# taz.de -- Ökonom über wirtschaftlichen Abschwung: „Deutschland ist in der Rezession“
       
       > Für den Ökonomen Heiner Flassbeck hat der Abschwung längst begonnen. Er
       > kritisiert das Statistische Bundesamt – und fordert Investitionen des
       > Staates.
       
 (IMG) Bild: Abschwung: Taucher auf Großbaustelle
       
       taz: Herr Flassbeck, inzwischen rechnen die Wirtschaftsforschungsinstitute
       und die Bundesregierung nur noch mit einem [1][Wachstum von 0,5 Prozent in
       diesem Jahr]. Wie realistisch ist diese Zahl? 
       
       Heiner Flassbeck: Diese Zahl ist immer noch viel zu hoch, wenn man sich die
       Realität ansieht. Vor einem Jahr haben die Institute 1,9 Prozent Wachstum
       für 2019 prognostiziert, obwohl damals bereits der Abschwung einsetzte.
       Deutschland ist in der Rezession.
       
       Was ist denn Ihre Prognose? 
       
       Es ist klar zu erkennen, dass eine Rezession eingesetzt hat. Aber genauere
       Zahlen gibt es nicht, weil man über die Entwicklung bei den
       Dienstleistungen fast nichts weiß. Das ist schwarze dunkle Materie. Gut
       erfasst sind nur Industrie und Bauwirtschaft – und da sehen wir, dass der
       [2][Abschwung längst begonnen] hat. Die Produktion im produzierenden
       Gewerbe liegt um über 5 Prozent unter dem Niveau des Vorjahres und die
       Auftragseingänge sind 7 Prozent niedriger.
       
       Das Statistische Bundesamt ist längst nicht so pessimistisch wie Sie: Im
       zweiten Quartal wurde nur eine leichte Schrumpfung von minus 0,1 Prozent
       registriert. 
       
       Die Zahlen des Statistischen Bundesamtes sind aber nicht nachzuvollziehen.
       Die starken Einbrüche im Produktionssektor werden einfach ignoriert, sie
       werden korrigiert durch angebliche Entwicklungen im Dienstleistungssektor,
       die aber niemand kennt. Das ist absolut fahrlässig. Das Amt ist Ratgeber
       der Bundesregierung – und führt Kanzlerin und Kabinett in die Irre.
       
       Aber die Arbeitslosigkeit ist momentan sehr niedrig. Nach einer Rezession
       sieht es auf dem Stellenmarkt nicht aus. 
       
       Es ist völlig normal, dass die Unternehmen ihre Beschäftigten nicht sofort
       entlassen. Bis vor drei Monaten hat noch jeder über Fachkräftemangel
       geklagt, heute redet man von Kurzarbeit. Die Firmen versuchen, ihre
       qualifizierten Mitarbeiter zu halten, und hoffen, dass die Krise nur
       vorübergehend ist. Die Arbeitslosigkeit wird früher oder später deutlich
       steigen.
       
       Trumps Handelskonflikte dominieren die Schlagzeilen. Ist der US-Präsident
       schuld, dass die deutsche Produktion schwächelt? 
       
       Nein. Trump redet zwar viel, aber bisher ist wenig passiert. Der Handel mit
       den USA ist noch nicht eingebrochen, und die amerikanische Konjunktur war
       bis zuletzt nicht schlecht.
       
       Und China? 
       
       Dort schwächt sich das Wachstum zwar auch ab, und die deutschen Exporte
       nach Fernost sind nicht mehr so dynamisch, aber das Problem ist Europa. Die
       Eurozone hatte nur einen kurzen, kleinen Aufschwung, und der ist jetzt
       schon wieder zu Ende.
       
       Was würden Sie der Bundesregierung raten? 
       
       Die deutsche Politik hat in den vergangenen 18 Monaten fest geschlafen. Sie
       muss ein massives Investitionsprogramm auflegen und hinnehmen, dass es
       Defizite im Staatshaushalt gibt.
       
       Kritiker würden einwenden, dass ein Investitionsprogramm nicht sofort
       wirkt. Der Grund: lange Genehmigungsverfahren. Dann hat der nächste
       Aufschwung vielleicht längst eingesetzt, die neuen Staatsausgaben würden
       nur stören. 
       
       Das ist eine absurde Logik. Natürlich dauert es, bis Investitionen in den
       öffentlichen Verkehr oder in Schulen genehmigt sind. Aber soll man deswegen
       noch mehr Zeit verschlafen? Die Bundesregierung hätte schon vor 18 Monaten
       handeln und ein Investitionsprogramm in die Wege leiten müssen. Niemand
       kann vorhersagen, ob und wann es zu einem Aufschwung kommt. Wenn man jetzt
       nicht ein Investitionspaket plant, wird es demnächst zu idiotischen
       Ad-hoc-Maßnahmen kommen – wie eine zweite Abwrackprämie, die
       funktionstüchtige Autos verschrottet. Solchen ökonomischen und ökologischen
       Unsinn muss man vermeiden.
       
       8 Oct 2019
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Herbstgutachten-der-Wirtschaftsforscher/!5631076
 (DIR) [2] /Deutsche-Exporte/!5621120
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Ulrike Herrmann
       
       ## TAGS
       
 (DIR) Ökonomie
 (DIR) Rezession
 (DIR) Konjunktur
 (DIR) Statistisches Bundesamt
 (DIR) Wirtschaftspolitik
 (DIR) Weltwirtschaft
 (DIR) Hongkong
 (DIR) Wirtschaft
 (DIR) EZB
 (DIR) Bundeshaushalt
       
       ## ARTIKEL ZUM THEMA
       
 (DIR) Weltinvestitionsbericht der Unctad: Massive Umwälzungen
       
       Der neue UN-Bericht zeigt: Die Corona-Krise beschleunigt den tiefgreifenden
       Wandel der Weltwirtschaft. Vor allem Entwicklungsländer seien betroffen.
       
 (DIR) Geld für EinwohnerInnen Hongkongs: Prinzip Gießkanne
       
       Das rezessionsgeplagte Hongkong verteilt „Helikoptergeld“ an alle
       Einwohner. Die EU sollte das auch tun, statt weiter Geld in die Banken zu
       pumpen.
       
 (DIR) Herbstgutachten der Wirtschaftsforscher: Ökonomen gegen Schwarze Null
       
       Es droht zwar keine Wirtschaftskrise, aber übertriebenes Sparen gefährdet
       laut Ökonomen das Wachstum. Sie loben die Klimapolitik der Regierung.
       
 (DIR) EZB erhöht Strafzinsen: Zentralbank verschärft Krisenmodus
       
       Die Europäische Zentralbank legt bei Strafzinsen zu und setzt erneut auf
       Milliarden-Anleihenkäufe. Präsident Trump sieht einen „Schaden für
       US-Exporte“.
       
 (DIR) Die Haushaltswoche im Bundestag: Ein neuer Haushalt und vier Hürden
       
       Das Füllhorn versiegt. Der Finanzminister dürfte in den kommenden Jahren
       Probleme bekommen, Einnahmen und Ausgabenwünsche in Einklang zu bringen.