# taz.de -- Union hetzt gegen das Bürgergeld: Mehr als Populismus ist da nicht
       
       > Die CDU will Erwerbslosen, die „zumutbare“ Arbeit ablehnen, Leistungen
       > komplett kürzen. Ein konservatives Sozialpaket hat sie nicht zu bieten.
       
 (IMG) Bild: Die CDU plant drastische Kürzungen beim Bürgergeld
       
       Mit dem Konzept einer „Neuen Grundsicherung“ würde die CDU gerne das
       Bürgergeld abschaffen. Das Konzept sieht im Gros graduelle Verschärfungen
       vor: Eine Vermögensprüfung soll statt nach 12 Monaten bereits ab dem ersten
       Tag vorgenommen, die Grenzen für das sogenannte Schonvermögen sollen
       gesenkt werden. Zentral sind vor allem härtere Sanktionen, zum Beispiel bei
       Terminversäumnissen. Dass oft psychische Erkrankungen Grund dafür sind,
       ignoriert die CDU.
       
       Die größte Aufregung löste die Forderung aus, staatliche Unterstützung für
       unbegrenzte Zeit komplett zu streichen, wenn sich jemand weigert, eine
       „zumutbare“ Arbeit anzunehmen. „Wir gehen davon aus, dass Totalverweigerer
       keine Unterstützungsleistungen benötigen“, erklärte CDU-Generalsekretär
       Carsten Linnemann.
       
       Man fühlt sich erinnert an den Satz: „Es gibt kein Recht auf Faulheit“ von
       Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) aus dem Jahr 2001. Es war Schröders
       sprachliche Wegbereitung für [1][Hartz IV], das wenige Jahre später
       eingeführt wurde. Was nun also unter dem Stichwort „Totalverweigerer“
       wiederkehrt, ist die Idee eines kaltherzig strafenden Staates, die
       allerdings nicht erst die CDU erfand. SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus
       Heil hat sich längst mit der Ampel auf diesen Pfad begeben.
       
       Er will bei Arbeitsverweigerung [2][Leistungsbezüge für zwei Monate
       komplett streichen.] Die CDU spitzt das nun noch zu. 2019 urteilte das
       Bundesverfassungsgericht zwar, dass nur Kürzungen bis zu 30 Prozent
       zulässig sind. Aber CDU und Ampel sehen verfassungskonforme Wege für die
       Komplettstreichung des Existenzminimums. Menschen in Arbeit zu zwingen oder
       hungern zu lassen, das ist offenbar der neue, raue Ton in [3][Zeiten des
       Fachkräftemangels].
       
       ## Erstmal bessere Löhne
       
       Und stößt leider in Teilen der Gesellschaft auf Zustimmung. Dabei macht die
       CDU selbst keinen Hehl daraus, dass die sogenannten „Totalverweigerer“ –
       übrigens ein guter Kandidat für das Unwort des Jahres – eine winzige
       Minderheit darstellen. Selbst bei aller denkbaren Härte: Es wird die
       deutsche Wirtschaft nicht retten. Das ist einfach Populismus statt
       Programm. Was dabei aus dem Fokus gerät: Das, was als „zumutbare Arbeit“
       gilt, bedarf einer gesellschaftlichen Interpretation.
       
       Der [4][Verein Sanktionsfrei], der Erwerbslose unterstützt, [5][berichtete
       zum Beispiel von einem ehemals Spielsüchtigen], der es ablehnte, in einer
       Spielhalle zu arbeiten. Oft ginge es auch um Fälle, wo Kita-Öffnungszeiten
       nicht mit den Arbeitszeiten zusammenpassen. Auf dem Rücken der Schwächsten
       versteckt die CDU die eigene programmatische Leere in der Post-Merkel-Ära,
       insbesondere bei der Frage, was konservative Sozialpolitik beinhalten soll.
       
       So ist es kein Zufall, dass die CDU [6][nicht so gern über die sogenannten
       Aufstocker*innen redet], Menschen, die oft zu niedrigen Löhnen schuften
       und trotzdem Bürgergeld beziehen müssen. Täte sie es, müsste die CDU die
       Verhältnisse anprangern, die sie in ihrer Regierungszeit selbst gestützt
       hat. Deutschland hat nach wie vor [7][im europäischen Vergleich einen
       großen Niedriglohnsektor]. Das ist der Grund, warum der Lohnabstand so
       gering ist.
       
       ## Wachsende Armut im reichen Land
       
       Bessere Löhne sind es, die Deutschland dringend braucht. Die Dämonisierung
       von Bürgergeldempfänger*innen erfüllt also einen Zweck, ganz nach
       dem Motto: Teile und herrsche. Denn wer sich mit der Grundsicherung
       differenzierter auseinandersetzt, wird merken: Vielleicht ist er oder sie
       selbst doch nur eine Depression, einen Pflegefall oder eine Kündigung weit
       entfernt von denen, die da gerade an den Pranger gestellt werden.
       
       Dass innenpolitisch darüber diskutiert wird, ob man den Ärmsten auch noch
       das letzte Hemd nehmen kann, ist umso absurder angesichts der Tatsache,
       dass das Problem aktuell auch jenseits der Landesgrenzen durchaus
       wahrgenommen wird. [8][In dieser Woche veröffentlichte der Europarat einen
       Bericht] zur wachsenden sozialen Ungleichheit in Deutschland. Das Ausmaß an
       Armut und sozialer Ausgrenzung stehe hier „in keinem Verhältnis zum
       Reichtum“.
       
       Kritisiert werden: Kinderarmut, Altersarmut, Wohnungsnot, wachsende
       Obdachlosigkeit. Für alle diese Probleme liefert die Ampel keine
       ausreichenden Antworten und die Union erst recht nicht. Letztere
       positioniert sich lieber [9][gegen die Kindergrundsicherung], gegen eine
       weitere Erhöhung des Mindestlohns, oder eine Verschärfung des Mietrechts.
       
       Vielleicht könnte die CDU einmal mit der gleichen Verve gegen
       Steuerhinterziehung vorgehen. Da wäre letztlich auch mehr zu holen als vom
       Langzeitarbeitslosen: Den jährlichen Schaden schätzt die deutsche
       Steuer-Gewerkschaft auf mindestens 100 Milliarden Euro. Aber warum nach
       oben gucken, wenn man nach unten treten kann?
       
       Korrekturhinweis: In einer früheren Version stand „Europäischer Rat“ statt
       Europarat. Wir bitten um Entschuldigung. 29.3.2024
       
       22 Mar 2024
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Vor-der-Einfuehrung-des-Buergergeldes/!5900367
 (DIR) [2] /Sanktionen-in-der-Grundsicherung/!5979678
 (DIR) [3] /Fachkraeftemangel/!t5018678
 (DIR) [4] https://sanktionsfrei.de/
 (DIR) [5] /Aktivistin-zu-Buergergeld-Sanktionen/!5996498
 (DIR) [6] /Debatte-um-Buergergeld/!5996335
 (DIR) [7] https://www.destatis.de/Europa/DE/Thema/Bevoelkerung-Arbeit-Soziales/Arbeitsmarkt/Qualitaet-der-Arbeit/_dimension-2/niedriglohnquote.html
 (DIR) [8] /Bericht-des-Europarats-zu-Deutschland/!5999018
 (DIR) [9] /Antworten-zur-Kindergrundsicherung/!5981082
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
       
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