# taz.de -- Ungleiche Emissionen in Deutschland: Zu viel Knete killt das Klima
       
       > Die reichsten Deutschen emittieren tausendmal so viel Treibhausgase wie
       > der Durchschnitt. Dennoch haben Arme seit 1991 deutlich mehr CO₂ gespart.
       
 (IMG) Bild: Macht einen Großteil der Emissionen reicher Menschen aus: CO2-intensives Verhalten wie Fliegen
       
       Herbst 2022. Der Verleger Julien Backhaus auf dem Weg zur Frankfurter
       Buchmesse. Er fliegt. Von Wilhelmshaven nach Frankfurt, weniger als 500
       Kilometer. Dass ihn dabei [1][ein NDR-Fernsehteam begleitet] und kritische
       Fragen zu seinen Treibhausgasemissionen stellt, ist außerordentlich: Sonst
       geben Reiche in Deutschland selten Einblick in ihren Lebensstil. Nicht alle
       könnten wie er solche Strecken mit dem Privatjet fliegen, sagt Backhaus:
       „Zum Glück gibt es ja immer eine Aufteilung in der Bevölkerung und ich
       gehöre eben zu der kleinen [Gruppe], die sich das erlaubt.“
       
       Mit seinem Flug emittiert Backhaus etwa 3 Tonnen CO2, rechnen die
       Journalist*innen des NDR. In Deutschland emittiert [2][ein
       durchschnittlicher Mensch etwa 11 Tonnen CO2 im Jahr] – Backhaus hat in
       einer Stunde mehr als ein Viertel dieses Budgets aufgebraucht.
       
       Laut Klimaschutzgesetz [3][soll Deutschland 2030 nur noch 440 Millionen
       Tonnen CO2 ausstoßen]. Teilt man diesen Wert durch die Bevölkerung, darf
       jeder Mensch ab dann pro Jahr nur noch 5,3 Tonnen CO2 verursachen. Aber das
       ist nur ein Zwischenziel, insgesamt müssen die Emissionen so schnell wie
       möglich auf Null, damit das Klima sich nicht noch weiter aufheizt. Wie
       dringlich die Lage ist, zeigt auch [4][der diese Woche erschienene
       IPCC-Bericht]. Für Backhaus ist es bis dahin aber noch ein langer Weg.
       
       Die durchschnittlichen Pro-Kopf-Emissionen werden oft genutzt, um
       Klimaschutz greifbarer zu machen. Sie suggerieren, dass alle Menschen eine
       ähnliche Verantwortung für den Klimawandel tragen. Doch der Blick auf den
       Durchschnitt verschleiert eine wichtige Tatsache: Emissionen sind in
       Deutschland nicht gleich verteilt. Die Ärmsten emittieren in einem Jahr
       etwa so viel wie Backhaus bei seinem kurzen Flug, die Reichsten das
       Tausendfache.
       
       Das zeigen die Daten des [5][World Inequality Labs], einer Denkfabrik um
       den Ökonomen Thomas Piketty, die Ungleichheitsdaten für fast alle Länder
       der Welt zusammengestellt hat, auch solche zur Emissionsungleichheit. Die
       Daten zu Deutschland hat die taz nun ausgewertet. Der Datensatz reicht von
       1990 bis 2020. Um Sondereffekte aus der Wiedervereinigung und dem
       Pandemiejahr 2020 zu vermeiden, wurden nur die Daten aus den Jahren 1991
       bis 2019 verwendet.
       
       ## Die Reichen sparen weniger
       
       [6][Während die Ärmsten in Deutschland] 2019 etwas über 3 Tonnen CO2 pro
       Jahr emittierten, waren es beim reichsten 1 Prozent etwa 105 Tonnen – also
       fast das 35-fache. Schaut man bei den Reichsten auf noch kleinere Gruppen,
       steigt diese Ungleichheit weiter an: Die Emissionen der reichsten 0,001
       Prozent in Deutschland, etwa 800 Menschen, werden auf 11.700 Tonnen im Jahr
       geschätzt – das Tausendfache des deutschen Durchschnitts.
       
       Zwischen 1991 und 2019 sind die Emissionen in Deutschland um etwa 34
       Prozent gesunken. Das liegt vor allem an den ärmeren zwei Dritteln der
       Bevölkerung, die ihre Emissionen um mehr als 34 Prozent reduzierten,
       teilweise deutlich mehr. Das reichere Drittel sparte dagegen
       unterdurchschnittlich. Und schaut man auf die reichsten 800, die 0,001
       Prozent, so senkten diese ihre Emissionen nicht, sondern erhöhten sie sogar
       um 10 Prozent. Somit haben in Deutschland diejenigen, [7][die weniger zur
       Klimakrise beitragen], mehr Verantwortung beim Klimaschutz übernommen.
       
       Dadurch ist die Emissionsungleichheit in Deutschland in den vergangenen
       Jahrzehnten gestiegen. Inzwischen emittieren die reichsten 10 Prozent in
       Deutschland mehr als die ärmere Hälfte der Bevölkerung – Anfang der 1990er
       Jahre war das noch nicht der Fall. Blickt man in die Zukunft, auf die etwa
       5,3 Tonnen, die ein Mensch in Deutschland nach dem Willen der Regierung
       2030 noch ausstoßen soll, so leben große Teile der ärmeren Hälfte
       Deutschlands längst in dieser Zukunft.
       
       ## Höhere Ungleichheit weltweit
       
       [8][Weltweit ist die Emissionsungleichheit noch stärker ausgeprägt] als in
       Deutschland. Die reichsten 1 Prozent emittierten zusammengenommen deutlich
       mehr als die ärmere Bevölkerungshälfte, also 4 Milliarden Menschen, zeigen
       die Daten des World Inequality Lab. Der globale Durchschnitt lag bei etwa 6
       Tonnen pro Person, deutlich unter dem deutschen Durchschnitt. Anders als in
       Deutschland, wo die Emissionen seit 1990 sinken, sind die Emissionen
       weltweit gestiegen.
       
       Das liegt zum einen daran, dass sich der Lebensstandard vieler Menschen im
       Globalen Süden in dieser Zeit verbessert hat und damit auch ihre Emissionen
       gewachsen sind. Zum anderen sind Reiche weltweit noch reicher geworden,
       haben ihre Emissionen gesteigert, und auch die weltweite
       Emissionsungleichheit ist gewachsen.
       
       Berechnet hat die Daten der Ökonom Lucas Chancel, Ko-Direktor des World
       Inequality Lab. Im Herbst 2022 sind sie als [9][Studie in der
       Wissenschaftszeitschrift Nature Sustainability] erschienen. Grundlage ist
       der Datensatz zur Einkommensungleichheit des World Inequality Labs.
       Hinzugezogen hat Chancel zahlreiche Studien aus Dutzenden Ländern, die
       anhand von Haushaltsumfragen den Zusammenhang zwischen Einkommen und
       Emissionen untersuchen – überall steigen Emissionen mit Einkommen.
       
       Aus den Studien lässt sich für jedes Land eine mathematische Formel
       ableiten, die Einkommensungleichheit in Emissionsungleichheit umrechnet. So
       können dann für verschiedene Einkommensgruppen in verschiedenen Ländern die
       Emissionen geschätzt werden.
       
       Haushaltsumfragen decken dabei oft die Reichsten der Gesellschaft nicht ab.
       Sie sind sehr wenige, halten ihre Finanzen gerne geheim und verweigern sich
       solchen Studien. Die Emissionen der Reichsten werden im Datensatz deshalb
       mithilfe einzelner Datenpunkte – etwa Superreiche, die ihren Lebensstil
       offenlegen – und mathematischen Kurven geschätzt.
       
       ## Häuser, Konsum, Autos, Flüge
       
       Es gibt mehrere Gründe für die beträchtlichen Unterschiede zwischen den
       Emissionen der Ärmsten und Reichsten in Deutschland. Der größte Posten sind
       Investitionen. Während die Ärmsten nur durch ihren Konsum emittieren,
       stammen beim reichsten Zehntel bereits die Hälfte der Emissionen aus
       Investitionen. Und dieser Anteil steigt mit Reichtum: Bei den reichsten 800
       Deutschen führt Chancel von den 11.700 Tonnen, die diese jährlich
       emittieren, mehr als 11.400 auf Investitionen zurück.
       
       Aber auch beim Konsum gibt es große Unterschiede. Reichere Menschen haben
       größere Häuser, sie können mehr Güter kaufen, fahren mehr mit dem Auto und
       fliegen häufiger. Eine [10][Studie aus dem Jahr 2021 zeigt, wie das auf die
       Spitze getrieben aussieht]: Sie wertete öffentlich bekannte Daten von 20
       Milliardär*innen aus und fand, dass diese alleine mit ihren Anwesen,
       Superjachten und [11][Privatjets tausende Tonnen CO2] emittierten.
       
       2020 erschien eine Untersuchung, die auch Chancel für seinen Datensatz
       nutzte: Drei Forscher der Uni Freiburg [12][werteten Daten der Einkommens-
       und Verbrauchsstichprobe 2013 aus], in der Daten von 53.000 deutschen
       Haushalten enthalten sind, und berechneten für ein dutzend
       Einkommensgruppen die Emissions-Fußabdrücke. Superreiche kommen in der
       Stichprobe nicht vor – die höchste Einkommensgruppe verdient bis zu 18.000
       Euro im Monat.
       
       Auch diese Daten zeigen ein deutliches Gefälle. In der reichsten
       Kategorie ist der Fußabdruck fast drei Mal so hoch wie in der ärmsten.
       Während sich die Emissionen für Nahrungsmittel kaum verändern, verdoppeln
       sich die Emissionen im Bereich Wohnen, verfünffachen sich beim Konsum und
       versechsfachen sich beim Verkehr auf dem Land. Im Flugverkehr sind die
       Emissionen der Reichsten 13 Mal so hoch wie die der Ärmsten.
       
       ## Die Reichen in die Verantwortung nehmen
       
       Woher sollen die Einsparungen in Zukunft kommen? Die Armen haben meist
       wenig Gelegenheit Emissionen zu sparen, die Reichen viele Möglichkeiten:
       ihre Investitionen verlagern, weniger fliegen, weniger Auto fahren, weniger
       kaufen und auf weniger Platz leben.
       
       Wie viele Treibhausgasemissionen die Reichen sparen könnten, zeigt ein
       Gedankenexperiment mit den Daten des World Inequality Lab: Was wäre, wenn
       niemand in Deutschland mehr emittieren würde als der Durchschnitt, etwa 11
       Tonnen CO2 im Jahr? Etwa ein Drittel der Bevölkerung müsste sich
       einschränken, und die Gesamtemissionen würden um etwa ein Viertel sinken.
       Damit wäre schon mehr als die Hälfte des Weges zum Emissionsziel 2030
       geschafft.
       
       Würden alle Menschen nur so viel ausstoßen wie der [13][Durchschnitt der
       ärmeren Bevölkerungshälfte], also 6 Tonnen jährlich, reduzierten sich die
       Emissionen um mehr als die Hälfte. 2030 wäre bereits Realität.
       
       25 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://daserste.ndr.de/panorama/archiv/2023/Das-Klima-und-die-Reichen,klimareiche100.html
 (DIR) [2] https://www.bmuv.de/media/kohlenstoffdioxid-fussabdruck-pro-kopf-in-deutschland
 (DIR) [3] https://www.umweltbundesamt.de/presse/pressemitteilungen/uba-prognose-treibhausgasemissionen-sanken-2022-um
 (DIR) [4] /Neuer-Klimabericht-des-IPCC/!5920074
 (DIR) [5] https://inequalitylab.world/en/
 (DIR) [6] /Ungleichheit-bei-Treibhausgasemissionen/!5814683
 (DIR) [7] /Ungleichheit-bei-Treibhausgasemissionen/!5868721
 (DIR) [8] https://wid.world/wp-content/uploads/2023/01/CBV2023-ClimateInequalityReport-3.pdf
 (DIR) [9] https://www.nature.com/articles/s41893-022-00955-z
 (DIR) [10] https://www.tandfonline.com/doi/full/10.1080/15487733.2021.1949847
 (DIR) [11] /Ungleichheit-bei-CO-Emissionen/!5894427
 (DIR) [12] https://onlinelibrary.wiley.com/doi/full/10.1111/jiec.13045
 (DIR) [13] /Ungleichheit-bei-Treibhausgas-Emissionen/!5865717
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Lalon Sander
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Lesestück Recherche und Reportage
 (DIR) IG
 (DIR) Reichtum
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) klimataz
 (DIR) Podcast „Vorgelesen“
 (DIR) GNS
 (DIR) Ungleichheit
 (DIR) Klimakonferenz in Dubai
 (DIR) Klima
 (DIR) Managergehälter
 (DIR) Reichtum
 (DIR) Privatjet
 (DIR) Zukunft
 (DIR) Ampel-Koalition
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) Schwerpunkt Klimawandel
 (DIR) IG
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Studie zu Gerechtigkeit beim Klimaschutz: Das Konto ist längst überzogen
       
       Das CO2-Budget für das 1,5-Grad-Ziel bei der Erderhitzung schrumpft. Eine
       Studie zeigt: Reiche Länder haben ihren Anteil vor Jahrzehnten
       aufgebraucht.
       
 (DIR) Finanzsystem und Klimakrise: Wann kommt der Klima-Finanzcrash?
       
       Klima-Experten warnen vor einer neuen Wirtschaftskrise durch die
       Erderhitzung. Die ökonomischen Modelle würden die Lage unterschätzen.
       
 (DIR) Gehälter von Managern: Die da oben verdienen weniger
       
       Sinkende Aktienkurse schmälerten im vergangenen Jahr die Einkommen der
       Dax-Vorstände – auf hohem Niveau. Sie erhielten 3,3 Millionen Euro im
       Schnitt.
       
 (DIR) Klimaprotest nimmt Reiche ins Visier: Jets erst recht
       
       Die Letzte Generation will jetzt gezielt gegen klimaschädlichen Reichtum
       protestieren. Darf die breite Masse deshalb aufatmen?
       
 (DIR) Privatjets in Hamburg-Fuhlsbüttel: Petition für ein Verbot
       
       Eine Hamburgerin sammelt Unterschriften für das Verbot von Privatjets. Viel
       bringen würde das auf lokaler Ebene nicht, sagt die Linke.
       
 (DIR) Die Verständnisfrage: Privatschule, Skiurlaub, Tennis
       
       Liebe Millionärskinder, wie geht ihr damit um, reich geboren zu sein?,
       fragt ein Schüler aus Hamburg. Ein Student aus Heidelberg antwortet.
       
 (DIR) Grüne gegen Ampel-Partner: Wir brauchen einen Klimakanzler
       
       Robert Habeck sagt kurzgefasst: Was wir als Regierung abliefern, reicht
       nicht. Darf der das? Er musste. Es war dem Ernst der Lage angemessen.
       
 (DIR) Neuer Klimabericht des IPCC: Wie immer, nur schlimmer
       
       Die globale Wende bei den Treibhausgas-Emissionen ist immer noch nicht
       absehbar. Die Zeit wird immer knapper.
       
 (DIR) Neuer Bericht des Weltklimarats IPCC: 1,5-Grad-Grenze wohl bald erreicht
       
       Die Klimakrise macht das Leben auf der Erde gefährlicher. Der Weltklimarat
       zeigt, was dagegen zu tun ist: CO2-Emissionen bis 2030 halbieren.
       
 (DIR) Reiche sollen mehr zahlen: Schluss mit Luxus
       
       Linken-Chef Martin Schirdewan fordert ein Verbot von Privatjets. Das kann
       nur ein Anfang sein. Niemand schadet dem Klima so sehr wie die
       Superreichen.