# taz.de -- Ungarn hetzt und kooperiert mit der EU: Orbáns Pfauentanz
       
       > Ungarns rechtspopulistischer Regierungschef spielt ein doppeltes Spiel.
       > Einerseits hetzt er gegen die EU, andererseits zeigt er sich kooperativ.
       
 (IMG) Bild: Anti-Regierungs-Protest mit EU-Fahne vor dem ungarischen Parlament im Mai 2018
       
       Während sich internationale Regierende auf der [1][COP26] trafen, feuerte
       der nicht an der Konferenz teilnehmende Viktor Orbán eine weitere
       Breitseite gegen die EU ab. Er bezeichnete die grünen Vorschläge der EU als
       „utopische Fantasie“, die die Energiekosten in die Höhe treiben werde. Für
       den EU-Gipfel kommende Woche prophezeite er ein diplomatisches Gerangel.
       
       Orbáns [2][feindselige Stimmungslage] mag aus der Einsicht resultieren,
       dass Europas Führungskräfte angesichts seiner illiberalen Politik langsam
       die Geduld verlieren. Die Kommission hat ein Vertragsverletzungsverfahren
       gegen Ungarn eingeleitet, nachdem die Regierung Anfang des Jahres ein
       homophobes „Pädophilengesetz“ verabschiedet hat.
       
       Zugleich forderte die Kommission strengere Maßnahmen zur
       Korruptionsbekämpfung, bevor sie Ungarns Auszahlungen aus dem
       Wiederaufbaufonds genehmigt. Auch an anderen Stellen fährt die EU eine
       härtere Gangart. So verhängte der [3][EuGH gegen Polen] unlängst eine
       Geldstrafe von einer Million Euro pro Tag, weil die Regierung in Warschau
       ein EU-Urteil ignoriert, das zum Schutz der polnischen Richter die
       Neubesetzung der Disziplinarkammer verlangte.
       
       Es scheint heute riskanter als noch vor einigen Jahren zu sein, die EU
       offen zu provozieren. Als Reaktion auf die strenger werdende EU haben
       einige prominente Köpfe in der ungarischen Regierung angeregt, über einen
       Austritt des Landes nachzudenken. Einige von Orbáns Kabinettsministern
       haben die Idee in den Raum gestellt, die Mitgliedschaft in ein paar Jahren
       zu überdenken, wenn das Wirtschaftswachstum in Ungarn weniger von
       EU-Geldern abhängig ist. Hier zeichnet sich ein alarmierendes Muster ab:
       
       ## UngarInnen mehrheitlich gegen Huxit
       
       Ob gewollt oder als Folge von Fehlentscheidungen: Ungarn steuert immer
       stärker auf einen EU-Austritt zu. Erst vor sechs Monaten verließ Orbáns
       Fidesz-Partei das Europäische Parlament, bevor sie nach wiederholten
       Verstößen gegen europäisches Recht aus dem Mitte-rechts-Block der EVP
       gedrängt werden konnte. Doch jenseits der Rhetorik – will Orbán tatsächlich
       die EU verlassen? Vordergründig deutet wenig darauf hin, dass er ernsthaft
       einen „Huxit“ anstrebt.
       
       85 Prozent der [4][ungarischen Bevölkerung befürworten die
       EU-Mitgliedschaft], unter ihnen 77 Prozent der Fidesz-Wähler.
       Wahrscheinlicher ist, dass er sich auf die Parlamentswahlen im Frühjahr
       nächstes Jahr vorbereitet, bei denen die Fidesz durchaus eine Niederlage
       erleiden könnte. Orbán versucht, das Erfolgsrezept von 2018 zu wiederholen,
       als die Fidesz ihre dritte Amtszeit in Folge mit einer radikalen
       Antimigrationspolitik und EU-feindlichen Haltung gewann.
       
       Könnte sich dies auf lange Sicht ändern? Orbán heizt seine Anhänger
       unerbittlich mit EU-feindlicher Propaganda an. Man darf nicht
       unterschätzen, welch gewaltige Infrastruktur die Regierungspartei für ihre
       Kampagnen aufgebaut hat und wie geschickt sie die öffentliche Meinung zu
       manipulieren versteht. Wenn Orbán die Wahlen im nächsten Frühjahr gewinnt,
       könnte dieses Bollwerk die EU-freundliche Mehrheit aushöhlen.
       
       Auch wenn einige europäische Regierungen über einen Austritt Orbáns mehr
       als glücklich wären, so würde ein Polexit oder Huxit doch einen
       dramatischen Bedeutungsverlust der EU in der Welt markieren. Nach dem
       Schock und den [5][Turbulenzen des Brexits] würde das niemand wollen. Orbán
       ist ein geschickter Taktiker. Während er einerseits die EU provoziert,
       zeigt er sich andererseits in für die Gemeinschaft wichtigen Bereichen
       kooperativ.
       
       Bis zur Pandemie verfolgte Orbán eine disziplinierte Finanzpolitik, bei der
       er mit Deutschland und den sparsamen Ländern eine partnerschaftliche
       Beziehung pflegte. Nach dem Brexit blieb er kooperativ und blieb selbst in
       außenpolitischen Fragen und wichtigen Entscheidungen, wie den Sanktionen
       gegen Russland, auf gleicher Linie mit der EU. Nur bei weniger wichtigen
       Belangen schaltete er erneut auf Gegenwind.
       
       ## Orbán will die EU verändern
       
       Nicht zuletzt unterstützt Orbán Frankreichs Bestrebungen, die Atomkraft als
       saubere Energie zu etablieren, und macht sich Freunde bei deutschen
       Automobilfirmen, indem er bei EU-Entscheidungen für deren Interessen
       eintritt. Dieser „Pfauentanz“, wie Orbán es selbst ausdrückte, hat bislang
       sehr gut funktioniert. Anders als die polnische PiS-Regierung hat Orbán nie
       einen direkten Kampf gegen die EU geführt. Er will die EU nicht verlassen,
       er will sie verändern.
       
       Mithilfe neuer Bündnisse rechtsradikaler Parteien in Europa hoffen Orbán
       und PiS-Chef Jarosław Kaczyński, ihre Regierungsgewalt und ihre Erfahrung
       mit westlichen radikalen Parteien zu bündeln, um die Richtung der
       EU-Politik zu ändern und sie zu nötigen, Autokraten unter ihren Mitgliedern
       zu akzeptieren.
       
       Orbáns jüngste Treffen mit Frankreichs Marine Le Pen und [6][Éric Zemmour]
       deuten ebenso wie seine Unterstützung für Polens Mateusz Morawiecki und
       Italiens Matteo Salvini darauf hin, dass bald eine rechtsradikale
       politische Gruppe an die Öffentlichkeit treten wird. Ich gehe davon aus,
       dass sie noch vor den Wahlen in Ungarn zustande kommen wird, um Wählerinnen
       und Wählern zu beweisen, dass Orbán und seine Partei keinesfalls zu
       Außenseitern geworden sind, sondern in Europa eine starke Rolle spielen.
       
       Der Einfluss der Autokraten wird ab diesem Zeitpunkt stärker, lauter und
       geschlossener sein, vor allem wenn die gemäßigten europäischen Parteien
       keine bessere Strategie finden, um diese illiberale Macht in die Schranken
       zu weisen. In dieser Situation muss die EU ihren Werten treu bleiben, klare
       Grenzen für ihre Mitgliedstaaten setzen und gewährleisten, dass illiberale
       Regelverletzer nicht in ihrer Gemeinschaft agieren können.
       
       Was auch immer Orbán beabsichtigt, es besteht die Gefahr, dass im Falle
       einer weiteren Amtszeit Ungarns Mitgliedschaft in der EU zum ersten Mal auf
       dem Spiel steht.
       
       Aus dem Englischen von Ingo J. Biermann
       
       8 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Ergebnisse-der-COP26/!5811057
 (DIR) [2] https://abouthungary.hu/speeches-and-remarks/prime-minister-viktor-Orb%C3%A1ns-commemoration-speech-on-the-65th-anniversary-of-the-1956-revolution-and-freedom-fight
 (DIR) [3] /EuGH-verhaengt-Zwangsgelder-gegen-Polen/!5808659
 (DIR) [4] https://dailynewshungary.com/is-huxit-supported-by-hungarians/
 (DIR) [5] /Schwerpunkt-Brexit/!t5313864
 (DIR) [6] /Rechter-Zemmour-erklaert-Kandidatur/!5815701
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Zsuzsanna Szelényi
       
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