# taz.de -- Bundesprogramm „Demokratie leben“: Die Hoffnung stirbt zuletzt
       
       > Statt bisher 275 will das Familienministerium künftig nur rund 100
       > Demokratieprojekte fördern. Am Donnerstag legt der Bundestag nun das
       > Budget fest.
       
 (IMG) Bild: In Halle lobte Familienministerin Franziska Giffey noch Projekte gegen rechts
       
       BERLIN taz | Olaf Ebert ist noch immer konsterniert. Seit zweieinhalb
       Jahren macht seine Freiwilligenagentur in Halle Projekte mit
       Auszubildenden. Ebert lässt die jungen Leute auf Geflüchtete treffen, auf
       Obdachlose, auf Menschen mit Behinderung, veranstaltet Lernwochen an
       Berufsschulen. Das Ziel: Vorurteile abbauen. „Und das hat Wirkung“, sagt
       Ebert, Vorstand der Freiwilligenagentur Halle. „Wir holen die Azubis aus
       ihrer Komfortzone.“
       
       Umso mehr ist für Ebert unverständlich, dass mit dem Projekt „Vielfalt
       lernen in der Ausbildung“ zum Jahresende Schluss sein soll. Denn dieses
       wurde bisher maßgeblich vom [1][Bundesprogramm „Demokratie leben“]
       gefördert, angesiedelt im Bundesfamilienministerium. Finanziert werden
       hiermit Initiativen, die sich gegen Extremismus und für die Demokratie
       einsetzen. In der neuen Förderperiode ab 2020 ist Eberts Projekt aber nicht
       mehr dabei: „Das kann hier keiner nachvollziehen.“
       
       Ausgerechnet in Halle. Anfang Oktober hatte dort ein 27-jähriger
       Rechtsextremist versucht die Synagoge zu stürmen, erschoss danach eine
       Passantin und einen Kunden in einem Dönerimbiss. Die Bundesregierung
       verkündete danach ein [2][Maßnahmenpaket] gegen Rechtsextremismus. Ein
       Baustein dabei: „Demokratie leben“.
       
       Seit Wochen indes steht das Programm in der Kritik – denn nicht nur die
       Freiwilligenagentur in Halle soll kein Geld mehr bekommen. Eine Vielzahl
       weiterer Demokratieprojekte erhielt zuletzt [3][Absagen von „Demokratie
       leben“]: Für die neue Förderperiode hatten sich rund 1.000 Modellprojekte
       beworben. Ausgewählt wurden nur gut 100 – statt bisher 275. „Dass das
       Ministerium sich gerade jetzt einer seiner größten Erfolgsgeschichten
       beraubt, halten wir für falsch“, heißt es in einem Protestbrief,
       unterschrieben von 120 Initiativen. „Noch nie war der Bedarf so groß.“
       
       ## Erst aufgestockt, nun umstrukturiert
       
       Tatsächlich wurde „Demokratie leben“ über die Jahre zunächst kräftig
       ausgebaut: 2015 mit 40,5 Millionen Euro gestartet, lag das Budget zuletzt
       bei 115,5 Millionen Euro. Ab 2020 aber sollte erstmals wieder eine Kürzung
       erfolgen: um 8 Millionen Euro. Auch ließ Familienministerin Franziska
       Giffey (SPD) das Programm konzeptionell umbauen – auf Kosten der
       Modellprojekte. Darauf brach der Proteststurm los.
       
       Diese Woche nun könnte sich entscheiden, ob es doch noch ein gütliches Ende
       gibt. Denn am Donnerstag legt der Haushaltsausschuss in einer
       Bereinigungssitzung den finalen Haushalt für 2020 fest – und wird auch noch
       mal über „Demokratie leben“ reden. Dann könnten womöglich mehrere Projekte
       noch gerettet werden.
       
       Schon zuletzt hatte die SPD versucht, den Konflikt zu entschärfen. Giffey
       einigte sich mit Finanzminister Olaf Scholz (SPD), die Kürzung von 8
       Millionen Euro für die nächsten Jahre zurückzunehmen. Das Aus vieler
       Initiativen aber wird damit nicht abgewendet.
       
       Laut Timo Reinfrank, Geschäftsführer der Amadeu Antonio Stiftung, fielen
       vor allem Projekte im strukturschwachen Raum weg, aber auch im Bereich
       „Hass im Netz“. Auch Reinfranks Stiftung muss ein Büro in Hannover
       schließen.
       
       ## Ministerium verteidigt Konzept
       
       Wie konnte es so weit kommen? Einige Probleme sind hausgemacht, zeigen
       Papiere des Bundesfamilienministeriums, die das Portal [4][„Frag den Staat“
       in Kooperation mit der taz] zu „Demokratie leben“ anfragte. Denn durch die
       Neukonzeption des Programms wurden die Gelder umgeschichtet, hin zu den
       Trägern der Kommunen und Länder.
       
       Auch auf Bundesebene werden zivilgesellschaftliche Dachverbände, etwa in
       der Opfer- oder Ausstiegsberatung, nicht mehr gefördert, stattdessen neue
       „Kompetenznetzwerke“ aufgebaut. Und in einem Ministeriumspapier war
       zwischenzeitlich gar die Rede von einer Absenkung der Mittel auf 30,5
       Millionen Euro ab 2021.
       
       Schon im Frühjahr erreichten das Ministerium Protestschreiben. Ein
       Jugendverband klagte, mit dem neuen Konzept würde ihre Arbeit „massiv
       beschnitten und beschädigt“. Das Ministerium habe „nicht den Dialog mit
       Trägern gesucht“ und nun „im Alleingang eine nicht funktionale Struktur
       festgelegt“. Den Wegfall der zivilgesellschaftlichen Dachverbände wiederum
       bezeichneten mehr als 160 WissenschaftlerInnen in einem offenen Brief als
       „verantwortungslos“.
       
       Intern wiegelte das Ministerium damals ab, wie die vorliegenden Papiere
       zeigen: Die Bedenken seien „unbegründet“. Es gebe „gute, fachliche Gründe“
       für die Neukonzeption. Etwa eine bessere „Steuerbarkeit der Netzwerke“ und
       „Vermeidung der Förderung von Doppelstrukturen“. Im Ministerium war die
       Rede von einer „glänzenden Neufokussierung, in der viel herausragende
       Arbeit drinstecke“.
       
       ## Geld geht nun in die Verwaltung
       
       Auch aktuell weist ein Ministeriumssprecher die Kritik zurück. Die Reform
       sei „zwingend nötig“, erfolge auf Basis wissenschaftlicher Evaluationen,
       auch zivilgesellschaftliche Träger seien eingebunden gewesen. Zudem würden
       auch die kommunalen „Partnerschaften für Demokratie“
       zivilgesellschaftliches Engagement fördern, 2018 seien dies 4.400 Projekte
       gewesen.
       
       Die Kritik der Initiativen aber hält bis heute an. Mit dem Ausdünnen der
       Modellprojekte und dem Verlagern ihrer Aufgaben auf kommunale Gremien werde
       die Arbeit statischer und die Zivilgesellschaft geschwächt, heißt es dort.
       Auch förderten viele Gemeinden vor allem ehrenamtliche Arbeit, das Geld
       bliebe in die Verwaltung hängen.
       
       Und was sei mit Kommunen, die bereits von Rechtsextremen oder der AfD
       dominiert seien? Die gar keinen Wert auf Demokratiearbeit legten? „Passiert
       dann da gar nichts mehr?“, fragt Timo Reinfrank von der Amadeu Antonio
       Stiftung. „Wird die Demokratieförderung aufgegeben? Das kann niemand
       wollen.“
       
       Ein anderes Problem: Gefördert werden Modellprojekte bisher nur, wenn sie
       innovative Ansätze aufweisen. Das klingt einleuchtend, schafft aber
       Probleme für Initiativen wie die Aussteigerhilfe Exit, die mit über die
       Jahre bewährten Konzepten arbeiten. Auch deshalb stand Exit ebenfalls vor
       dem Aus – bis nach einer Protestwelle das Ministerium einen Notbehelf fand.
       Das Projekt wird nun [5][als „Begleitprojekt“ weitergefördert] und soll
       verstärkt „phänomenübergreifend“ arbeiten – also mit innovativem Ansatz.
       
       ## Ministerin Giffey möchte eigenes Gesetz
       
       Andere Initiativen dagegen bangen weiter. „Gerade jetzt, in Zeiten der
       rechtsradikalen Raumgreifung und des Rechtsterrors, muss die Regierung doch
       ein klares Zeichen setzen“, sagt Reinfrank. „Stattdessen Projekte, die sich
       seit Jahren für die Demokratie einsetzen, einzustampfen, ist ein falsches
       Signal.“
       
       Selbst in einem internen Papier des Familienministeriums ist die Rede
       zumindest von einem „jährlichen Mittelbedarf in Höhe von 120 Millionen
       Euro“. Giffey erklärte zuletzt auch öffentlich, dass es für die Arbeit von
       Engagierten für Demokratie „noch mehr strukturelle und finanzielle
       Absicherung“ brauche.
       
       Auch die SPD-Frau schaut nun auf die Haushaltsverhandlungen im Bundestag.
       Würden dort die Mittel für „Demokratie leben“ erhöht, wäre die Förderung
       von weiteren Modellprojekten möglich, hieß es zuletzt aus ihrem Haus. Auch
       der SPD-Fraktion ist das bewusst – dort setzte man zuletzt auf stilles
       Verhandeln.
       
       Giffey plädiert parallel für ein grundsätzliches Umsteuern: mit einem
       Demokratiefördergesetz, mit dem Projekte dauerhaft gefördert werden
       könnten. Der Einsatz für die Demokratie sei „nicht, was man mal macht und
       dann wieder lässt“, so Giffey. „Sie ist eine Daueraufgabe.“
       
       ## Keine Lehren aus Halle?
       
       Ein entsprechender Gesetzentwurf liegt bereits seit Jahren im Ministerium –
       wird aber von der Union abgeblockt. Auch in den Koalitionsvertrag schaffte
       es das Anliegen nicht. Das Gesetz würde das Budgetrecht des Bundestags
       „beträchtlich einschränken“, warnt Unions-Fraktionsvize Thorsten Frei.
       Entscheidend sei die Qualität der Projekte. Es müsse weiter die Option
       geben, diese „auch nicht fördern zu können“.
       
       Olaf Ebert aus Halle unterstützt dagegen Giffeys Gesetzesvorschlag: „Wenn
       der Bund die Demokratieförderung als dauerhafte Aufgabe gesetzlich
       verankert, wäre das sehr zu begrüßen.“ Vorerst aber hoffen Ebert und viele
       andere nun auf die Haushaltssitzung am Donnerstag.
       
       Nach dem Halle-Attentat hatte Giffey die Stadt besucht, auch mit Eberts
       Verein gesprochen. Giffey habe dabei die Arbeit der Freiwilligen-Agentur
       gelobt und Mut gemacht, berichtet Ebert. „Wir geben die Hoffnung nicht auf,
       dass unser Projekt noch gerettet wird.“ Vielleicht ja noch diese Woche.
       
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       ## LINKS
       
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 (DIR) [4] https://fragdenstaat.de/anfrage/informationen-zu-neugestaltung-demokratie-leben/
 (DIR) [5] /Aussteigerhilfe-Projekt-fuer-Neonazis/!5634551
       
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