# taz.de -- Prozess gegen Flüchtlingshelfer:innen: Griechische Justiz bleibt hart
       
       > Auf Lesbos wird ein Verfahren gegen solidarische
       > Flüchtlingshelfer:innen wieder aufgenommen. Bei Verurteilung drohen
       > jahrelange Haftstrafen.
       
 (IMG) Bild: Mytilini, Lesbos, Griechenland, 10.01.2023: Sean Binder spricht vor der Gerichtsverhandlung mit Presseleuten
       
       BERLIN taz | Auf der griechischen Lesbos ist am Dienstag ein [1][seit
       Jahren laufendes Verfahren] gegen 16 Flüchtlingshelfer:innen wieder
       aufgenommen worden. Es geht um lange zurückliegende Solidaritätsaktionen,
       den Angeklagten droht teils jahrzehntelange Haft. Die griechische Justiz
       wirft ihnen unter anderem Spionage, Menschenhandel, Geldwäsche und
       gesetzwidrige Nutzung von Funk-Frequenzen vor.
       
       Die Angeklagten hatten bis 2018 Migrant:innen bei der Überfahrt über das
       Mittelmeer nach Lesbos geholfen. Es ist der bisher größte Verfahrenskomplex
       gegen Aktivist:innen wegen angeblicher Hilfe zur illegalen Einreise in
       Europa.
       
       2018 wurden die insgesamt 24 Angeklagten, darunter die syrische
       Leistungsschwimmerin [2][Sarah Mardini] und der Deutsch-Ire Sean Binder,
       verhaftet und kamen drei Monate in U-Haft. Alle waren auf Lesbos in
       Solidaritätsinitiativen aktiv. Die Justiz hat die Vorwürfe gegen sie in
       zwei separate Verfahren aufgeteilt. Eins behandelt Ordnungswidrigkeiten und
       das andere Verbrechen nach dem griechischen Strafgesetzbuch.
       
       Bei Verhandlungen im November 2022 und im Januar 2023 waren die
       Ordnungswidrigkeiten verhandelt worden: Fälschung, die „illegale Nutzung
       von Funkfrequenzen“ und Spionage. Das Gericht urteilte, dass die
       Staatsanwaltschaft Verfahrensfehler begangen habe: Dokumente seien nicht
       für die Ausländer unter den Angeklagten übersetzt worden. Zudem seien die
       Spionagevorwürfe vage gewesen.
       
       ## „Gefährlicher Präzedenzfall für alle“
       
       Die Staatsanwaltschaft hatte dagegen vor dem Obersten Gericht mit Erfolg
       Beschwerde eingelegt. Jetzt wird dieses Verfahren gegen die 17
       griechischsprachigen Angeklagten erneut geführt. Weil sie keine Übersetzung
       benötigten, lägen in ihren Fällen keine Verfahrensfehler vor, argumentiert
       die Staatsanwaltschaft.
       
       Weiter anhängig sind die Verbrechen, die allen 24 vorgeworfen werden –
       Geldwäsche, die Bildung einer kriminellen Organisation und die Beihilfe zu
       illegalen Einreise. Mit einer Verfahrenseröffnung wird für 2025 gerechnet.
       
       Einer der Angeklagten ist Nassos Karakitsos. Er darf seit 2018 Griechenland
       nicht verlassen, nach eigenen Angaben musste er deshalb Jobangebote im
       Ausland ablehnen. „Ich will einfach nur meine Freiheit zurück“, sagt er
       einer Mitteilung zufolge, die von der Unterstützergruppe [3][Free
       Humanitarians] verbreitet wurde.
       
       Der Angeklagte Seán Binder sprach von einem „gefährlichen Präzedenzfall für
       alle“. Die Angeklagten seien sechs Jahre „in einer juristischen Schwebe
       gehalten worden, was ihr Privatleben stark beeinträchtigt“, heißt es in
       einer Erklärung von Free Humanitarians. „Sie leben mit dem emotionalen
       Stress einer drohenden 20-jährigen Haftstrafe.“ Das erschwere ihnen, sich
       beruflich zu etablieren, gleichzeitig hätten sie hohe Gerichtskosten zu
       tragen. Die Kriminalisierung von Flüchtlingsretter:innen sei
       „zweifellos zu einem Trend in der EU geworden“. Dies diene auch der
       Abschreckung von Rettungsaktionen im Mittelmeer, was tödliche Folgen habe,
       so Free Humanitarians.
       
       Das [4][UN-Hochkommissariat für Menschenrechte] hatte die griechische
       Justiz mehrfach aufgefordert, alle Anklagen gegen Helfer:innen fallen zu
       lassen. „Diese Art von Verfahren ist besorgniserregend, weil es Handlungen
       kriminalisiert, die das Leben von Menschen retten, und einen gefährlichen
       Präzedenzfall schafft“, sagte Sprecherin Elizabeth Throssell. Menschenleben
       retten dürfe niemals kriminalisiert werden.
       
       9 Jan 2024
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) [3] https://www.freehumanitarians.org/
 (DIR) [4] /Menschenrechte-von-Migrantinnen/!5919981
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Christian Jakob
       
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