# taz.de -- Rettungsschiffe von NGOs: Italien selektiert Schiffbrüchige
       
       > Italiens neue Regierung hat erneut in Seenot geratene Migrant*innen
       > auf Sizilien an Land gehen lassen. Andere mussten an Bord bleiben.
       
 (IMG) Bild: Bat 20 Mal darum, an Land gehen zu dürfen: die „Humanity 1“ am Samstag vor Sizilien
       
       BERLIN taz | Die italienischen Behörden haben weitere aus Seenot gerettete
       Flüchtlinge und Migrant:innen an Land gelassen. Nach rund zweiwöchiger
       Wartezeit durfte die „Geo Barents“ der NGO Ärzte ohne Grenzen (MSF) am
       Sonntag in den Hafen von Catania auf Sizilien einfahren. Das Schiff hatte
       572 Menschen an Bord, die die Crew Ende Oktober gerettet hatte. Doch
       lediglich rund 360 durften an Land. 214 Menschen mussten an Bord bleiben.
       Nur Frauen, Kinder und Verletzte durften das Schiff verlassen.
       
       „Nach internationalem Recht müssen alle Überlebenden so schnell wie möglich
       an einem sicheren Ort von Bord gehen dürfen“, hieß es in einer Erklärung
       von MSF. „Stattdessen wurde 214 Menschen befohlen, an Bord zu bleiben, was
       die Situation unhaltbar macht.“
       
       In der Nacht zuvor hatte [1][Italiens rechtsextremes Regierungsbündnis]
       [2][zum ersten Mal gerettete Menschen an Land gelassen]. 144 von 172
       Menschen durften in Catania das Schiff „Humanity 1“ der deutschen
       Organisation SOS Humanity verlassen. Auch sie hatten zuvor rund zwei Wochen
       an Bord ausgeharrt. Die NGO hatte nach eigenen Angaben mehr als zwanzig Mal
       gebeten, einen Hafen anlaufen zu dürfen.
       
       In einem Dekret hatte Italiens Regierung am Freitag angekündigt, dass
       NGO-Rettungsschiffe nur so lange in italienischen Hoheitsgewässern
       verweilen dürfen, wie es erforderlich sei für „Hilfsmaßnahmen für Menschen
       in Notlagen und in prekären Gesundheitszuständen“. Lediglich „besonders
       vulnerable Personen“ würden von dem außerhalb des Hafens ankernden Schiff
       an Land gebracht werden. Eine solche formelle Selektion Schiffbrüchiger
       hatte es so unter früheren italienischen Regierungen nicht gegeben.
       
       ## NGO will vor Gericht ziehen
       
       SOS Humanity kündigte am Montag an, vor dem Verwaltungsgericht in Rom gegen
       das Dekret vorzugehen. „Alle Geretteten haben das Recht auf einen sicheren
       Hafen – Minderjährige genauso wie Erwachsene“, sagte ein Vertreter auf
       einer Pressekonferenz in Catania. Bevor die Behörden am Samstag
       entschieden, wer von Bord gehen und wer bleiben musste, habe es keine
       Übersetzer und keine Untersuchung aller Insassen gegeben.
       
       Die Behörden hatten den Kapitän der „Humanity 1“ aufgefordert, das Schiff
       mit 35 verbleibenden Migrant:innen aus den italienischen
       Hoheitsgewässern zu steuern. Der „Humanity 1“-Kapitän sagte, er wolle der
       Aufforderung, den Hafen zu verlassen, nicht nachkommen. „Ich bin wirklich
       wütend darüber. Wir bleiben, bis der Letzte von Bord gehen darf.“
       
       Amnesty International kritisierte, dass Italien nur als besonders
       verletzlich geltende Gerettete von Bord gehen lässt. „Es gibt keinen Raum
       für kreative Interpretationen des Gesetzes, wenn Menschen leiden und
       traumatisiert sind, nachdem sie ihr Leben auf See riskiert haben“, sagte
       Julia Hall, stellvertretende Direktorin des Amnesty-Regionalbüros Europa.
       Italien verstoße gegen seine internationalen Verpflichtungen und schaffe
       eine riskante Situation, die die Geretteten und die Besatzung der „Humanity
       1“ gefährdet.
       
       Unterdessen warteten am Montag auch die Schiffe „Rise Above“ der NGO
       Mission Lifeline und „Ocean Viking“ von SOS Méditerranée vor Sizilien auf
       die Erlaubnis, in einen Hafen einzufahren. Mission Lifeline gab an, in der
       Nacht vier der verbliebenen 93 Menschen wegen medizinischer Notfälle
       evakuiert zu haben. Auf der „Ocean Viking“ sind mehr als 230 gerettete
       Migranten. Derweil erhielt die Initiative Alarm Phone am Montag Notrufe von
       zwei Flüchtlingsbooten mit zusammen 500 Menschen an Bord, die zwischen
       Libyen und Sizilien in Seenot geraten waren.
       
       7 Nov 2022
       
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