# taz.de -- Runder Tisch Stadt- und Mieteninis Berlin: „Der Koalitionsvertrag reicht nicht“
       
       > Rot-Rot-Grün will eine Wende in der Wohnungspolitik. Die Initiativen
       > wollen mitentscheiden. Ein Gespräch über eine Neuerzählung der Stadt.
       
 (IMG) Bild: Nicht nur Partner sein, sondern mitentscheiden
       
       taz: Rot-Rot-Grün ist angetreten, eine Wende in der Wohnungspolitik
       herbeizuführen. Außerdem hat die SPD das Bauressort an die Linkspartei
       abgegeben. Was heißt das für Sie als stadt- und wohnungspolitische
       Initiativen? 
       
       Christian Schöningh: Man muss Michael Müller zugutehalten, dass er als
       Stadtentwicklungssenator, im Gegensatz zu seiner Vorgängerin, Wohnungs- und
       Mietenpolitik ernst genommen hat. Dann hat er sich angesichts der Aufgaben,
       die vor ihm standen, gefragt: Wer sind meine Partner? Das waren aber immer
       nur die Investoren. Initiativen, die die Dinge mal auch anders machen
       wollten, gehörten nie dazu. Da hoffen wir, dass das mit der neuen Senatorin
       anders beantwortet wird.
       
       Sandy Kaltenborn: Dass Herr Müller die Wohnungspolitik plötzlich ernst
       nahm, war nicht seine eigene Erkenntnis. Er hat auf den starken
       außerparlamentarischen Druck reagiert.
       
       Wie haben Sie reagiert, als Sie erfahren haben, dass Bausenatorin Katrin
       Lompscher (Linke) den Gentrifizierungskritiker Andrej Holm als
       Staatssekretär für Wohnen [1][nominiert hat]? 
       
       Daniela Brahm: Ich war überrascht. Ich habe mich aber sehr gefreut. Für
       mich war die Entscheidung mit der Hoffnung verbunden, dass es ernst gemeint
       ist mit einem Wechsel in der Wohnungspolitik.
       
       Sandy Kaltenborn: Ich war nicht verwundert, weil wir das vorher gewusst
       hatten. Dass man versucht, gestaltend in die Stadtentwicklungspolitik
       einzugreifen, haben wir begrüßt. Deshalb haben wir Andrej auch geraten, den
       Job anzunehmen.
       
       Holm selbst hat gesagt, dass er am Anfang eher skeptisch war. Gab es da
       einen Rückkopplungsprozess mit den Initiativen? 
       
       Enrico Schönberg: Ich wusste es nicht. Ich war wie Daniela sehr überrascht.
       Aber es war auch interessant, da war plötzlich eine ganz andere Denkfigur
       aufgemacht: Ein E[2][xponierter aus den sozialen Bewegungen] geht in den
       Senat. Ob er da Erfolg gehabt hätte? Da gab es zu wenig Zeit, um das zu
       beurteilen.
       
       Sandy Kaltenborn: Wir dürfen nicht vergessen, dass das, was
       [3][mietenpolitisch im Koalitionsvertrag steht], in den
       Koalitionsverhandlungen bis zuletzt auf der Kippe gestanden hatte. In der
       Facharbeitsgruppe, die das verhandelt hat, war von der SPD alles blockiert
       worden, was wir als fortschrittlich empfunden haben. Erst in der
       Schlussrunde – und nach einem kleinen Putsch in der SPD – ist das
       durchgekommen. Das war die Grundlage, auf der Andrej beschlossen hat, in
       die Verantwortung zu gehen. Es war also auch eine inhaltliche Entscheidung.
       
       Christian Schöningh: Ich habe mich gefreut. Über den Koalitionsvertrag und
       darüber, dass das auch personell unterfüttert wurde. Aus
       Initiativenperspektive reicht das geschriebene Wort nicht aus.
       
       Gab es einen Moment, in dem Sie gedacht haben, dass Andrej Holm auch
       scheitern könnte? Er hatte ja keinerlei Verwaltungserfahrung. 
       
       Sandy Kaltenborn: Hat denn jemand mal danach gefragt, ob Ramona Pop
       Verwaltungserfahrung hat? Andrejs Stärke ist, dass er zu allen wichtigen
       mietenpolitischen Lagen unabhängige Analysen erarbeitet hat. Er konnte hier
       auf Augenhöhe mit den Verwaltungsmitarbeitern arbeiten.
       
       Daniela Brahm: Er hätte es ja nicht allein gemacht. Er hätte Katrin
       Lompscher gehabt, die als Senatorin eine bestimmte Form von Wohnungspolitik
       umsetzen will. Das muss man sich klar machen, und das gilt auch für einen
       Nachfolger von Andrej Holm.
       
       Enrico Schönberg: Ich sehe das etwas anders. Der Koalitionsvertrag ist
       [4][trotz allem nicht ausreichend], um die soziale Frage zu beantworten.
       Ja, es sind Vereinbarungen drin, wo man in einzelnen Punkten Hoffnung
       schöpfen kann. Aber zu sagen, der Koalitionsvertrag sei schon der neue
       Aufbruch, wäre falsch. Es ist eine Veränderung. Und eine Verbesserung im
       Vergleich zu dem, was vorher gelaufen ist. Angesichts des Kapitals, das in
       die Stadt drückt, sind die Mittel und Aktivitäten, die auf Senats- und
       Bezirksebene bisher vorhanden sind, nicht ausreichend.
       
       Wie würde ein radikaler Kurswechsel in der Mietenpolitik, wie Sie ihn
       fordern, aussehen? 
       
       Enrico Schönberg: Das ist zum einen der Wille, dass die Kommune zum
       marktbeeinflussenden Faktor wird. Wenn man immer Wien zum Vorbild nimmt,
       geht es darum, ob man als Kommune in der Lage ist, den Markt so weit
       einzuschränken, dass man eine soziale Wohnraumversorgung hinbekommt. Das
       ist im Koalitionsvertrag so noch nicht gesagt worden. Es geht um die
       Aufstockung der Wohnungsbestände der sechs landeseigenen
       Wohnungsbaugesellschaften. Es geht um Neubau, der immer noch zu teuer ist.
       Eine klare Ansage aber macht der Koalitionsvertrag nicht.
       
       Sandy Kaltenborn: Die Erhöhung der Grunderwerbsteuer wäre so ein Punkt
       gewesen.
       
       … um die Spekulation einzudämmen. 
       
       Sandy Kaltenborn: Genau. Und die Neuausrichtung der [5][kommunalen
       Gesellschaften] wird eine Herausforderung sein. Diese bedarf einer
       Anstrengung, die weit über die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
       hinausgeht. Da sehe ich noch nicht, dass die SPD, aber auch die ganze
       Koalition dahintersteht. Wir brauchen die stadtpolitische Polarisierung
       zugunsten der Mieter, für die Andrej stand.
       
       Gerade polarisieren eher die Wohnungsbaugesellschaften. Obwohl im
       Koalitionsvertrag steht, dass die Miete nicht mehr als zwei Prozent pro
       Jahr steigen darf, haben sie [6][noch einmal kräftig zugelangt] und 21.751
       Mieterhöhungen, teilweise bis zu 14 Prozent, verschickt. Eine Provokation? 
       
       Sandy Kaltenborn: Es ist nicht klar, ob diese Mieterhöhungen als politische
       Provokation gegen die Senatorin und die Koalitionsvereinbarung gedacht
       waren oder nicht. Faktisch sind sie es aber, selbst wenn es ein rein
       technischer Vorgang gewesen sein sollte. Klar ist, dass die kommunalen
       Wohnungsunternehmen sich nun öffentlich erklären müssen. Sie müssen einen
       Weg finden, die Erhöhungen umgehend zurückzunehmen. Auch eine
       Entschuldigung wäre angemessen.
       
       Daniela Brahm: Daran sieht man, welche Haltung die Leitung der
       Wohnungsbaugesellschaften verinnerlicht hat. Die Renditeerwartungen sind an
       dem nach oben laufenden Markt orientiert, dabei sollten gerade die
       Wohnungsbaugesellschaften mietpreisdämpfend wirken. Die Leitungsebene ist
       zu einer Zeit gekommen, in der es einen klaren neoliberalen Auftrag gab.
       Das wird zäh, hier umzusteuern.
       
       Der Senat selbst setzt gerade andere Signale. Im sozialen Wohnungsbau
       wurden die turnusgemäßen Mieterhöhungen ausgesetzt. 
       
       Sandy Kaltenborn: Im sozialen Wohnungsbau bauen die Dinge, die jetzt
       beschlossen sind, auf unseren Kämpfen der vergangenen fünf Jahre auf. Sie
       verschaffen vielen Mietern etwas Luft. Das strukturelle Problem der
       Förderverträge aus den siebziger und achtziger Jahren ist aber nicht
       gelöst. Eine richtige Antwort wäre hier eine Politik der
       Rekommunalisierung. Aber natürlich ist es nicht einfach, 50.000 oder
       100.000 Wohnungen zurückzukaufen.
       
       Im Koalitionsvertrag gibt es für den sozialen Wohnungsbau stattdessen den
       Vorschlag einer sozialen Richtsatzmiete. Was muss man sich darunter
       vorstellen? 
       
       Sandy Kaltenborn: Das ist eine politische Festsetzung einer Mietobergrenze.
       Da gibt es verschiedene Modelle, wie etwa die Kopplung an Einkommen und den
       Mietspiegel. Das wird derzeit in einer Expertenkommission diskutiert und
       soll in den nächsten Monaten entschieden werden. Es ist Zeit, dass sich
       auch die Eigentümer an den Kosten beteiligen und nicht nur das Land Berlin
       und die Mieterinnen und Mieter.
       
       Mit Andrej Holm hätten Sie als Initiativen einen direkten Ansprechpartner
       gehabt. Wie weit wäre denn dieses Verhältnis gegangen? Holm selbst hat am
       Tag seines Rücktritts gesagt, dass er ein imperatives Mandat gehabt hätte.
       Er hätte keine Entscheidungen getroffen, ohne das mit den Initiativen
       rückzukoppeln. Welche Verabredungen gab es da? 
       
       Daniela Brahm: Also mit mir gab es keine.
       
       Christian Schöningh: Mit mir persönlich auch nicht, und auch nicht für die
       beiden Initiativen, für die ich hier sitze.
       
       Sandy Kaltenborn: Wenn man jahrelang zusammenarbeitet, muss man Andrej
       nicht erklären, was das Problem beim sozialen Wohnungsbau ist. Wenn er das
       so sagt, hat er damit eine produktive Abhängigkeit und eine, ich sage jetzt
       nicht Komplizenschaft, aber eine Parteilichkeit signalisieren wollen.
       
       Enrico Schönberg: [7][Komplizenschaft] ist gar nicht so falsch.
       
       Sandy Kaltenborn: Und dann fragt man sich auf der anderen Seite: Wie soll
       das denn gehen? Er wäre als Staatssekretär in einer Position gewesen, wo er
       auch mit Investoren und den Wohnungsbaugesellschaften verhandeln sollte.
       Muss er da nicht eher ausgleichen? Und da sind wir wieder bei dem, was wir
       heute brauchen, weil der Karren ziemlich tief im Dreck steckt. Welches
       Berlin wollen wir in 2030? Es wird viel über die soziale Mischung geredet,
       aber die geht gerade flöten. Die Kieze verändern sich massiv. Die Armen und
       die Mittelschicht ziehen weg. Ich will das Alte gar nicht romantisieren und
       auch nicht bestreiten, dass es Veränderungen braucht. Aber es geht darum,
       wie man diese Veränderungen auch mit staatlichen Eingriffen sozial
       gestaltet.
       
       Sie haben die Erwartungen formuliert, die Sie an Andrej Holm hatten. Aber
       es gibt natürlich auch Erwartungen an den Senat. Zum Beispiel möglichst
       viel Wohnraum zu schaffen. 
       
       Enrico Schönberg: Vielleicht ist das auch die Stelle, wo wir mal sagen
       müssen, dass wir als stadt- und mietenpolitische Initiativen nicht
       generell gegen Neubau sind. Entscheidend ist aber, was am Ende dabei
       rauskommt. Wie hoch sind die Mieten? Wer fährt den Profit ein? Darum geht
       es.
       
       Daniela Brahm: Eine bestimmte Anzahl an Wohnungen zu produzieren ist das
       eine. Aber wir müssen auch über Baukosten reden. Es wird derzeit sehr teuer
       gebaut. Trotzdem soll es sozialer Wohnungsbau werden. Aber es gibt das
       übliche Interesse von einer riesigen Lobby, die teuer bauen will, damit die
       Gewinne stimmen.
       
       Enrico Schönberg: Es rächt sich jetzt, dass die Verwaltung und auch die
       kommunalen Gesellschaften jahrelang den Innovationen, die von außerhalb
       entwickelt wurden, eher ablehnend gegenüberstanden.
       
       Sandy Kaltenborn: Neubau über alles war die große Parole seit 2011. Es war
       der große Erfolg der Mieterinitiativen, dass in der Politik angekommen ist,
       dass auch im Bestand etwas gemacht werden muss. Aber klar: Es ist eine
       Mammutaufgabe, und wir stehen jetzt vor der Aufgabe, welche neuen Formate
       es auch in der Kommunikation zwischen Politik und Zivilgesellschaft gibt.
       Denn auch das bedeutet ja „gutes Regieren“, wie es sich der Senat
       vorgenommen hat.
       
       Was ist für Sie sonst noch gutes Regieren? 
       
       Christian Schöningh: Nicht nur Kommunikation. Wir wollen auch
       mitentscheiden. Und wir möchten beim Thema Neubau auch als Partner gesehen
       werden. Das sagt jetzt wieder so ein Projektemacher, ich weiß.
       
       Enrico Schönberg (lacht): Ich hör dir trotzdem zu.
       
       Daniela Brahm: Aber diesen Schulterschluss sehen wir noch nicht. Die
       meisten Wohnungsbaugesellschaften sind abgeschottete Schiffe. Eine Reaktion
       auf neue Lebensentwürfe ist nicht zu sehen, die Grundrisse entsprechen
       nicht der sozialen Vielfalt in Berlin. Derzeit werden bevorzugt
       Single-Wohnungen oder gleich Studentenwohnungen gebaut. Was in der
       alternativen Projektentwicklerszene erprobt wird, muss in größere Maßstäbe
       überführt werden.
       
       Durch den Druck des [8][Mietenvolksentscheids] wurde das
       Wohnraumversorgungsgesetz verabschiedet. Das sieht auch die Kontrolle der
       Gesellschaften durch eine Anstalt öffentlichen Rechts vor. Was sind Ihre
       Erwartungen? 
       
       Sandy Kaltenborn: Wichtig ist, dass die Berlinerinnen und Berliner merken,
       dass das eigentlich ihre Gesellschaften sind. Dass sie nicht der SPD
       gehören. Wir haben das Fenster mit dem Mietenvolksentscheid erst einmal
       geöffnet. Damit wollten wir mehr Demokratisierung und Transparenz in den
       Laden reinkriegen. Bis dahin kamen die Geschäftsführer alle halbe Jahre in
       den Bauausschuss und haben ein paar Papiere vorgelegt. Den Rest haben sie
       mit den SPD-Bausenatoren abgekaspert. Es gab also so gut wie keine
       parlamentarische Kontrolle. Das ist ein großer Fortschritt, dass das jetzt
       möglich ist. Der Koalition fehlt noch immer eine Erzählung, wo das Land
       hinmöchte. Arm, aber sexy ist lange überholt. Was im Koalitionsvertrag
       steht, ist ein Anfang. Aber nach wie vor ist es wichtig, dass sich die
       Öffentlichkeit einmischt. Das gilt auch für alternative Projekte. Da
       wünschen wir uns deutlich mehr Kooperation mit den
       Wohnungsbaugesellschaften, zum Beispiel auf dem Dragoner-Areal oder am
       Kotti.
       
       Enrico Schönberg: Oft ist es so, dass die Wohnungsbaugesellschaften zu den
       Initiativen wie dem [9][Mietshäusersyndikat] sagen: Das können wir doch
       selbst, wozu brauchen wir euch da? Andererseits gab es auch schon den
       Willen, mit uns als gemeinwohlorientierten Partnern zusammenzuarbeiten.
       Positiv ist, dass die Gesellschaften ihren Gewinn nicht mehr ans Land
       abführen müssen, sondern für den Neubau einsetzen können.
       
       Wie könnte denn eine Erzählung aussehen, die die Gesellschaften auf
       Gemeinwohlorientierung verpflichtet. Gibt es da auch eine griffige Formel? 
       
       Christian Schöningh: Mitbestimmung.
       
       Enrico Schönberg: Sagen haben, nicht Mitbestimmung. Man muss was zu sagen
       haben.
       
       „Was“ zu sagen haben? Oder „das Sagen“ haben? 
       
       Enrico Schönberg: In einer Mieterstadt wie Berlin, in der 85 Prozent der
       Bevölkerung zur Miete wohnen, könnte man schon fragen, ob es nicht darum
       gehen soll, das Sagen zu haben. Im Moment ist ganz klar, dass wir Mieter
       nichts zu sagen haben.
       
       Sandy Kaltenborn: Ich glaube, es ist nicht unser Job, diese Erzählung in
       eine knackige Parole zu packen. Wenn man sich die Präambel zum
       Koalitionsvertrag anschaut oder wenn man sich manchmal Herrn Müller anhört,
       geht es immer viel um den sozialen Zusammenhalt. Natürlich muss eine solche
       Erzählung was mit dem sozialen Zusammenhalt in der Stadt zu tun haben. Eine
       Erzählung ist aber keine Floskel oder Pressemitteilung, sondern eine
       Praxis.
       
       Daniela Brahm: Immerhin kommt im Koalitionsvertrag ein neuer Akteur zu
       Sprache: die gemeinwohlorientierten Investoren. Das ist total interessant.
       Aber wer ist das? Ist das die Caritas? Oder sind es auch Gruppen, die wir
       vertreten? Versorgung mit Raum in dieser Stadt gemeinwohlorientiert zu
       denken ist extrem wichtig. Das kann nicht nur ein staatlicher Auftrag sein.
       Warum sollen nicht auch private, gemeinwohlorientierte Akteure dabei sein?
       Die Wohnungsbaugesellschaften können unser Problem nicht allein lösen.
       
       Mit der Nominierung von Andrej Holm hat Katrin Lompscher ein starkes Signal
       an die Initiativen gegeben. Wie viel Beinfreiheit gestehen Sie der
       Bausenatorin in Zukunft zu? 
       
       Enrico Schönberg: Erst mal sind ihr die Beine weggekloppt worden, um es mal
       klar zu sagen.
       
       Ab welchem Punkt würden Sie denn sagen: Unser Protest richtet sich nicht
       nur gegen die, die einen radikalen Wechsel in der Wohnungspolitik nicht
       wollen, sondern auch gegen Rot-Rot-Grün? 
       
       Sandy Kaltenborn: Das Verhältnis von uns zu Katrin Lompscher und der
       Senatsverwaltung für Stadtentwicklung muss sich in den nächsten Wochen und
       Monaten erst einmal entwickeln. Andererseits ist Lompscher für uns keine
       Unbekannte. Wir kennen sie als Person, wir kennen ihre inhaltlichen
       Positionen. Die teilen wir in vielen Punkten, in manchen auch nicht. Wir
       haben seit vielen Jahren mit ihr gut zusammengearbeitet. Deswegen ist da
       auch ein Vertrauensvorschuss da.
       
       Daniela Brahm: Entscheidend wird sein, wie die Zusammenarbeit der
       Senatsverwaltung mit den Initiativen läuft. Ich sehe auch die Gefahr, dass
       manche Initiativen einen engeren Draht zu ihr haben, andere weniger. Es
       muss eine Struktur gefunden werden, die einen möglichst breiten Austausch
       möglich macht. Da steht zum Beispiel im Koalitionsvertrag, dass die
       Qualifizierung des runden Tischs zur Neuausrichtung der Berliner
       Liegenschaftspolitik angestrebt wird. Wir müssen klären, was wir erwarten,
       welchen Einfluss die Initiativen tatsächlich haben werden, und dass die
       Mitwirkung transparent ist.
       
       Ist denn, gerade wenn es um Liegenschaftspolitik geht, auch Finanzsenator
       Matthias Kollatz-Ahnen ein Partner für Sie? 
       
       Sandy Kaltenborn: Er versteht was von Wohnungswirtschaft. Er ist nicht der
       klassische neoliberale SPDler. Dass der Senat die Schuldentilgung
       zurückgefahren hat und mehr investieren will, ist eine richtige
       Entscheidung. Auf jeden Fall ist er von allen bisher der beste.
       
       Enrico Schönberg: Das Problem ist die Schwarze Null. Was passiert, wenn die
       Schuldenbremse greift?
       
       Christian Schöningh: Und wie wollen wir verhindern, dass die Schuldenbremse
       zur Investitionsbremse wird?
       
       Daniela Brahm: Lange Zeit bestand Liegenschaftspolitik darin, mit dem
       Verkauf von Grundstücken Kasse zu machen. Damit ist die Dominanz der
       Finanzverwaltung erst entstanden. Die Stadtentwicklungspolitiker konnten
       gar nichts mehr machen, weil alles von Finanzen dominiert wurde. Hat sich
       das geändert? Wir müssen hinsehen und reagieren, auch darauf, wie die neue
       Kooperation zwischen Stadtentwicklung und Finanzen läuft.
       
       Sandy Kaltenborn: Die [10][Ernennung von Jan Kuhnert als Vorstandsmitglied
       für die Anstalt öffentlichen Rechts]…
       
       … Kuhnert war Mitinitiator des Mietenvolksentscheids… 
       
       Sandy Kaltenborn: … ja, und das war ein sehr positives Signal von
       Kollatz-Ahnen, eines Experten zu holen, der aus den Mieterinitiativen
       kommt. Das ist eine richtige, mutige und lobenswerte Entscheidung.
       
       Christian Schöningh: Sie haben mich ja unter anderem als Vertreter der
       Initiative [11][„Haus der Statistik“] eingeladen. In den zwei Jahren, die
       wir daran arbeiten, hat uns der Finanzsenator aufgefordert, ein Angebot
       einzureichen. Das haben wir gemacht. Aber das war kein Angebot, das
       Grundstück zu kaufen, sondern mit dem Finanzsenator zusammen ein gutes
       Projekt zu machen. Kollatz-Ahnen traue ich zu, ein solches Angebot
       anzunehmen. Üblich ist eher eine Einstellung wie: Nee, wir lassen uns doch
       jetzt von denen nicht zeigen, wie es anders geht.
       
       Daniela Brahm: Das ist das, was ich unter Kooperation verstehe.
       
       Enrico Schönberg: Wir haben auch gute Erfahrungen gemacht. Die
       Nichtprivatisierung des Dragoner-Areals ist auch ihm zu verdanken. Da gab
       es den Druck der Initiativen, und er hat am Ende was umgesetzt.
       
       Sie haben vorhin gesagt, es gebe noch kein richtiges Wir bei den
       Initiativen, die ja auch sehr unterschiedliche Interessen verfolgen. Ist
       das auch eine Herausforderung? Da Strukturen zu schaffen, um noch stärker
       mit einer Stimme zu sprechen? 
       
       Daniela Brahm: Die Initiativen sind in den letzten Jahren näher
       aneinandergerückt.
       
       Sandy Kaltenborn: Dazu gehört auch, immer wieder klar zu machen: Die
       wichtigsten Impulse für die Stadtentwicklung der vergangenen Jahre …
       
       Enrico Schönberg: … kamen von uns.
       
       Sandy Kaltenborn: … kamen aus der Zivilgesellschaft. Das ist angesichts der
       Unterschiedlichkeit ein großer Erfolg. Dass Initiativen wie Ex-Rotaprint
       nun mit Kotti & Co. zusammenarbeiten, ist organisch gewachsen. Welche
       weiteren Schritte sich daraus ergeben, werden wir sehen. Ich sehe da eine
       Menge Potenzial.
       
       Haben Sie ein Beispiel? 
       
       Sandy Kaltenborn: Alles, was über die Privaten unter dem Stichwort „Gutes
       Kapital“ diskutiert wird, war uns zunächst fremd. Aber da hat sich über die
       Zusammenarbeit unsere Meinung sehr ausdifferenziert. Das ist unglaublich
       spannend. Es gibt das Vertrauen, dass wir alle Berlin mitgestalten wollen.
       Und das macht auch die Motivation aus. Man trifft tolle, spannende
       Menschen, die unglaublich viel Engagement und Freizeit reinstecken und über
       ihre Grenzen hinauswachsen. Man darf ja nicht vergessen, dass die meisten
       von uns ehrenamtlich arbeiten.
       
       3 Feb 2017
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /!5361942/
 (DIR) [2] /!5361839/
 (DIR) [3] /Rot-rot-gruener-Koalitionsvertrag-in-Berlin/!5355603/
 (DIR) [4] /!5359145/
 (DIR) [5] /!5323750/
 (DIR) [6] /Mietenpolitik-in-Berlin/!5375676/
 (DIR) [7] /!5375333/
 (DIR) [8] /!5247113/
 (DIR) [9] /!5368941/
 (DIR) [10] /!5269609/
 (DIR) [11] /!5269609/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Uwe Rada
 (DIR) Erik Peter
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Mietenpolitik
 (DIR) Stadtentwicklung
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Lesestück Interview
 (DIR) R2G Berlin
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) Dragoner-Areal
 (DIR) Sozialer Wohnungsbau
 (DIR) Friedrichshain-Kreuzberg
 (DIR) Matthias Kollatz-Ahnen
 (DIR) Dresden
 (DIR) Berliner Bezirke
 (DIR) Mietenpolitik
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) Senatsverwaltung für Stadtentwicklung
 (DIR) Katrin Lompscher
 (DIR) Wohnen
 (DIR) Schwerpunkt Rot-Rot-Grün in Berlin
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) Andrej Holm
 (DIR) R2G Berlin
 (DIR) Matthias Kollatz-Ahnen
 (DIR) Volksbegehren
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Haus der Statistik: Die Zukunft hat begonnen
       
       Nach langem Ringen haben Senat, Bezirk und die Initiative eine Kooperation
       vereinbart. Nun geht es darum, wer die begehrten Plätze bekommt.
       
 (DIR) Dragoner-Areal in Kreuzberg: Die Utopie planen
       
       Die Planungen für das Kreuzberger Gelände beginnen. Die Initiativen, die
       lange gegen die Privatisierung kämpften, dürfen mitentscheiden.
       
 (DIR) Kommentar Mehr sozialer Wohnungsbau: Schulz würde, wenn er könnte
       
       Erst hat die SPD die Mietenfrage verschlafen, jetzt unterschätzt sie sie.
       Mit lauwarmen Vorschlägen kann sie nicht gegen Merkel punkten.
       
 (DIR) Umkämpftes Dragonerareal in Berlin: Beste Aussichten für Kreuzberg
       
       Das Kreuzberger Dragonerareal geht jetzt doch an das Land Berlin. SPD und
       Grünen-Politiker warnen dennoch vor zuviel Euphorie.
       
 (DIR) Rot-Rot-Grün: Teurer zweitwohnen in Berlin
       
       Die rot-rot-grüne Landesregierung will ab 2019 die Zweitwohnungsteuer
       verdreifachen. Das soll vor allem Studierende dazu bringen, sich
       umzumelden.
       
 (DIR) Mietpolitik in Dresden: Zurück auf null
       
       Dresden verkaufte 2006 alle kommunalen Wohnungen an Investoren. Die Stadt
       spürte die Folgen und steuert jetzt um – indem sie baut.
       
 (DIR) Diskussion über Wohnen in Berlin: „Das ist die neue große soziale Frage“
       
       Ephraim Gothe (SPD) und Florian Schmidt (Grüne), Baustadträte in Mitte und
       Kreuzberg, über Mieten- und Baupolitik in einer sich rasant verändernden
       Stadt.
       
 (DIR) Kraftprobe I: Landeseigene Vermieter: Renitente Mieterhöher
       
       Die Degewo langt bei den Mieten in Kreuzberger Sozialwohnungen zu. Sie
       nutzt ein Geschenk der Politik, vielleicht zu unrecht.
       
 (DIR) Vertrauen ist gut, Kontrolle besser: Neues aus der Anstalt
       
       Die „Wohnraumversorgung Berlin“ soll den sechs Berliner
       Wohnungsbaugesellschaften künftig auf die Finger schauen.
       
 (DIR) Kommentar Staatssekretär für Wohnen: Kein Holm, aber ein Profi
       
       Das war es mit der engen Verbindung von Politik und stadtpolitischen
       Initiativen. Mit Sebastian Scheel folgt ein Berufspolitiker. Keine
       schlechte Wahl.
       
 (DIR) Nachfolger für Staatssekretär gefunden: Neuer Holm mit Anzug
       
       Sebastian Scheel wird Staatssekretär für Wohnen. In Sachsen hat sich der
       Linken-Politiker einen Namen als Haushälter gemacht.
       
 (DIR) Das war die Woche in Berlin I: Profite mit der Miete
       
       Die landeseigenen Wohnungsunternehmen gehen mit der Miete hoch, dem
       versprochenen Paradigmenwechsel bei Mietfragen zum Trotz.
       
 (DIR) Mietenpolitik in Berlin: Ärger gibt's auch ohne Holm
       
       Mit den landeseigenen Unternehmen will Rot-Rot-Grün die Mieten dämpfen.
       Doch gerade deren MieterInnen erhalten jetzt reihenweise Mieterhöhungen.
       
 (DIR) Studenten besetzen Berliner Uni: Ganz nach Holms Lehre
       
       Aus Protest gegen die Entlassung Andrej Holms haben StudentInnen das
       Insitut für Sozialwissenschaften an der Humboldt-Universität besetzt. Sie
       wollen bleiben.
       
 (DIR) Berlins Bausenatorin zum Fall Holm: „Im Einzelfall bewerten“
       
       Katrin Lompscher (Linke) fordert einen fairen Umgang mit Andrej Holm, ihrem
       wegen seiner Stasi-Vergangenheit umstrittenen Staatssekretär.
       
 (DIR) Andrej Holm über Berliner Mietenpolitik: „Die Revolution ist notwendig“
       
       Der Stadtsoziologe Andrej Holm wird Staatssekretär für Wohnen in Berlin.
       Der Aktivist hofft auf eine weiterhin unzufriedene mietenpolitische
       Bewegung.
       
 (DIR) Berlins Finanzsenator über Häuserkauf: „Ein Mittel gegen Spekulation“
       
       Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) erklärt, warum es sinnvoll wäre, wenn sich
       landeseigene Gesellschaften bei der Rigaer94 engagierten – und bei weiteren
       Mietshäusern.
       
 (DIR) Mietenpolitik in Berlin: Initiative räumt Volksbegehren ab
       
       Über drei Monate nach dem Wohnraumgesetz beschließen die Aktiven, keinen
       Volksentscheid mehr anzustreben. Ein Kongress soll neue Projekte
       vorbereiten.