# taz.de -- Tafeln und Flüchtlinge: Die Schlange wird länger
       
       > Manche Tafeln bedienen alle Flüchtlinge, andere schließen Asylsuchende
       > aus. Und einige Deutsche sehen die Neuankömmlinge als Konkurrenz.
       
 (IMG) Bild: Flüchtlinge nehmen in Mechernich (NRW) vor der Lebensmittelausgabe bei der Tafel Nummernkarten entgegen.
       
       BERLIN taz | „Du Moslem?“, fragt Karin Huf den jungen Mann. Die Jüngeren
       werden hier geduzt, die Deutschen und die Flüchtlinge. Der Neuankömmling
       nickt. „Käse oder Fisch?“ „No fish!“ Huf greift in die Kiste und reicht
       eine Packung Grillkäse über den Tisch. „In Pfanne, braten!“ Sie macht eine
       Bewegung wie beim Wenden in der Pfanne.
       
       Huf, ehrenamtliche Helferin der Tafel in Potsdam, fühlt sich verantwortlich
       für ihre Kunden, für die jungen Alleinerziehenden, die hierherkommen, die
       Kinder im Schlepptau, für die älteren Hartz-IV-EmpfängerInnen mit ihren
       Gebrechen, für die KleinrentnerInnen und seit einiger Zeit auch für die
       Flüchtlinge, meist junge Männer, die kein Deutsch sprechen und noch ein
       bisschen ärmer aussehen als die anderen. „Jeder muss was kriegen“, betont
       die energische Endfünfzigerin mit der rotrandigen Brille, „da müssen wir
       drauf achten“.
       
       Doch die gerechte Ausgabe ist zum Problem geworden für manche der
       bundesweit 900 Tafeln, seitdem Tausende von Flüchtlingen bei den
       Ausgabestellen auftauchen, um sich genauso wie die anderen Armen Kohlrabi,
       Möhren, Brot, Käse oder Eiersalat in die Taschen füllen zu lassen. Die
       Tafeln sammeln Lebensmittel bei Supermärkten und Großmärkten ein, die auf
       dem Müll landen würden, weil das Haltbarkeitsdatum fast oder ganz
       abgelaufen ist oder das Gemüse nicht mehr frisch ist.
       
       Die Tafeln geben die Waren für einen Euro an Bedürftige weiter, die sich
       bei den Ausgabestellen registrieren lassen müssen und höchstens einmal
       wöchentlich kommen dürfen. Immerhin 1,7 Millionen Menschen essen gespendete
       Lebensmittel in Deutschland. Die Menge der Waren lässt sich aber nicht
       beliebig vermehren, auch wenn jetzt bundesweit 200.000 mehr Kunden kommen
       als noch Anfang des Jahres.
       
       „Wir bekamen ein Problem, als plötzlich auf einem Schlag hundert Leute mehr
       vor der Tür standen“, erzählt Imke Eisenblätter, Leiterin der Potsdamer
       Tafel. In der Gegend gibt es inzwischen zehn Flüchtlingsunterkünfte. Am Tag
       können aber nur etwa 150 bis 200 Abholer bedient werden, für die
       alteingesessene Klientel wurde es eng. Die Potsdamer Tafel entschied sich
       zu einem Kompromiss: Für die rund 800 Flüchtlinge in den umliegenden Heimen
       wurden 200 übertragbare rote Karten ausgegeben, auf denen unterschiedliche
       Wochentage als Abholtag verzeichnet sind.
       
       Die Heimleitungen lassen diese Karten unter den Flüchtlingen rotieren,
       jeder Flüchtling ist also alle vier Wochen dran. Wer mit der roten Karte
       bei der Tafel auftaucht, bekommt Lebensmittel für eine Person ausgehändigt.
       Die anderen Abholer sind durch ihre Bescheide zu Hartz IV, zur
       Grundsicherung im Alter oder für eine Minirente als Kunden registriert und
       können mit ihren orange Abholkarten jede Woche kommen.
       
       ## Wer den Stempel „nicht warten“ hat, kommt gleich dran.
       
       Kompromisse wie in Potsdam werden nicht überall geschlossen. Im
       nordrhein-westfälischen Essen etwa werden Arme nur dann als Empfänger
       registriert, wenn sie einen Bescheid über den Empfang von Hartz IV,
       Grundsicherung im Alter oder Wohngeld vorlegen, berichtet Jörg Sartor,
       Vorsitzender der Essener Tafel. Flüchtlinge, die nur eine
       Aufenthaltsgestattung oder eine Bescheinigung über Asylbewerberleistungen
       haben, sind damit ausgeschlossen. Da sie in Erstaufnahmeeinrichtungen
       wohnten, werden sie dort schon mit Essen versorgt, gibt Sartor zu bedenken.
       
       Es ist ein Argument, das nicht sticht, wenn man bedenkt, dass auch der
       Hartz-IV-Regelsatz ein Budget für Lebensmittel vorsieht. Die Sorge, dass
       der Andrang vieler hundert Flüchtlinge eine einzelne Ausgabestelle
       überfordern könnte, scheint allerdings berechtigt. Die 12 Ausgabestellen in
       Essen werden meist nur einmal in der Woche beliefert und versorgen mit
       ihren ehrenamtlichen Helfern oft nur 20 Familien.Die größere Ausgabestelle
       in Berlin-Spandau bedient alle Flüchtlinge, die kommen. „Wir kriegen zum
       Glück genug Lebensmittel“, sagt Helferin Christel Eglinski, 68.
       
       In Spandau ist das Problem eher das Wartesystem. Schon um Viertel nach fünf
       Uhr früh stellt Pjotr Kaminksi (Name geändert), 76 Jahre alt und Aussiedler
       aus Russland, seinen Einkaufstrolley vor die Tür des Gemeindehauses in der
       Weißenburger Straße. Er fährt mit dem Bus nach Hause und kommt um halb neun
       Uhr wieder. Dann können die Wartenden mit ihren Trolleys runter ins
       Gemeindehaus, dort stellen sie die Einkaufswagen vor den Stuhlreihen ab, in
       einer Wartereihe, die der von oben vor der Tür entspricht. Wieder geht
       Kaminski nach Hause und kommt um halb zwölf Uhr wieder.
       
       Dann öffnet die Ausgabestelle. Die Leute aus der Stuhlreihe stellen sich an
       und werden bedient.Wer den Stempel „nicht warten“ auf der Karte hat, kommt
       gleich dran. Es sind viele Flüchtlinge darunter, die zum Deutschkurs
       müssen. Ihnen folgen neidische Blicke. „Die müssen nicht warten. Aber ich
       muss dreimal hierherkommen“, klagt Kaminski, „das erste Mal um fünf Uhr
       morgens. Dabei bin ich 76.“
       
       Manche alteingesessenen KundInnen bleiben weg, seitdem so viele Flüchtlinge
       zur Spandauer Tafel kommen. Das Warten und Anstellen sei manchen der
       Älteren zu viel, einigen sei es auch zu laut geworden, erzählt Helferin
       Brigitte Petrausch, 66. „Wir bedauern das. Aber was sollen wir machen?“ Ein
       Ausschluss der Flüchtlinge kommt für sie nicht infrage.
       
       25 Nov 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Dribbusch
       
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