# taz.de -- Verfolgung von Nazi-Verbrechen: Auch im hohen Alter verantwortlich
       
       > Knapp ein Dutzend Fälle von Männern und Frauen, die in KZs und
       > Vernichtungslagern dienten, werden jetzt an Staatsanwälte übergeben.
       
 (IMG) Bild: Ehemaliges Konzentrationslager und heutige Gedenkstätte Sachsenhausen
       
       Über 72 Jahre ist es her, dass die Nazis besiegt und die Überlebenden der
       KZs befreit wurden. Von jenen, die bis 1945 in den Konzentrations- und
       Vernichtungslagern gearbeitet haben, sind inzwischen fast alle gestorben –
       nur wenige kamen vor Gericht.
       
       Jetzt hat die Zentrale Stelle zur Aufklärung nationalsozialistischer
       Verbrechen erneut Ermittlungen gegen zehn mutmaßliche KZ-Bedienstete
       abgeschlossen und an die zuständigen Staatsanwaltschaften weitergegeben.
       Das sagte der Chef der Behörde, Oberstaatsanwalt Jens Rommel, der taz.
       
       Damit ist die bundesdeutsche Justiz zum Ende des Jahres 2017 mit zusammen
       etwa zwei Dutzend Fällen von Frauen und Männern beschäftigt, die der
       Beihilfe zum Mord beschuldigt werden. Die neuen Fälle betreffen die
       Konzentrationslager Ravensbrück, Mauthausen, Buchenwald und Auschwitz. Zum
       Tatkomplex Mauthausen ermitteln die Staatsanwaltschaften in Berlin, Ansbach
       und im österreichischen Graz gegen drei Beschuldigte der Jahrgänge 1920 bis
       1923.
       
       Bei Ravensbrück, wo vor allem Frauen inhaftiert und gequält wurden, stehen
       zwei Frauen und ein Mann der Jahrgänge 1922 bis 1925 im Visier, die zu den
       SS-Wachmannschaften zählten. Hier ermitteln die Staatsanwaltschaften von
       Neuruppin und Frankfurt am Main. Bei Buchenwald gehe es, so Rommel, um
       „mehrere Beschuldigte“, zu denen er noch keine Details nennen könne.
       
       Hinzu kommen Ermittlungsverfahren gegen zwei SS-Wachmänner, die in
       Auschwitz Dienst taten. Diese Verfahren werden in Magdeburg und im
       oberösterreichischen Wels betrieben.
       
       ## Die meisten mutmaßlichen Täter sind verstorben
       
       Warum kommen diese Ermittlungen gegen die mutmaßlichen NS-Verbrecher so
       spät? Dies ist Folge einer veränderten Rechtsauffassung: Über Jahrzehnte
       hatte die bundesdeutsche Justiz bei der Zulassung einer Anklage wegen
       Beihilfe zum Mord verlangt, dass die Beschuldigten auch individueller Morde
       verdächtig waren. Erst seit dem Prozess gegen John Demjanjuk in München
       2011 gilt es als ausreichend für eine Anklage, wenn der mutmaßliche Täter
       allein durch seine Tätigkeit in einem Vernichtungslager die systematischen
       Mordaktionen unterstützt hat. Der Bundesgerichtshof hat diese
       Rechtsauffassung im letzten Jahr bestätigt. Demjanjuk wurde zu fünf Jahren
       Haft verurteilt.
       
       Jetzt geraten also Männer und Frauen ins Visier, die früher nicht belangt
       werden konnten. Viele von ihnen sind schon lange namentlich bekannt. Manche
       waren bereits als Zeugen vernommen worden, andere Personen finden sich auf
       KZ-Einsatzlisten.
       
       Und so kommt es, dass die Staatsanwaltschaft Dortmund im November zwei 92
       und 93 Jahre alte SS-Männer aus dem KZ Stutthof bei Danzig angeklagt hat.
       In Frankfurt am Main soll schon bald ein 96-jähriger früherer SS-Mann aus
       dem KZ Majdanek vor Gericht stehen. In München haben die Ermittler einen
       95-jährigen Auschwitz-Wachmann im Visier. Osnabrück untersucht den Fall
       eines 94-Jährigen, der in Babi Jar bei Kiew an dem Mord an mehr als 33.700
       Juden beteiligt gewesen sein soll; Celle prüft die Anklage gegen einen
       93-Jährigen Auschwitz-Hundeführer und in Hamburg wird der Einsatz des
       91-jährigen Bruno D. im KZ Stutthof geprüft. In Itzehoe, München, Lübeck
       und Stuttgart laufen Ermittlungen gegen vier Frauen, die ebenfalls in
       Stutthof Dienst taten.
       
       Oberstaatsanwalt Rommel erklärt, dass die Nazijäger von Ludwigsburg bei
       ihren Ermittlungen häufig nach ähnlichem Schema vorgehen. „Im ersten
       Schritt wird festgestellt, wer überhaupt eingesetzt worden ist“, sagt er.
       Viele dieser Angaben fänden sich im Archiv der Behörde, das unter anderem
       1,7 Millionen Karteikarten umfasst. Danach, so Rommel, würden in
       Kooperation mit Gedenkstätten und Archiven weitere Informationen über die
       Person eingeholt. Schließlich würden die erhobenen Daten mit Informationen
       der Rentenversicherungsträger abgeglichen, aus denen hervorgeht, ob der
       Verdächtige noch am Leben ist. In über 95 Prozent aller Fälle seien die
       mutmaßlichen Täter verstorben.
       
       ## Durchforsten Einsatzlisten über Einsatzlisten
       
       Es reiche für eine Anklage nicht aus, den Einsatz in einem KZ nachzuweisen,
       sagt Rommel. Die Ermittler müssen vielmehr klären, ob dies einen Zeitraum
       betraf, in dem sich eine „systematische Ermordung nachweisen lässt“.
       
       In einem Vernichtungslager wie Auschwitz, wo mehr als eine Million Menschen
       vergast wurden, war dies stets der Fall. Im Falle anderer
       Konzentrationslager träfe das aber vor allem für die Jahre 1944 und 1945
       zu, sagt Rommel. So durchforsten die Ludwigsburger Ermittler derzeit
       Einsatzlisten über Einsatzlisten und prüfen, gegen wen Ermittlungen noch
       möglich sind. Die Arbeit wird ihnen dabei so schnell nicht ausgehen:
       Derzeit laufen in Ludwigsburg Vorermittlungen zu den Tatkomplexen der
       Konzentrationslager Sachsenhausen, Flossenbürg, Groß Rosen und Mittelbau
       sowie Neuengamme.
       
       Alle Beschuldigten, die heute noch gefunden werden, waren zur Nazizeit
       junge Männer und Frauen. Heute sind sie über 90 Jahre alte Greise. Die
       meisten Verfahren müssen von den Staatsanwaltschaften eingestellt werden,
       weil die früheren SS-Männer und SS-Frauen verhandlungsunfähig geworden
       sind. „Dieses Risiko erhöht sich mit wachsendem Alter dramatisch“, sagt
       Rommel.
       
       Ältester Beschuldigter ist derzeit ein heute 99-Jähriger, der von Juli bis
       September 1943 als SS-Wachmann im KZ Stutthof eingesetzt war. Bei der
       zuständigen Staatsanwaltschaft Stuttgart heißt es, seine
       Verhandlungsfähigkeit sei „äußerst fraglich“.
       
       18 Dec 2017
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Klaus Hillenbrand
       
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