# taz.de -- Sammelband „Freiheit ist keine Metapher“: Verweigerte Solidarität
       
       > Ein Buch interveniert in Debatten um Rassismus und Antisemitismus.
       > Kulturrelativismus und postmoderne linke Bewegungen werden scharf
       > kritisiert.
       
 (IMG) Bild: Ist die Bademützenfarbe dieser Drag-Queen in Tel Aviv die Antwort auf den „Pinkwashing“-Vorwurf?
       
       Weltweit gibt es 72 Staaten, in denen Homosexualität unter Strafe steht. In
       zahlreichen Ländern wird gleichgeschlechtlicher Sex mit langen
       Gefängnisstrafen bestraft, in acht UN-Mitgliedsstaaten wird sogar die
       Todesstrafe für Homosexualität verhängt.
       
       Das Schwule Museum in Berlin machte bislang auf diese unerträgliche
       Situation mit einer Wand aufmerksam, auf der alle kriminalisierenden
       Staaten und die entsprechenden Strafen genannt werden. Der Verein GLADT,
       der sich für Lesben, Schwule, Bisexuelle und Transpersonen (LGBT) aus
       Einwandererfamilien einsetzt, wirft dem Museum in einer Erklärung, [1][die
       dem LGBT-Magazin Siegessäule vorliegt,] deshalb vor, sich „im Fahrwasser
       rassistischer Diskurse“ zu bewegen. Durch die Wand würden „koloniale
       Wahrnehmungsmuster“ reproduziert sowie „Gesellschaften stigmatisiert, ohne
       danach zu fragen, wie Schwule und Lesben in diesen Staaten tatsächlich
       leben“.
       
       Das Schwule Museum reagiert verständnisvoll auf die Kritik: Diese
       Darstellungsform trage dazu bei, „die westliche Lage im Kontrast zum
       ,zurückgebliebenen' globalen Süden triumphierend in Szene zu setzen“ und
       Europa als „glücklichen Endpunkt einer LGBTQI-Befreiungsgeschichte zu
       inszenieren“.
       
       Die Benennung und Skandalisierung von schwulenfeindlicher Verfolgung derart
       zu denunzieren ist nicht nur absurd, sondern auch schädlich.
       Selbstverständlich gibt es auch in Europa massive Probleme mit Homophobie.
       Das zeigt sich unter anderem daran, dass ein Coming-out noch immer oft mit
       Schmerz verbunden und die Suizidrate unter transidenten, bisexuellen,
       schwulen und lesbischen Jugendlichen deutlich höher ist als die von
       Heterosexuellen.
       
       ## Angst vor Ächtung und Gewalt
       
       Doch es besteht ein Unterschied ums Ganze, in einer Gesellschaft, die ein
       Mindestmaß an individuellen Freiheiten gewährt, zu leben oder in einer
       Gesellschaft, in der man unmittelbar religiöser Herrschaft unterworfen ist.
       
       Es ist zwar richtig, dass in einigen Ländern ein Unterschied zwischen der
       Gesetzgebung und der tatsächlichen Rechtsumsetzung besteht. Die ständige
       Angst vor Ächtung und Gewalt und das Fehlen von unterstützenden Subkulturen
       prägt dort dennoch das Leben von vielen LGBT-Personen.
       
       Wenn GLADT ausgerechnet den Iran als positives Beispiel heranzieht, ist
       dies besonders perfide. Seit der Islamischen Revolution von 1979 wurden
       dort Tausende Homosexuelle hingerichtet. Dies zu verschweigen hilft den
       bedrängten iranischen Schwulen gewiss nicht.
       
       Diesen Kulturrelativismus kritisiert auch der im schwul-lesbischen
       Querverlag erschienene Sammelband „Freiheit ist keine Metapher“,
       herausgegeben von Vojin Saša Vukadinović. Mit 38 Beiträgen nimmt dieser
       sich zwar etwas zu viel vor. So werden einige Argumente immer wieder an
       verschiedenen Stellen im Buch genannt. Doch herausgekommen ist eine meist
       lesenswerte Kritik an postmodernen linken Bewegungen und ihren
       theoretischen Vordenkern.
       
       ## Harsch, aber dringend notwendig
       
       Den Autoren geht es dabei um die Universalität der Menschenrechte sowie
       darum, die Rechte und Freiheit des Einzelnen gegen den Kollektivismus zu
       verteidigen. [2][Der Band versteht sich dabei wie seine Vorgänger
       „Beißreflexe“] und „Feministisch streiten“ als Intervention in
       aktivistische und akademische Debatten um Rassismus, Antisemitismus und
       Religion. Ganz im Sinne einer der Kritischen Theorie folgenden
       Ideologiekritik geht es dabei auch darum, diese Begriffe als „Waffen der
       Kritik“ (Marx) zu schärfen.
       
       Eine These durchzieht dabei das Buch: Während der politische Islam in der
       politischen Linken aus einem falsch verstandenen Antirassismus heraus
       [3][oft gegen Kritik immunisiert, verteidigt und verharmlost werde,] sei
       dort häufig ein blinder Fleck in Bezug auf Antisemitismus, insbesondere die
       israelbezogene Spielart, festzustellen.
       
       Der Gehalt der Texte ist dabei analytisch meist wertvoll. Häufig gelingt es
       den Autoren, die Argumente des Gegners als widersprüchlich zu entlarven. An
       einigen Stellen wird jedoch beispielsweise ein zu monolithisches Bild der
       Gender Studies gezeichnet. So spricht auch Paula-Irene Villa, eine der
       profiliertesten deutschsprachigen Geschlechterforscherinnen, davon, dass
       „tatsächlich zu wenig“ über Frauenfeindlichkeit im Islam geforscht werde.
       Die Kritik in „Freiheit ist keine Metapher“ bedient sich teilweise des
       Stilmittels der Polemik und mag an einigen Stellen harsch erscheinen, ist
       aber dringend notwendig.
       
       Wenn etwa der repressive Gehalt der Burka geleugnet wird, wenn
       ex-muslimischen und islamkritischen Feministinnen die Solidarität
       verweigert wird, wenn unterdrückte Frauen und LGBT-Personen im Kampf gegen
       Misogynie und Homofeindlichkeit alleine gelassen werden oder wenn Israel
       für das Gewähren von LGBT-Rechten eine Verschleierung der wahren Absichten
       unterstellt wird, ist deutlicher Widerspruch gefragt.
       
       ## Regressives Denkgebäude
       
       Letztgenannter Vorwurf nennt sich „Pinkwashing“ und ist wohl der absurdeste
       Kniff aus dem Arsenal der antiisraelischen Propaganda: Geprägt durch die
       Geschlechterforscherin Jasbir Puar, die dem jüdischen Staat auch schon
       Organplünderung toter Palästinenser unterstellte, [4][wird Israel in dieser
       Verschwörungsfantasie vorgeworfen, durch eine progressive Homopolitik] von
       Menschenrechtsverletzungen abzulenken.
       
       Ausgerechnet der einzige Staat im Nahen Osten, in dem Lesben und Schwule
       einigermaßen frei leben können, wird hier angegriffen, die Verfolgung und
       Entrechtung in den Nachbarländern wird dagegen einfach verschwiegen.
       
       Das Schwule Museum scheint diesem regressiven Denkgebäude offenbar
       zumindest nicht ganz abgeneigt zu sein. Die Infowand zur Kriminalisierung
       der Homosexualität wird dort wohl nicht mehr lange zu sehen sein.
       
       10 Jun 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.siegessaeule.de/no_cache/newscomments/article/4225-rassismus-im-schwulen-museum-infowand-sorgt-fuer-kritik.html
 (DIR) [2] /Patsy-lAmour-laLove-ueber-Hass-in-Berlin/!5512805
 (DIR) [3] /Gewalt-und-Islam/!5552361
 (DIR) [4] /Debatte-Pinkwashing-und-ESC-in-Israel/!5589969
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Frederik Schindler
       
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