# taz.de -- Medienpolitik in Italien: Am Ende gucken doch alle nur fern
       
       > Italienische Nachrichten spiegeln die politische Haltung des Mediums.
       > Jetzt wird ein Putin-Fan Präsident des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
       
 (IMG) Bild: Bekennender Putin-Fan: Marcello Foa wird neuer Chef des Staatssenders RAI
       
       ROM taz | Der Sachverhalt war ziemlich eindeutig. Vorletzte Woche legte
       Italiens von den Antiestablishment-Parteien [1][Movimento5Stelle (M5S –
       5-Sterne-Bewegung) und Lega gebildete Regierung] die Haushaltseckdaten für
       2019 vor: Die Neuverschuldung solle auf 2,4 Prozent steigen, um die
       Wahlversprechen, vom „Grundeinkommen“ über die „Flat Tax“ bis hin zur
       Senkung des Renteneintrittsalters, zu finanzieren. Die Finanzmärkte
       reagierten sofort, Italiens Zinsabstand zu Deutschland bei den
       Staatsanleihen schoss auf 3 Prozent hoch, die Mailänder Börse brach ein.
       
       Eine klare Sache also – nicht aber, wenn man zu den italienischen Zeitungen
       greift. Deren Lektüre wird, je nach Standpunkt und politischen Sympathien
       des jeweiligen Blattes, zur Reise in Parallelwelten. Für den Corriere della
       Sera, seit je das konservativ-liberale Leitmedium und Zentralorgan der
       Wirtschaftseliten des Landes, liegt völlig auf der Hand, dass die Schuld
       bei Roms Regierung zu suchen ist, die die EU zu erpressen suche, während
       „das Prinzip Nummer eins der Europäischen Union es ist, sich nicht
       erpressen zu lassen“.
       
       Ganz auf der gleichen Linie lag La Stampa, auch eine Zeitung, die den
       ökonomischen Machtzentren genauso nahe steht, wie sie den neuen Regierenden
       in Rom misstraut, denen sie jetzt im Streit um den Haushalt „Opfer-Allüren“
       vorwirft. Das glatte Gegenteil dagegen erfuhr der Leser in der Tageszeitung
       La Verità (Die Wahrheit). „Brüssel versucht, die Regierung zu stürzen“,
       heißt es da, und die Turbulenzen an den Finanzmärkten seien keineswegs von
       der Regierung in Rom, sondern von der EU-Kommission verursacht worden, die
       Italiens Haushaltspläne schlechtrede.
       
       Rund ums Internet und die Social Media diskutiert mittlerweile alle Welt
       über Echokammern und Filterblasen – doch in Italien braucht man dafür
       keineswegs die neuen Medien, es reicht der Gang zum Kiosk, der Griff zur
       guten alten, papierenen Tageszeitung. Der Bürgermeister Domenico Lucano,
       der in Riace vorbildliche Integrationsarbeit mit Flüchtlingen und Migranten
       betrieb, wurde verhaftet?
       
       ## Frontstellungen sind nicht neu, nur die Konfliktlinien
       
       Die Rechtsblätter La Verità und Il Giornale können ihre diebische Freude
       nicht verbergen, einfach „lächerlich“ seien die Solidaritätsbekundungen der
       Linken. Der Corriere della Sera dagegen lässt einen katholischen Prälaten
       zu Wort kommen, der Verständnis für Lucano äußert: Manchmal müsse man das
       Gesetz umgehen, um Menschenrechte zu schützen.
       
       Neu sind solche Frontstellungen in der italienischen Medienlandschaft
       eigentlich nicht. Seit 1945, im Kalten Krieg, standen die regierungstreuen
       Medien gegen die Zeitungen der Kommunistischen Partei, angefangen bei der
       Unità, die in den 1950er Jahren Hunderttausende Exemplare verkaufte. Dann,
       nach 1994, war es [2][Silvio Berlusconi] der das Land genauso wie die
       Medienlandschaft spaltete. Während die [3][Tageszeitung La Repubblica] ihn
       wegen seiner Sex- und Korruptionsskandale an den Pranger stellte,
       „informierte“ Il Giornale – passenderweise aus dem Hause Berlusconi –
       darüber, dass der Arme „politisch verfolgt“ sei.
       
       Neu ist heute also weniger das Schema – neu aber sind die Konfliktlinien.
       So schreibt Il Giornale hart gegen die „Kamikaze-Regierung“ aus Fünf
       Sternen und Lega an, im Schulterschluss mit La Repubblica. Und so sind die
       Blätter, die den Regierungsparteien mehr oder weniger nahe stehen,
       untereinander tief gespalten.
       
       ## Jeder kann sich seine eigene Realität einrichten
       
       Die Zeitung Libero, ganz auf Lega-Kurs, tut alles, um die
       Fünf-Sterne-Vorschläge, angefangen vom Grundeinkommen, schlechtzureden. Und
       Il Fatto Quotidiano, ein Blatt mit Sympathien für das M5S, lässt kein gutes
       Haar an Lega-Innenminister Matteo Salvini, lobt dagegen den Bürgermeister
       von Riace, der womöglich Gesetze übertreten, aber aus hochmoralischen
       Gründen gehandelt habe.
       
       Für die Leser hat diese Sorte Pluralismus eine schöne Folge: Jeder kann
       sich in seiner ganz eigenen Realität einrichten. Der Einfluss auf die
       politischen Orientierungen der Wähler dürfte allerdings begrenzt bleiben –
       die greifen sowieso jeweils nur zu den Blättern, die sie in ihren Meinungen
       bestätigen. Das haben auch die Parteien begriffen. Sie wissen, dass ein
       anderes Medium quer durch die Lager die Bürger erreicht: das Fernsehen.
       
       Und so tobte in diesen Wochen, wie jedes Mal nach Wahlen und
       Regierungswechseln, die Schlacht um die Besetzung der Spitzenpositionen im
       [4][Staatssender RAI]. Schon hat die Lega die Wahl des ihr nahestehenden
       Journalisten Marcello Foa zum RAI-Präsidenten durchgesetzt. Der ist
       bekennender Putin-Fan, Souveränist und Euro-Gegner. Und jetzt sollen auch
       die Chefredaktionen der Nachrichtensendungen neu besetzt werden – mit der
       Folge, dass dann die Regierungspropaganda in jedem Haushalt ankommt.
       
       13 Oct 2018
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Michael Braun
       
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