveau bezahlen? 
       
       Reiner Hoffmann: Es wird immer der Versuch gemacht, einzelne
       Beschäftigtengruppen gegeneinander auszuspielen. Wir als DGB haben mit
       unserem rentenpolitischen Konzept aber alle Beschäftigten im Blick. Die
       Rente mit 63 ist gerecht. Aber wir müssen die Altersarmut insgesamt
       bekämpfen. Das darf nicht erst im Rentensystem ansetzen.
       
       Stichwort Altersarmut: Laut Koalitionsvertrag sollen Geringverdiener,
       darunter viele Teilzeit arbeitende Frauen, später einen Zuschuss zur
       niedrigen Rente bekommen. Manch männlicher Vollzeitarbeitnehmer murrt
       darüber. 
       
       Das mag sein, dass der Facharbeiter mal nörgelt. Aber da müssen und können
       wir Aufklärungsarbeit betreiben. Und es muss eine neue Ordnung der Arbeit
       geben, die es Frauen ermöglicht, Familie und Beruf besser zu vereinbaren –
       und so Altersarmut vermeidet.
       
       Bleiben wir beim Thema Solidarität und Gerechtigkeit. Heute gilt eine
       vierköpfige Familie mit einem Einkommen von 4.700 Euro netto als zu stark
       belastet. Gefordert wird ein Abbau der kalten Progression. Ist diese
       steuerliche Entlastung nötig? 
       
       Die untere Mittelschicht wird durch die kalte Progression am stärksten
       belastet. Da brauchen wir dringend eine Korrektur. Wir wollen ja keine
       Tarifpolitik für den Finanzminister, sondern für die Beschäftigten machen,
       deren Lohnsteigerungen von der kalten Progression aufgefressen werden.
       
       Sie fordern den Abbau der kalten Progression, die ja Steuermindereinnahmen
       bedeutet, obwohl die Gegenfinanzierung nicht gesichert ist? 
       
       Wir fordern auch die Gegenfinanzierung. Und es geht nicht nur um die kalte
       Progression: Wir brauchen insgesamt mehr Steuergerechtigkeit. Wir haben
       einen riesigen Investitionsstau, egal ob wir auf die Infrastruktur oder
       Bildungseinrichtungen schauen.
       
       Die systematische Unterfinanzierung des Staats muss korrigiert werden. Und
       zwar nicht dadurch, dass man die Mittelschicht immer mehr belastet, sondern
       Personen mit hohen Kapitalvermögen. So ist nicht zu erklären, dass ein
       Beschäftigter eventuell 42 Prozent an Steuern auf einen Teil seines
       Einkommens zahlt, der Besitzer von großen Kapitalvermögen aber nur 25
       Prozent auf seine Erträge.
       
       Beim letzten Wahlkampf sind die Grünen abgestraft worden, als sie von
       Besserverdienenden höhere Steuern verlangten. Der Mittelstand an
       Unternehmern fühlt sich schnell geschröpft. 
       
       Wir müssen dem Mittelstand viel deutlicher machen, dass wir ihm nichts
       wegnehmen wollen. Diese Verteilungsdebatte ist anspruchsvoll, aber wir
       müssen sie führen.Wir müssen auch klarmachen, wofür wir das Geld brauchen:
       Im öffentlichen Bereich wurde zu viel gekürzt. Ich komme aus einer Kommune,
       in der in den letzten zehn Jahren Schwimmbäder dichtgemacht wurden. Das ist
       erschreckend.
       
       Die Sorge vor höheren Abgaben und Preisen ist aber weit verbreitet.
       Stichwort Mindestlohn: Jetzt wird Angst geschürt, er könnte Arbeitsplätze
       kosten und die Konsumenten müssten deutlich mehr bezahlen. 
       
       Ich sage ganz klar: Geiz ist nicht geil. Wir müssen wieder über den Wert
       der Arbeit sprechen. Wenn der Spargel 20 Cent mehr kosten soll, dann ist
       das doch in Ordnung. 8,50 Euro die Stunde an Lohn sind nicht viel. Nehmen
       Sie den ganzen Pflegebereich. Es ist katastrophal, wie Menschen dort
       arbeiten. Wir betrachten die ganze Debatte auch zu selten aus der Sicht der
       Dienstleistungsempfänger, in diesem Fall etwa der Pflegebedürftigen, die im
       Alter würdig versorgt werden wollen.
       
       Ihr Start ins Amt wird voraussichtlich mit einem harmonischen DGB-Kongress
       beginnen. Nur die Frage gesetzliche Tarifeinheit wird kontrovers
       diskutiert. Wie stehen Sie dazu, die Tarifeinheit per Gesetz
       vorzuschreiben? 
       
       Wir haben ein Interesse, den Grundsatz „ein Betrieb, ein Tarifvertrag“
       wieder zu stabilisieren. Die Arbeitgeber haben in den letzten Jahren
       wesentlich durch Tarifflucht dazu beigetragen, dass die Tarifeinheit
       geschwächt wurde. Wenn die Arbeitgeber das einsehen, wäre ein großer
       Schritt hin zur Tarifeinheit getan. Keiner kann wollen, dass
       unterschiedliche Gewerkschaften in einen Wettbewerb treten, wer im Betrieb
       mehr herausholt. Aber wir wollen keine gesetzgeberische Lösung, die das
       Streikrecht einschränkt. Da wird keine der acht Einzelgewerkschaften des
       DGB mitspielen.
       
       Ist eine gesetzgeberische Lösung überhaupt notwendig? 
       
       Die große Frage ist doch, gibt es eine gesetzliche Regelung, die zwei Dinge
       erfüllt? Sie muss verfassungskonform sein und darf keinen Eingriff ins
       Streikrecht bedeuten. Alles andere ist nicht akzeptabel.
       
       Die Gewerkschaften fordern ein demokratischeres und soziales Europa. Der
       Zug fährt aber in eine andere Richtung. Wird mit Ihnen, Sie haben lange auf
       europäischer Ebene gearbeitet, der DGB in der Europafrage deutlicher zu
       hören sein? 
       
       Wir brauchen eine völlig andere Strategie zur Überwindung der Krise. Die
       Austeritätspoltik hat die Volkswirtschaften im Süden an den Abgrund
       gedrängt. Wir brauchen ein Investitionsprogramm, aber auch eine neue
       Architektur der Finanzmärkte, um das immens hohe Privatvermögen, das an den
       Finanzmärkten herumvagabundiert, wieder in die Realwirtschaft zu führen.
       
       Wachsen Ihnen als SPD-Mitglied beim Europakapitel des Koalitionsvertrags
       nicht graue Haare? Da werden neben schöner Lyrik vor allem Krisenstrategien
       beschworen, die einseitig auf Haushaltskonsolidierung setzen. 
       
       Es ärgert mich zutiefst, dass das Thema Europa eines der größten
       Schwachstellen im Koalitionsvertrag ist. Wir erleben eine systematische
       Entdemokratisierung der europäischen Politik. Dem Europäischen Parlament
       wurde beim Fiskalpakt jegliche Form der Mitbestimmung entzogen. Das
       EU-Parlament braucht endlich ein Initiativrecht, um selbst Gesetze
       vorschlagen zu können. Und ich kann mir sehr klare Vertragsreformen
       vorstellen.
       
       Welche? 
       
       Statt einseitig auf Haushaltskonsolidierung zu fokussieren, könnte man
       festlegen, dass Länder, die die Haushaltskriterien verletzen, für zwei bis
       drei Jahre die Steuern erhöhen müssen. Dann könnten diese Länder offensive
       Investitionspolitik betreiben. Geld ist genug da.
       
       Herr Hoffmann, was, glauben Sie, wird Ihre größte Herausforderung als
       DGB-Vorsitzender? 
       
       Wir müssen Antworten für die Humanisierung von Arbeit finden. Wir müssen
       die Arbeitszeit über die gesamte Erwerbsbiografie der Menschen in den Blick
       nehmen, um Arbeit und Leben anders in Einklang zu bringen. Das wird nur
       gelingen, wenn wir die Mitbestimmung in den Betrieben ausbauen. Das
       verstehen wir unter „guter Arbeit“.
       
       12 May 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Eva Völpel
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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