# taz.de -- Kunst aus Südafrika: Unanstößige Eleganz
       
       > Die Deutsche Bank stellt ihren „Künstler des Jahres“ 2017 vor. Kemang Wa
       > Lehuleres Ausstellung überzeugt nicht ganz. Warum?
       
 (IMG) Bild: Zahnprothesen und Xhosa-Bibeln: Kemang Wa Lehuleres „Broken Wing“ (2016)
       
       Kemang Wa Lehulere gilt als einer der bedeutendsten Vertreter einer jungen
       Generation südafrikanischer Multimedia-Künstler und Künstlerinnen. Jetzt
       wählte ihn eine Jury, bestehend aus Udo Kittelmann (Direktor der
       Nationalgalerie in Berlin), Okwui Enwezor (Leiter der Hauses der Kunst in
       München), Hou Hanru (Direktor des MAXXI-Museums in Rom) und Victoria
       Noorthoorn (Leiterin des Museo de Arte Moderno), zum Künstler des Jahres
       der Deutschen Bank.
       
       Die mit dem Preis verbundene Ausstellung in der KunstHalle der Deutschen
       Bank stützt allerdings die Behauptung von Wa Lehuleres Ausnahmetalent nur
       bedingt. Zwar besticht „Bird Song“, wie die Ausstellung heißt, durch die
       augenfällige, lebendige Präsentation der Exponate. Doch erscheinen diese
       bei genauerer Betrachtung nur allzu sinnfällig und verlieren schnell an
       Reiz.
       
       Zunächst aber grüßt beim Eintritt in die Ausstellung verheißungsvoll ein
       Bild von der Wand. Wie eine archäologische Ausgrabung wurde es fein
       säuberlich aus dem roten Putz herausgeschlagen – und das Motiv eines Vogels
       freilegt. Gemalt hat ihn Glady Mgudlandlu (1917–1979). Die Autodidaktin,
       die eine der ersten schwarzen Künstlerinnen war, die jemals in einer
       Galerie in Südafrika ausstellten, hatte ihr Haus in Gugulethu, einer
       Township in Kapstadt, mit solchen Wandgemälden verziert.
       
       In dieser Township wuchs auch Kemang Wa Lehulere auf. Als er herausfand,
       dass Mgudlandlu einst in seiner Nachbarschaft lebte, machte er sich mit
       seiner Tante auf Spurensuche der Malerin, die zu Lebzeiten erfolgreich,
       nach ihrem Tod aber schnell vergessen war. Die Suche der Künstlerin ist der
       Nucleus der Ausstellung; die Suche nach der verdrängten Geschichte
       Südafrikas und den verschütteten Erinnerungen der von Wa Lehuleres Werk
       generell.
       
       ## Widerstandsakt oder Eskapismus?
       
       Die Ausstellung ist daher als ein Zwiegespräch zwischen Vergangenheit und
       Gegenwart inszeniert und zeigt abwechselnd die beseelten Bilder
       fantastischer Vögel, üppiger Blüten und Hügellandschaften von Glady
       Mgudlandlu und die kühl-abstrakten Zeichnungen des Künstlers.
       
       Dazu kommen im zweiten Ausstellungsraum Kreidezeichnungen, die Kemang Wa
       Lehuleres Tante aus der Erinnerung von den verlorenen Wandbildern
       Mgudlandlus zeichnete und die der Künstler gestisch überarbeitete. Dass
       eine schwarze Frau malte und ausstellte, war während der Apartheid ein Akt
       des Widerstands, auch wenn die Schriftstellerin Bessie Head, wie das
       Booklet zur Ausstellung informiert, in Mgudlandlus Kunst nur Eskapismus
       erkennen wollte.
       
       Die oftmals von beiden Seiten bemalten Blätter der Künstlerin sind
       senkrecht zur Wand angebracht, sodass sie in den Raum hineinragen. Der wird
       von mehreren wuchernden Stahlrohrkonstruktionen beherrscht, auf der
       Vogelhäuschen angebracht sind, die aus alten Schulpulten zusammengebaut
       wurden. So attraktiv die Skulptur erst einmal wirkt, so stark ist ihre
       seltsam didaktische, narrative Anmutung. Der Vogel ist ein Symbol der
       Freiheit im Werk von Glady Mgudlandlu, das nun in der Figur des
       ausgestopften Papageis auf dem Stahlgestänge sitzt.
       
       Findet er in den Vogelhäuschen Nahrung und Schutz? Oder wird er, wie das
       Schulmöbel signalisieren könnte, doch nur domestiziert und diszipliniert?
       Findet er sich ein, weil die zersägten Schulbänke jetzt ein Ort des Denkens
       und der Fantasie sind und nicht wie zu Zeiten des Apartheidsystems ein Ort
       der Indoktrination?
       
       ## Die Bibel zwischen den Zähnen
       
       Die Arbeit breitet diese Fragen aus. Ausgewogen und kalkuliert bleibt sie
       aber jede streitbare Aussage zu den historischen Umständen schuldig.
       Ähnlich verhält es sich mit der mächtigen, aus Holzkrücken montierten
       Schwinge, die einem im zweiten Ausstellungsraum entgegenrauscht. Auch sie
       ist Transportmittel einer Erzählung.
       
       Das besagt das narrative Objekt des Gebissabdrucks des Künstlers, der dort
       eingepasst ist, wo die Krücke sonst unter die Arme greift. Er hält eine
       Bibel zwischen den Zähnen. Die Arbeit illustriert eine Anekdote Desmond
       Tutus, der meinte: „Als die Missionare nach Afrika kamen, hatten sie die
       Bibel und wir hatten das Land. Sie sagten: Lasst uns beten. Wir schlossen
       die Augen. Als wir sie wieder öffneten, hatten wir die Bibel und sie hatten
       das Land.“
       
       Ebenso verweist die weiße Leinwand, auf der mit krausem schwarzem Afrohaar
       eine Musik notiert ist, auf den Jazz in Südafrika und dessen Rolle für die
       Ausstellung. Ihr Titel leitet sich von „Lindelani“ oder „Birds“ her, einem
       Song von Miriam Makeba. „Bird Song Album“ heißt denn auch die Vinyl-LP, die
       Kemang Wa Lehulere mit dem Jazzmusiker Mandla Mlangeni in einer Auflage von
       300 Exemplaren anlässlich der Ausstellung eingespielt hat.
       
       Nichts in der Ausstellung ist – so wie ein Vogel – einfach ein Wunderwerk
       in sich selbst. Alles ist Verweis, Didaktik, Mittel der Unterrichtung. Man
       vermisst ein überschüssiges Moment, das Geschichtsforschung und den Fleiß
       der Recherche nicht einfach illustrierte und die penetrant unanstößige
       Eleganz der Arbeiten durchbräche.
       
       24 Apr 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Brigitte Werneburg
       
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