# taz.de -- US-Horrorfilm „Get Out“: Der Schrecken ist weiß
       
       > Jordan Peele findet in seinem Regiedebüt „Get Out“ einen sehr eigenen
       > Zugang zum Thema Rassismus in den USA. Supergruselig. Und lustig. Und
       > gut.
       
 (IMG) Bild: Er muss die Schwiegereltern besuchen
       
       Klarer Fall, der Mann bewegt sich zum ersten Mal in diesem Wohnvorort in
       den USA. Es ist stockdunkel, kein Mensch auf der Straße außer ihm. Beim
       Herumirren telefoniert er mit der Person, die ihn in diese Gegend bestellt
       hat, anscheinend kann er die Adresse nicht finden. Ein Auto hält neben ihm.
       Der Mann zögert, macht dann auf dem Absatz kehrt. Jemand überfällt ihn
       hinterrücks, würgt ihn bis zur Bewusstlosigkeit und schleppt ihn ins Auto.
       Der Entführte ist Afroamerikaner, der Entführer verbirgt sein Gesicht
       hinter einer Maske.
       
       Ortswechsel. Ein Mann, auch er Afroamerikaner, ist im Bad mit der
       Morgentoilette beschäftigt. Parallel dazu sieht man eine Frau – sie ist
       weiß –, die in einer Bäckerei mit fasziniert starrendem Blick die
       Croissant-Auswahl studiert. Wenig später klingelt sie, Kaffee und Gebäck in
       den Händen, an der Tür des inzwischen geduschten und rasierten Mannes. Er,
       Chris, und sie, Rose, sind ein Paar. Chris soll die Familie von Rose
       kennenlernen. Irgendwo draußen auf dem Land.
       
       Bevor es losgeht, möchte Chris noch wissen, ob Roses Eltern wissen, dass er
       schwarz ist. Sie verneint, beruhigt ihn aber, dass seine Familie sehr
       entspannt sei. Ihr Vater hätte auch zum dritten Mal noch Obama gewählt,
       wenn das Wahlrecht das gestattet hätte.
       
       Mit diesem Auftakt von „Get Out“ hat Jordan Peele schon praktisch alle
       Elemente für sein Regiedebüt beisammen. Wer der Mann vom Anfang ist, wird
       man bis auf Weiteres nicht erfahren, auch nicht, wer ihn wohin entführt
       hat. Auf ihn wird Peele später erst zurückkommen. Mit seinen beiden
       Hauptfiguren Chris und Rose hingegen ist die Grundkonstellation von Anfang
       an sehr offensichtlich ins Spiel gebracht: Ein „mixed couple“ soll auf die
       Probe gestellt werden, ob ihre eigene Offenheit im näheren familiären
       Umfeld auch auf Gegenliebe stößt.
       
       ## Mal apathisch, mal feindselig
       
       Der britische Schauspieler Daniel Kaluuya gibt seinen Chris als
       skeptisch-verstörten Künstlertypen – er arbeitet als Fotograf –, der viel
       zu höflich ist, um sich von einer deplatzierten Bemerkung zu seiner
       Hautfarbe gleich aus dem Konzept bringen zu lassen. Zunächst beginnt der
       Besuch bei den Eltern von Rose denn auch freundlich-distanziert. Bloß ein
       paar Details irritieren: So wohnen auf dem ländlichen Anwesen neben den
       Eltern noch zwei Bedienstete, ein Gärtner und eine Haushälterin, beide
       schwarz.
       
       Der Vater hat sogleich eine Erklärung bereit, um Chris zu beruhigen: Beide
       hätten zuvor für seine eigenen Eltern gearbeitet, und nach deren Tod habe
       er sie nicht einfach entlassen können. Die Angestellten gebärden sich
       allerdings sehr merkwürdig, wirken mal apathisch, mal fast feindselig
       gegenüber Chris.
       
       Noch rätselhafter verhält sich Roses Mutter. Sie ist Psychiaterin und
       bietet Chris an, nachdem die Familie kollektiv dessen Nikotinsucht
       gebrandmarkt hat, ihn durch Hypnose von seinem Laster zu heilen. Chris
       lehnt dankend ab. Die Hypnose erspart es ihm trotzdem nicht.
       
       Jordan Peele baut seine Spannung sehr langsam auf, unterstützt von einem
       Soundtrack, der sich meistens auf ein untergründiges Brummen beschränkt.
       Jede Person, der Chris auf diesem Ausflug begegnet, scheint ihm mit
       unklaren Absichten entgegenzutreten. Kryptische Andeutungen, verzögerte
       Reaktionen, starre Blicke reichen ihm völlig aus, um aus einer unter
       normalen Umständen lediglich unerfreulichen Erfahrung, die in erster Linie
       zur Belastungsprobe für das Paar geraten dürfte, ein perfides Geflecht aus
       bedeutungsträchtigen Gesten und falschen Fährten aufzufächern, in dem
       Bedrohung und Gefahr hinter jeder Ecke zu lauern scheinen, ohne greifbar zu
       werden.
       
       ## Sein vorbildlicher Muskelbau
       
       Moderierenden Einfluss auf das Geschehen übt allein Rose aus. Allison
       Williams, die unter anderem in der TV-Serie „Girls“ mitspielt, scheint in
       ihrem Part vor allem die Aufgabe zuzukommen, Chris mit ihrer
       Common-Sense-Haltung vor ihrer eigenen Familie zu beschützen. Was ihr mehr
       oder minder gut gelingt. Besonders ihr Bruder Jeremy (Caleb Landry Jones)
       provoziert Chris mit dreist-ekligen Hinweisen auf dessen gute Gene und
       seinen vorbildlichen Muskelbau.
       
       Diese Aggressionen hält Peele dabei so geschickt unter dem Deckel, dass sie
       stets zwischen Angst und Komik pendeln. Lange Zeit fragt man sich, was
       genau das Problem mit Roses Familie ist. Das soll man auch. Denn die
       Antwort gibt Peele erst, wenn es zu spät für Chris ist.
       
       „Get Out“ spielt mit diesen Ambivalenzen, um dem Rassismus, der sich an der
       Oberfläche zeigt, noch eine hinterhältigere Ebene hinzuzufügen, die
       Umwertung sämtlicher Ereignisse und Zuspitzung ihrer eigentlichen Botschaft
       zugleich ist. Peele findet für den Rassismus dabei eine genial-krude
       Metapher, die sich erst nach zahllosen Plotwendungen seines Drehbuchs
       offenbart. Vorab davon etwas zu verraten, wäre unhöflich. Bleibt die
       Versicherung: Peele macht seine Sache sehr gut. Und der Überraschungseffekt
       ist so haarsträubend wie komisch.
       
       Auch ansonsten balanciert Peele das Unheimliche gern gegen das Groteske
       aus: Wenn Chris etwa hypnotisiert wird, wählt Peele ein fast comic-haft
       überzeichnetes Bild für dieses „Abtauchen“ ins Unbewusste, das in seiner
       künstlichen Weltentrücktheit mehr zum Lachen als zum Gruseln anregt.
       
       ## Nur „Der Exorzist“ ist besser
       
       Komische Konstante ist zudem Chris’ einziger Kontakt nach draußen, sein
       Buddy Rod (herrlich hysterisch: Lil Rel Howery). Als dieser erfährt, dass
       Chris hypnotisiert wurde, reagiert er alarmiert. Die Familie von Rose wolle
       bestimmt einen Sexsklaven aus ihm machen, so Rods leicht überspannte Sorge.
       Womit er gar nicht so weit von der Realität liegen wird. Bloß entpuppt sich
       diese als völlig anders, als er und Chris denken.
       
       „Get Out“ lässt einen durchgehend am Gefühl des Ausgeliefertseins
       teilhaben, das Chris an diesem Wochenende in verschiedenen
       Eskalationsstufen durchlebt. Man sieht ihm die Irritation überdeutlich an
       seinen geröteten Augen an, die ihn als Opfer auf die weiße Mehrheit um sich
       herum blicken lässt. Er ist damit die einzige Figur, deren Blick keine
       verborgene Perspektive offenbart.
       
       Peele, der sich in seiner bisherigen Karriere vornehmlich als Schauspieler
       und Comedian betätigt hat und selbst Kind „gemischter“ Eltern ist, hatte
       mit seinem Film in den USA bei den Kritikern wie beim Publikum
       überwältigenden Erfolg. „Get Out“ spielte rund um die Welt bisher mehr als
       190 Millionen US-Dollar ein.
       
       Nach „Der Exorzist“ ist „Get Out“ inzwischen der zweiterfolgreichste
       Horrorfilm aller Zeiten. Und das bei bescheidenem Budget von 4,5 Millionen
       Dollar. Und einem ebenfalls bescheidenen Einsatz von Kunstblut. Der
       Schrecken von „Get Out“ ist vielmehr weiß. Sehr weiß. Und geht unter die
       Haut.
       
       3 May 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Tim Caspar Boehme
       
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