# taz.de -- Regionalkrimi aus Hamburg: Heimweh nach Sankt Pauli
       
       > Im Leben der Staatsanwältin Chas Riley ist immer etwas los. Krimiautorin
       > Simone Buchholz schickt sie in „Blaue Nacht“ auf den Kiez.
       
 (IMG) Bild: „Blaue Nacht“ heißt der neue Hamburg-Krimi von Simone Buchholz
       
       Ab und zu muss einfach mal eine Lanze gebrochen werden für den
       Regionalkrimi. Nicht für jeden, aber zum Beispiel für diesen hier. Denn
       nicht weil sie in Hamburg spielen, sind die Romane von Simone Buchholz des
       Lesens wert, sondern weil sie auf eine Art in Hamburg spielen, die Heimweh
       nach Sankt Pauli macht, auch wenn man da noch nie gewohnt hat.
       
       Sicher gibt es in Hamburg Leute, die sagen, ach, dieser schnoddrige
       Sankt-Pauli-Sound und diese schmuddelverliebte Milieuseligkeit, das ist
       doch alles nicht so wie in echt. Aber das muss es ja auch gar nicht. Es
       muss im Buch funktionieren, als wäre es echt, und das tut es ganz prima.
       
       Sogar die Hauptfigur und Ich-Erzählerin mit dem unwahrscheinlichen Namen
       Chastity („Chas“) Riley, die Simone Buchholz nunmehr schon im sechsten
       Roman durch die Gegend schickt, wirkt fast wie echt. Und das, obwohl es
       schon die Fantasie einer Genreautorin braucht, um sich eine Staatsanwältin
       vorzustellen, die so drauf ist: trinkfest, tough, zu Hause an den
       schmuddeligsten Kneipentresen im Kiez und freundschaftlich bis
       leidenschaftlich verbandelt mit einer originellen Handvoll ehemaliger
       Kleinkrimineller. Psychisch leicht angeknackst und doch moralisch irgendwie
       unbeirrbar.
       
       ## Nicht ganz lupenrein
       
       „Blaue Nacht“ heißt die Bar von Chastitys Nachbarn und Gelegenheitsliebstem
       Klatsche, der in diesem neuen Buch ein bisschen von seiner nicht ganz
       lupenreinen Vergangenheit eingeholt wird. Das allerdings nur am Rande.
       Hauptsächlich ist die bei der Oberstaatsanwaltschaft in Ungnade gefallene
       Chas damit beschäftigt, die Identität eines anonym in ein Krankenhaus
       eingelieferten, übel zusammengeschlagenen Patienten herauszufinden.
       
       Der große, ebenfalls sehr trinkfeste Mann mit dem österreichischen
       Zungenschlag nimmt gern das Bier der Staatsjuristin Jedoch will er nicht
       sagen, wer er ist. Das hat gute Gründe, denn wenn es um organisiertes
       Verbrechen und internationalen Drogenhandel geht, hält man sich besser gut
       bedeckt.
       
       ## Verfolgungsjagd und Rätselraten
       
       Später im Roman geht es auch noch richtig zur Sache, mit Schießerei und
       Verfolgungsjagd und fernsehkrimimäßiger Action im Hamburger Hafen, doch
       lange Zeit ist es ein einziges Rätselraten. Was ist das Geheimnis des
       großen Mannes? Und wie viel Bier wird Chastity ihm einflößen müssen, damit
       seine Zunge sich lockert? Erstaunlicherweise ist das tatsächlich sehr
       fesselnd, und das liegt wahrscheinlich daran, dass Simone Buchholz eben
       erstaunlich gut schreibt.
       
       Man könnte, wenn man wollte, vielleicht ein bisschen daran herumkritteln,
       dass der eigentliche Plot, wenn es denn einen gibt, allzu leicht zu
       übersehen ist. Eigentlich geht es in diesem Krimi nämlich wohl um Drogen –
       also darum, welche abstoßenden Arten von lebenden Leichen manche Drogen aus
       Menschen machen können.
       
       ## Das Zu-Hause-Gefühl von Sankt Pauli
       
       Buchholz versteckt aber ihr Sendungsbewusstsein lieber unter einer ganzen
       Menge milieusicherer Stadtgeschichten, und das ist natürlich einerseits
       richtig, denn offensichtliches Sendungsbewusstsein im Genreroman kann nur
       peinlich ausfallen.
       
       Andererseits führt diese Tendenz, den eigentlichen Krimiplot mitunter wie
       nur einen unter vielen Nebensträngen zu behandeln, so ein bisschen dazu,
       dass ein Chas-Riley-Roman kaum vom anderen zu unterscheiden ist. Es geht
       eher so einer in den anderen über.
       
       Das mag vielleicht nicht jeder. Aber wenn man das mag, dann fühlt man sich
       in jedem Chas-Riley-Krimi wieder wie zu Hause. Dort auf Sankt Pauli.
       
       16 Mar 2016
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katharina Granzin
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Hamburg
 (DIR) Buch
 (DIR) St. Pauli
 (DIR) Krimi
 (DIR) Segeln
 (DIR) Literatur
 (DIR) Sexuelle Übergriffe
 (DIR) Shoa
 (DIR) Kino
 (DIR) Künstler
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Roman über mysteriöses Freudenschiff: Segeln gehen
       
       Auf diesem Schiff gerät die Wirklichkeit ins Schlingern: Simone Buchholz'
       „Unsterblich sind nur die anderen“.
       
 (DIR) Der Überraschungsbestseller des Jahres: Auf den Pfau gekommen
       
       Am Sonntag liest die Hamburger Autorin Isabel Bogdan in der Hamburger
       Hafencity aus ihrem leichtfüßigen Debutroman.
       
 (DIR) Sexuelle Übergriffe: Bestohlen und begrabscht
       
       Silvesternacht: Polizei fasst zwei weitere mutmaßliche Täter. Hamburger
       Bundesratsinitiative will Hürden für Strafverfolgung senken.
       
 (DIR) Ungarischer Kinofilm „Son of Saul“: Der eigene Schrecken
       
       Eine deutsche Fabrik namens Auschwitz: Der mit dem Oscar prämierte Film
       „Son of Saul“ von László Nemes startet endlich.
       
 (DIR) Andrew Bujalskis Filmkomödie „Results“: Nicht jung und auch nicht fit
       
       Andrew Bujalskis „Results“ lässt ein kleinstädtisches Universum der
       Selbstoptimierung entstehen. Die Körpersprache verrät viel über die
       Figuren.
       
 (DIR) Ausstellung von Raymond Pettibon: Amerikas Mythen seziert
       
       Der kalifornische Künstler Raymond Pettibon bekommt in der Sammlung
       Falckenberg in Hamburg seine bislang größte Ausstellung gewidmet.