# taz.de -- Ausstellung zu Nazivergangenheit: Wand mit zahllosen Fliegen
       
       > Zwei Künstler thematisieren in einer Ausstellung in Tel Aviv die
       > Nazivergangenheit und ihr Familienerbe. Der eine ist Israeli, der andere
       > Österreicher.
       
 (IMG) Bild: Der Künstler Shimon Lev versteckt sich in Wien vor den Nazis. (2012)
       
       Zwei Künstler – eine Ausstellung. Beide sind um die 50, beide beschäftigen
       sich obsessiv mit der eigenen Familiengeschichte, und für beide spielt der
       Holocaust eine zentrale Rolle in ihrer Kunst. Ein Israeli und ein
       Österreicher. Der eine ist Sohn des einzigen Überlebenden einer jüdischen
       Familie, der andere stammt aus einer angesehenen österreichischen
       Großfamilie, in der es „eine ganze Reihe aktiver und begeisterter Nazis
       gab“, wie er sagt.
       
       Shimon Lev und Friedemann Derschmidt zeigen ihre Ausstellung „Zwei
       Familienarchive“ in Tel Aviv in der P8 Gallery. Bereits im Frühjahr letzten
       Jahres stellten sie gemeinsam in der Schau „Laboratorium Österreich“ an der
       Akademie der bildenden Künste in Wien aus. Es ist eine Gratwanderung. Nicht
       nur bei der Zusammenarbeit stoßen sie an Grenzen. Lev muss zudem Kritik in
       Israel hören für sein Projekt mit dem Österreicher, der auf eine so düstere
       Familiengeschichte zurückblickt.
       
       „Wie weit wage ich mich vor im Dialog mit den Erben der Mörder“, fragt Lev.
       Auf den Spuren seines Vaters, der als Wilhelm Löw 1922 in Wien zur Welt
       kam, reist der Israeli nach Österreich. Er prangert das „falsche Narrativ“
       an, mit dem in dem Land, aus dem einst Hitler kam, die Nazizeit erinnert
       werde. „Österreich ist nicht leicht für mich.“
       
       ## Die Geschichte des anderen erzählen
       
       Ein Selbstporträt zeigt ihn nackt hinter einem Vorhang in seinem Wiener
       Gästezimmer. „Ich verstecke mich vor den Nazis“, lacht er bitter. Mit einem
       Videozusammenschnitt, in dem die beiden Künstler in der Ich-Form die
       Geschichte des anderen erzählen, sei er an seine Grenzen gestoßen.
       
       Die Konfrontation mit der Geschichte der Familie begann bei Friedemann
       Derschmidt Anfang der 90er Jahre. Damals brannte in Rostock eine Unterkunft
       vietnamesischer Vertragsarbeiter. Für Derschmidts Großtante waren die
       neofaschistischen Angriffe zu viel. Sie brach ihr Schweigen und begann zu
       erzählen. „Wir saßen 17 Stunden zusammen“, erinnert sich Derschmidt. Er war
       25 Jahre alt und lauschte den Geschichten der einst begeisterten
       BDM-Führerin. Das war „das Schlüsselerlebnis“, so Derschmidt, mit der er
       seine Recherche begann.
       
       Derschmidt zeichnete Gespräche auf und ließ sich von Verwandten deren frühe
       Kindheitserinnerungen schildern. Er ging in die Archive und richtete
       schließlich einen familieninternen Weblog ein. Den „Reichel komplex“, in
       den inzwischen 90 seiner Verwandten ihre Erinnerungen einspeisten. „Ich
       habe viel Material, viele Mitschnitte von Interviews auch mit der
       Tätergeneration“, sagt er.
       
       ## Nur ein paar Dutzend Briefe
       
       Levs „Familienarchiv“ hingegen umfasst nur ein paar Dutzend Briefe. Mehr
       ist ihm von den Eltern und der Schwester seines Vaters nicht geblieben,
       ebenso einige wenige Fotos. „Ich kann nicht einfach hingehen und meine
       Großmutter interviewen“, sagt Lev, „sie wurde ja ermordet.“
       
       Derschmidts Urgroßvater Heinrich Reichel, Namensgeber des Weblog-Projekts,
       war anerkannter Universitätsprofessor und Eugeniker. Beispielgebend für
       sein Forschungsanliegen, zeugte er neun Kinder und machte sie zum Objekt
       seiner Untersuchungen. Wer die Ausstellungsräume in Tel Aviv betritt, steht
       nach wenigen Schritten vor einer Wand mit zahllosen Fliegen, die hinter
       Dutzenden alten Kinderfotos hervorluken – die Forschungsobjekte der
       Rassenkunde von Reichel. „Wir“, die heutige Großfamilie Reichel-Derschmidt,
       so der Künstler, „sind das Ergebnis eines Experiments – wir sollten es
       evaluieren.“
       
       Ein Onkel leugne den Holocaust bis heute. Derschmidts persönliches Projekt
       der Familienforschung könne „als Modell dienen“. Beide Künstler empfinden
       ihre Ausstellung keineswegs als rein historische Arbeit. Ihre Kunst habe
       auch nur indirekt etwas mit dem Holocaust zu tun.
       
       Lev sucht nach anderen, neuen Ansätzen zum Umgang mit dem Holocaust. Ein
       zentrales Element seiner Ausstellung ist eine filmisch dokumentierte
       Brieflesung, die er in dem Haus in Berlin inszenierte, in dem sein Vater
       die letzten Wochen mit seiner Familie verbrachte. Lev ließ dazu die Leute,
       die heute in dem Haus in Berlin wohnen, die Briefe von Wilhelms Eltern und
       der Schwester lesen.
       
       27 Jul 2014
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Susanne Knaul
       
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