# taz.de -- Kinofilm „Joy – Alles außer gewöhnlich“: Die Erfindung des Wundermopps
       
       > In seinem Spielfilm mixt David O. Russell die Genres wie ein Vierjähriger
       > die Zutaten bei der Weihnachtsbäckerei. Es hat sich gelohnt.
       
 (IMG) Bild: Jennifer Lawrence spielt die Hauptrolle der Joy Mangano.
       
       Auf ihre Weise bilden sie eine letzte Bastion: das Teleshopping und die
       Soap-Opera, zwei Bereiche der populären Kultur, die sich hartnäckig dem
       Gentrifizierungsprozess widersetzen, bei dem Pop-Genres wie
       heruntergekommene Stadtviertel zuerst für die Hipster und dann für die
       besseren Schichten erschlossen werden.
       
       Wo das Kinofranchise à la „Star Wars“, die Comicverfilmung nach Marvel und
       die normale Fernsehserie zu würdigen Gegenständen von großen Erörterungen
       aufgestiegen sind, bleiben die gemeine Soap-Opera und das Teleshopping in
       den Niederungen der Interessen von so wenig hippen Publikumssegmenten wie
       Müttern und einsamen Tanten.
       
       Womit wir beim Thema wären: Auf die Gedankenwelt von Frauen, auf weibliche
       Lebensentwürfe haben diese beiden Bereiche mehr Einfluss, als allgemein
       eingestanden wird. Für die Karriere der Wischmopp-Erfinderin Joy, der
       Titelfigur von David O. Russells neuem Film, stellen sie so etwas wie
       Grundsäulen dar.
       
       So sieht man Terry (Virginia Madsen), die Mutter der von Jennifer Lawrence
       verkörperten Joy, im Film nie anders als auf dem Bett liegend und den
       lieben langen Tag Soap-Operas verfolgend. Es ist eine fast karikaturistisch
       überzeichnete Darstellung der unvernünftigen Weltflucht einer von Scheidung
       und anderen Enttäuschungen gezeichneten Frau.
       
       Doch Russell lässt seine Figur nicht etwa irgendwelches Archivmaterial aus
       den 80er Jahren, der Zeit, in der der Film spielt, schauen. Nein, er hat
       für seinen Film eigens Schlüsselmomente einer fiktiven Soap-Opera
       inszeniert, allerdings mit tatsächlichen Soap-Opera-Stars. Die Szenen im
       Hintergrund, die sich manchmal wie aus Versehen in den Vordergrund
       schieben, bilden all das ab, was das Genre auf den ersten Blick so grotesk
       erscheinen lässt: Die Betonfrisuren der Darsteller, die ins Trashige
       aufgemotzten Kleider der Frauen, die nie anders als hochdramatischen
       Kadenzen der banalen Dialoge.
       
       Aber Russell macht durch all das hindurch kenntlich, was zugleich den Reiz
       des Genres bildet: das Grundgefühl weiblicher Ermächtigung. In der Mitte
       der Szene stehen, das Messer selbst in die Hand nehmen, die unbestrittene
       Heldin der Geschichte sein. Auch wenn Joy selbst meist nur einen flüchtigen
       Blick übrig hat für den Bildschirm, der ihre Mutter so fesselt, so zieht
       sie daraus doch sichtlich Inspiration.
       
       Tatsächlich ist Joys Geschichte die einer Ermächtigung. Der Film beruht in
       groben Zügen auf der Lebensgeschichte von Joy Mangano, die mit der
       Erfindung des „Miracle Mop“ aus ärmlichen Verhältnissen heraus zur
       erfolgreichen Geschäftsfrau aufstieg. Aber David O. Russell, der in seinen
       Filmen Genres mixt wie ein Vierjähriger die Zutaten bei der
       Weihnachtsbäckerei, erzählt sie keineswegs als typisches Biopic. Zwar kann
       man das Grundschema noch erkennen: Die Schlüsselmomente in der Kindheit,
       als Joy ihr Erfindertalent beweist, in dem sie ein reflektierendes
       Hundehalsband mit Knopfdruckverschluss kreiert – aber leider niemand da
       ist, der es für sie patentiert.
       
       ## Stetig wechselnde Tonlage
       
       Dann die Krise der jungen Frau, wenn sie sich wiederfindet als geschiedene
       Mutter zweier Kinder, die mit einem langweiligen Job mühsam Haus und
       Familie samt Exmann (Édgar Ramírez) in der Kellerwohnung durchbringt. Als
       es besonders schlimm kommt – der Vater (Robert De Niro) sorgt mit einer
       neuen Freundin (Isabella Rossellini) für Chaos – schlägt die Inspiration
       ein und der Wischmopp wird erfunden.
       
       Aber natürlich stellen sich weitere Hindernisse in den Weg … Doch bei all
       dem behält Russell seinen eigenartigen Genremix bei, wechselt vom
       Märchenton in den des Sozialrealismus, vom High Drama der Soap-Opera in die
       praktisch-optimistische Tonlage des Teleshoppings und zurück. Weshalb man
       diesen Film irgendwie nie zu fassen kriegt.
       
       Die Fragen, die ein Biopic mit eindeutigen Gefühlen beantworten würde,
       lässt Russell irritierend offen. Ist Robert De Niros Vater-Figur ein Idiot
       oder ein Schurke? Meint seine neue Freundin Trudy (von Rossellini herrlich
       zwiespältig angelegt) es im Grunde gut? Und was ist mit Bradley Cooper, der
       als Teleshopping-König in der grandiosesten Szene des Films Joy den Zauber
       und die Magie des Verkaufsfernsehens vorführt, als handle es sich um das
       Fahrgeschäft eines Vergnügungsparks?
       
       Mit stetem Blick auf seine Hauptfigur mäandert „Joy“ unbekümmert durch all
       die Wendepunkte – und trifft damit ihr Lebensgefühl umso genauer: so
       emotional wie eine Seifenoper, so praktisch orientiert wie
       Verkaufsfernsehen.
       
       31 Dec 2015
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Barbara Schweizerhof
       
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