# taz.de -- Verurteilter Waffenlieferant des NSU: Erste Haftstrafe verbüßt
       
       > Carsten S. wurde als Waffenlieferant des NSU-Trios verurteilt, packte als
       > Einziger voll aus. Nun hat er seine Haftstrafe abgesessen.
       
 (IMG) Bild: Als Einziger packte er im NSU-Prozess voll aus: Carsten S., nun in Freiheit
       
       BERLIN/MÜNCHEN taz | Er war der Einzige, der im NSU-Prozess voll aussagte,
       der seine Taten glaubhaft bereute. Und der Einzige, der das Urteil vom 11.
       Juli 2018 akzeptierte und seine Haftstrafe antrat: Carsten S.,
       [1][verurteilt zu drei Jahren Jugendstrafe], als Waffenlieferant des
       Terrortrios. Nun ist er auch der Erste, der seine Haft bereits verbüßt hat
       und wieder in Freiheit ist.
       
       Im Frühjahr 2019 hatte Carsten S. seine Haft angetreten. Bereits am 12.
       Juni dieses Jahres sei er nun entlassen worden, bestätigte ein Sprecher des
       Oberlandesgerichts München der taz. Er habe die Hälfte seiner Strafe
       abgesessen, der Rest sei zur Bewährung ausgesetzt. Bei Jugendstrafen ist
       dies so möglich. Auch der Anwalt von Carsten S., Johannes Pausch,
       bestätigte die Freilassung. „Er bereut seine Tat bis heute sehr, sie wird
       ihn nie loslassen. Aber er ist auch zuversichtlich, jetzt ein neues Leben
       beginnen zu können.“
       
       Wo Carsten S. in Haft saß, bleibt bis heute geheim, da sich der 40-Jährige
       wegen seiner Aussagen in einem Zeugenschutzprogramm befindet. Selbst seine
       Anwälte wissen es laut eigener Auskunft nicht. Ebenso wenig, wo S. nun –
       unter neuem Namen – lebt. Er organisiere derzeit seinen Alltag neu und sei
       auf Jobsuche, sagte Pausch.
       
       Carsten S. gehörte in den Neunzigerjahren zur rechtsextremen Szene in Jena,
       ebenso wie die späteren NSU-Terroristen Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und
       Beate Zschäpe. Als diese untertauchten, wurde er von Unterstützern
       eingesetzt, den Telefonkontakt zu halten. Im Jahr 2000 überbrachte der
       damals 19-Jährige dem Trio dann ihre spätere Mordwaffe, die Ceska-Pistole,
       samt Schalldämpfer und Munition. Mit dieser erschossen Böhnhardt und
       Mundlos neun Menschen mit Migrationshintergrund. Das erste Opfer war
       [2][Enver Şimşek in Nürnberg, vor genau 20 Jahren].
       
       Carsten S. brach kurz nach der Waffenabgabe und einem Vorbeugegewahrsam in
       anderer Sache mit der rechtsextremen Szene. [3][Er zog nach Düsseldorf,
       outete sich als schwul und arbeitete bei der Aidshilfe]. Als 2011 der NSU
       aufflog – Böhnhardt und Mundlos hatten sich nach einem gescheiterten
       Bankraub erschossen, Zschäpe hatte den Unterschlupf in Zwickau in die Luft
       gesprengt –, holte S. die Vergangenheit ein: Er wurde verhaftet und saß
       zunächst vier Monate in Haft.
       
       ## Hinterbliebene verziehen ihm
       
       Anders als Zschäpe und die drei weiteren mitangeklagten Helfer sagte S. im
       Prozess voll und unter Tränen aus, belastete sich und den früheren
       NPD-Funktionär Ralf Wohlleben schwer. Die Opfer des NSU bat er um
       Entschuldigung. [4][Einige nahmen diese an, baten das Gericht um Milde für
       Carsten S.] Es kam sogar zu einem Treffen von Hinterbliebenen mit ihm.
       
       Die Verteidiger von Carsten S. hatten in dem Prozess einen Freispruch
       gefordert: Ihr Mandant habe die Morde nie für möglich gehalten. Das Gericht
       sah es anders und verurteilte ihn zu Beihilfe zum Mord. Weil S. zur Tatzeit
       Heranwachsender war, wurde er aber noch zu einer Jugendstrafe verurteilt.
       Anders als Zschäpe, die zu lebenslanger Haft verurteilt wurde, und die
       anderen Mitangeklagten legte er keine Revision ein.
       
       Bereits im April gab es eine Anhörung von Carsten S. vor dem
       Oberlandesgericht München, unter Leitung von Richter Manfred Götzl, der
       auch das NSU-Urteil sprach. Dem Verurteilten wurde danach eine günstige
       Sozialprognose attestiert und die Haftentlassung auf Bewährung zugestanden.
       
       Mit den Revisionen von Zschäpe und den Mitangeklagten Wohlleben, Eminger
       und Holger G. [5][beschäftigt sich nun der Bundesgerichtshof]. Im Fall von
       Eminger legte auch die Bundesanwaltschaft Revision ein. Eine Entscheidung
       darüber wird erst im nächsten Jahr erwartet. Zschäpe befindet sich damit
       weiter in U-Haft, seit neun Jahren. Die anderen Mitangeklagten, die
       Haftstrafen bis zu zehn Jahren erhielten, sind vorerst weiter auf freiem
       Fuß.
       
       9 Sep 2020
       
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