# taz.de -- Zweites Urteil wegen Freital-Terror: Keine besorgten Bürger
       
       > Vor fünf Jahren verübten Rechtsextreme Anschläge in Freital. Nun werden
       > erneut Mitwirkende verurteilt. Das Gericht findet deutliche Worte.
       
 (IMG) Bild: Politische Überzeugungstäter: Die Verurteilten im zweiten Freitaler Terrorprozess vor Gericht
       
       DRESDEN taz | Als Richter Hans Schlüter-Staats am Donnerstagmittag die
       Urteile im Oberlandesgericht Dresden verkündet, zeigen die vier
       Rechtsextremen keine Regung, starren nur in den Saal. Sie haben es wohl
       kommen sehen, vielleicht auch Schlimmeres befürchtet. Eine Haftstrafe von
       zweieinhalb Jahren erhält Sebastian S., ein bulliger 27-Jähriger, der in
       einem Pullover mit gekreuzten Gewehren und „Defense Germany“-Aufschrift
       erschienen ist. Dazu gibt es bis zu zwei Jahre Haft auf Bewährung für
       Ferenc A., Stephanie T. und den früheren NPD-Stadtrat Dirk Abraham.
       
       Das Quartett soll sich im Sommer 2015 [1][an einer Reihe von Gewalttaten im
       Freital] beteiligt haben, die bundesweit für Aufsehen sorgten. Wie auch
       anderenorts braute sich in der sächsischen Stadt damals Hass gegen die
       Ankunft von Geflüchteten zusammen. In Freital aber entwickelte sich aus
       einer Bürgerwehr heraus ein konspirativer Trupp, der sich in einer
       Chatgruppe organisierte und über Monate Anschläge gegen Asylunterkünfte
       oder politische Gegner verübte. Am Ende ermittelte die Bundesanwaltschaft,
       wurden 2018 sieben Männer und eine Frau als Rechtsterroristen zu
       [2][Haftstrafen bis zu zehn Jahren] verurteilt. Drei von ihnen sitzen bis
       heute in Haft.
       
       Seit September wurde nun [3][gegen die zweite Reihe verhandelt], gegen die
       vier jetzt Verurteilten, auch sie Freitaler. Richter Schlüter-Staats
       erinnert daran, dass es um „sehr schwere Gewalttaten, die nicht nur Freital
       erschütterten“, gehe. Ziel sei es gewesen, Geflüchtete von der Stadt
       „fernzuhalten oder zu vertreiben“, auch mit Gewalt gegen deren
       Unterstützer. Es sei zu „Stufen der Eskalation“ gekommen, von Anschlag zu
       Anschlag seien die Hemmungen gefallen.
       
       Allen voran Sebastian S. mischte damals mit. Er war schon Teil der
       Bürgerwehr, später auch der konspirativen Gruppe. Und er war auch bei einem
       Anschlag auf das Auto des früheren Freitaler Linke-Stadtrats Michael
       Richter und auf ein Büro von dessen Partei dabei. An der Autoattacke
       beteiligte sich auch Ferenc A., ein 31-jähriger Glatzkopf. Michael Richter
       sei für die Rechtsextremen ein „bevorzugtes Hassobjekt“ gewesen, erinnert
       Schlüter-Staats. Weil er sowohl links als auch engagiert für Geflüchtete
       war. Die Folgen für den Lokalpolitiker seien „erheblich“ gewesen: Er habe
       danach [4][in Angst gelebt und schließlich die Stadt verlassen].
       
       ## Mit Sprengsatz einen Geflüchteten verletzt
       
       Freigesprochen wird Sebastian S. dagegen im Zusammenhang mit einem Anschlag
       auf eine Asylunterkunft. Mit verstärkten Böllern wurde dort ein Fenster
       gesprengt, ein Geflüchteter durch einen Glassplitter am Auge verletzt. Die
       Sprengsätze waren teils 130-mal stärker als herkömmliches Feuerwerk. „Das
       war extrem gefährlich“, so Schlüter-Staats. „Da hätten Menschen zu schweren
       Schäden kommen können.“ Aber: S. hatte ausgesagt, sich nicht an der Aktion
       beteiligt zu haben, und Gegenteiliges sei ihm nicht sicher nachzuweisen.
       
       Das Gericht sieht indes nicht nur Sebastian S., sondern auch Ferenc A. und
       Dirk Abraham, der bis 2019 noch für die NPD im Freitaler Stadtrat saß, als
       Mitglieder der Terrorgruppe. Auch diese beiden hätten sich intensiv an
       deren Chats beteiligt, diese rassistisch befeuert. „Sie wollten
       dazugehören.“ Der NPD-Politiker habe zudem für eine verschlüsselte
       Kommunikation gesorgt und Adressen von Unterkünften geliefert oder die
       Info, dass das Linke-Büro mit Sicherheitsglas ausgestattet sei. Zudem
       sprühten beide Männer mit anderen in Freital Parolen wie „Kein Heim“ oder
       „Kanaken verpisst euch“. Auch bei einem Fotoshooting der Gruppe auf einem
       Freitaler Berg – mit Hakenkreuzfahne, Bengalos und Hitlergrüßen – waren sie
       dabei. Beide erhalten dafür je zwei Jahre Haft, ausgesetzt zur Bewährung.
       
       Auf dem Berg war auch Stephanie T. mit dabei. Als eine der Ersten hatte sie
       Antiasyldemos in Freital organisiert, auch sie war Teil der Chatgruppe und
       mit einem der bereits Verurteilten liiert. Als dieser in Haft saß, warnte
       sie ihn in einem Brief, die „Kameraden“ nicht zu „verpfeifen“. „Denk an
       unsere Ideale.“ Sie sei Unterstützerin gewesen und über alles im Bilde,
       sagt Schlüter-Staats. Sechs Monate auf Bewährung gibt es dafür.
       
       ## Geständnisse und Relativierungen
       
       Im Prozess hatten alle vier Verurteilten ausgesagt – und ihre Taten
       relativiert. Sie hätten sich „mitreißen“ lassen, seien höchstens am Rande
       beteiligt gewesen, auch könne nicht von Terror die Rede sein. An viel
       erinnern mochten sie sich nicht, einige verwiesen auf ihre schwere Kindheit
       und beteuerten, sich von ihrer Gesinnung gelöst zu haben. Ihre Verteidiger
       forderten Geld- oder Bewährungsstrafen von höchstens zwei Jahren. Die
       Generalstaatsanwaltschaft hatte dagegen Strafen von bis zu drei Jahren und
       zwei Monaten Haft gefordert.
       
       Schlüter-Staats stellt klar, dass die Verurteilten keine besorgten
       BürgerInnen waren, sondern schon vor den Antiasylprotesten „rassistisch
       grundiert“ und mit „Spaß an der Gewalt“. Auch habe es sich „unzweifelhaft“
       um eine Terrorgruppe gehandelt, „geradezu paradigmatisch“. Denn die
       Rechtsextremen hätten koordiniert und mit gemeinsamem Willen schwere
       Straftaten begangen.
       
       Die Ausflüchte der Verurteilten nennt Schlüter-Staats „lächerlich“. Dass
       etwa NPD-Mann Abraham einen Chatkommentar zum Anschlag auf eine
       Asylunterkunft („sieht gut aus“) ironisch verstanden wissen will, komme
       „einer Beleidigung der Intelligenz“ gleich. Auch seine behaupteten,
       alkoholbedingten „Filmrisse“ beim Fotoshooting oder der Sprühaktion seien
       Schutzbehauptungen. Und Schlüter-Staats warnt: Werde der 53-Jährige auch
       nur mit einem Meinungsdelikt wieder straffällig, sei die Bewährung
       hinfällig.
       
       Abraham quittiert die Ansage mit einem Nicken. Auch Stefanie T. mahnt der
       Richter zur Zurückhaltung: Ihre Loslösung von der rechtsextremen Ideologie
       sei bisher nicht wirklich überzeugend und im Prozess nur „unengagiert und
       formal“ behauptet worden. Stefanie T. und die anderen verfolgen die
       Urteilsbegründung eher gelangweilt. Und sie profitieren von der langen
       Verfahrensdauer, die ihnen einen Strafrabatt einbringt und damit die
       Bewährungsstrafen.
       
       ## Für die Betroffenen „enttäuschend“
       
       Nebenklageanwältin Kati Lang, die Geflüchtete aus einer der angegriffenen
       Unterkünfte vertritt, nimmt das Urteil denn auch „mit gemischten Gefühlen“
       auf. Zwar habe das Gericht „deutliche Worte“ gefunden, die Strafmilderung
       durch die Verfahrenslänge und der Freispruch für Sebastian S. im
       Zusammenhang mit dem Angriff auf die Asylunterkunft aber seien für ihren
       Mandanten „enttäuschend“.
       
       In Freital selbst hatte sich die Lage zuletzt beruhigt. Für größeres
       Aufsehen sorgte zuletzt nur der Tod des Sohnes eines bekannten
       Rechtsextremen, der wohl versehentlich von seinem Bruder erschossen wurde.
       Oberbürgermeister Uwe Rumberg (parteilos) wollte das neuerliche Urteil denn
       auch nicht kommentieren. Er habe sich bereits „hinreichend“ zum ersten
       Urteil 2018 geäußert, sagte ein Sprecher auf taz-Anfrage.
       
       Rumberg hatte die Taten damals zunächst heruntergespielt und die
       Asylpolitik ebenfalls kritisiert. Am Ende verurteilte er „extremistische
       Gewalt“. Im Sommer 2020 trat Rumberg mit acht anderen Lokalabgeordneten
       schließlich wegen „großer inhaltlicher Differenzen“ aus der CDU aus.
       
       Die Freitaler Linken-Politikerin Steffi Brachtel, die selbst Opfer der
       Terrorgruppe wurde, bleibt auch deshalb vorsichtig. Die Rechtsextremen
       hatten damals ihren Namen mit Drohungen an eine Hauswand gesprüht, ihren
       Briefkasten gesprengt und ihren Sohn angegriffen. Brachtel spricht von
       einer womöglich „trügerischen Ruhe“, denn viele derjenigen, die damals
       gegen die Geflüchteten protestierten, seien ja noch vor Ort. Es sei daher
       gut, dass nach dem ersten Urteil weiter ermittelt und nun ein
       „angemessenes“ Urteil gefällt wurde. Einzig NPD-Mann Abraham hätte als
       Informationsbeschaffer eine härtere Strafe verdient, findet Brachtel. Auch
       jetzt gelte es weiter, die rechtsextremen Verstrickungen in und um Freital
       aufzuklären.
       
       Tatsächlich ist die Aufklärung der Freitaler Terrorserie auch mit dem
       Urteil vom Donnerstag noch nicht beendet. Denn seit Ende Januar läuft
       bereits ein weiterer, letzter Prozess gegen noch mal drei Unterstützer,
       zwei Männer und eine Frau, 34 bis 56 Jahre alt. Ihnen wird vorgeworfen,
       ebenfalls Teil der Chatgruppe gewesen zu sein oder sich an einem Angriff
       auf ein alternatives Wohnprojekt in Dresden beteiligt zu haben. Auch das
       Trio räumte die Vorwürfe ein – gab sich sonst aber eher wortkarg.
       
       4 Feb 2021
       
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