# taz.de -- Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Die Spur nach Güstrow
       
       > Ein SEK-Polizist ist für seine rechte Gesinnung bekannt. Warum konnte er
       > massenhaft Munition horten?
       
 (IMG) Bild: Auch Spezialeinheiten aus den USA sind regelmäßig auf dem Schießplatz in Güstrow
       
       Im November 2016 chatten zwei Männer in Mecklenburg-Vorpommern. Der eine
       schickt ein Video, darin ein Nussknacker, der seinen Arm nach oben bewegt
       und „Sieg Heil“ sagt. Im Januar darauf schickt der andere Regeln zur
       „Reinhaltung der Deutschen Rasse“ von 1938. Am 20. April 2017, dem
       Geburtstag von Adolf Hitler, dann die Nachricht: „Happy Birthday“.
       
       Der eine Mann ist Polizist, ein Präzisionsschütze.
       
       Der andere Trainer auf einem privaten Schießplatz, auf dem Spezialkräfte
       ausgebildet werden.
       
       Als sie sich diese Nachrichten schreiben, sind sie Mitglieder einer Gruppe,
       die im Spätsommer 2017 als Nordkreuz bekannt wurde: Darin vernetzten sich
       Männer und wenige Frauen, um sich auf einen „Tag X“ vorzubereiten –
       sogenannte Prepper. Sie wollen gewappnet sein für Naturkatastrophen, für
       Stromausfälle oder, so schildern es ehemalige Mitglieder, wenn zu viele
       Geflüchtete kommen. Nordkreuz ist Teil des rechten [1][Hannibal-Netzwerks]
       in Sicherheitsbehörden, das die taz aufgedeckt hat.
       
       Der Polizist heißt Marko G. Beamte des Bundeskriminalamtes hatten Ende
       August 2017 seine Wohnung, sein Grundstück und sein Auto durchsucht, weil
       sie wissen wollten, ob manche in dieser [2][Nordkreuz-Gruppe einen
       rechtsextremen Terroranschlag planen], Menschen umzubringen am Tag X etwa.
       
       Das wirft die Bundesanwaltschaft einem Anwalt und einem Kriminalpolizisten
       vor, die Ermittlungen dauern noch an. Sicher ist: Die beiden hatten Ordner
       angelegt, in denen sie persönliche Daten von Politikern, Aktivisten und
       ehrenamtlich Engagierten gesammelt und dafür auch den Polizeicomputer
       genutzt hatten.
       
       In diesem Verfahren gilt Marko G. als Zeuge. Unter dem Pseudonym „Hombre“
       war er der Administrator von Chatgruppen, in denen sich die
       Nordkreuz-Mitglieder vernetzten, er organisierte Treffen, sammelte Geld, um
       Depots mit Nahrungsmitteln, Treibstoff und Munition anzulegen. Einer aus
       der Gruppe sollte Leichensäcke organisieren. Laut Bundesregierung
       manifestiere sich bei dem harten Kern dieser Gruppe, dazu zählt auch Marko
       G., „eine gefestigte rechtsextremistische Einstellung“.
       
       Als die Ermittler damals zu Marko G. ins Haus kommen, finden sie: mehr als
       zwei Dutzend Waffen und sehr viel Munition. Darunter diverse Sportwaffen,
       eine Glock, eine Ruger, Blendgranaten, Schießpulver. Bei einer späteren
       Durchsuchung kommen unter anderem Telekopschlagstöcke und ein zur Fahndung
       ausgeschriebenes Winchester-Gewehr dazu. Insgesamt finden sie rund 55.000
       Schuss Munition. Davon ein wesentlicher Teil aus Polizei- und
       Bundeswehrbeständen.
       
       Dass Marko G. im Keller seiner Schwiegereltern auch noch eine
       Uzi-Maschinenpistole, eine Kriegswaffe, liegen hat, erzählt er den
       Ermittlern genauso wenig wie von der Kriegswaffenmunition in seinem
       Bungalow. Die Uzi war 1993 bei der Bundeswehr in Brandenburg gestohlen
       worden. Die Ermittler finden sie erst im Sommer 2019.
       
       Es ist der 12. Dezember 2019, Marko G. sitzt im Gerichtssaal des Schweriner
       Landgerichts, als ein Analyst aus den Chats zitiert, um dessen Gesinnung zu
       beschreiben. Der Polizist, 49 Jahre alt, ist inzwischen angeklagt, weil er
       einige der Waffen und Kriegswaffenmunition nicht besitzen durfte. Er wird
       verurteilt: [3][21 Monate auf Bewährung]. Es geht also nicht um
       Rechtsextremismus, nicht um Terror, sondern um Verstöße gegen das
       Waffengesetz und das Kriegswaffenkontrollgesetz.
       
       Der Richter betont, dass die Beurteilung der politischen Gesinnung nicht
       seine Aufgabe sei. Aber wessen dann?
       
       Die Durchsuchungen bei Nordkreuz-Mitgliedern vor über zwei Jahren markieren
       den Beginn unserer Recherche. Wir fragen uns, wie ernstzunehmend die
       Tötungsfantasien dieser Prepper sind. Wie gefährlich ist es, wenn unter
       vielen demokratischen Polizisten auch einige rechtsextreme sind? Was
       passiert, wenn sich all diese Menschen bestens vernetzen können, weil sie
       sich aus der Bundeswehr, dem Schützenverein, dem Internet gut kennen?
       
       Es gibt einen Mann, den diese Fragen besonders beschäftigen müsste. Lorenz
       Caffier von der CDU, seit 13 Jahren Innenminister von
       Mecklenburg-Vorpommern. Ihm ist die Polizei unterstellt, der
       Verfassungsschutz, er ist sogar Mitglied im Reservistenverband, in dem auch
       Marko G. und andere Nordkreuz-Männer aktiv waren. Wir haben ihn schon vor
       zwei Jahren vergeblich um ein Hintergrundgespräch gebeten. Als wir im
       Februar erneut anfragen, verschiebt die Sprecherin das Gespräch auf ein
       unbestimmtes „Später“.
       
       Also bitten wir andernorts um Antworten. Aus dem schriftlichen Urteil gegen
       Marko G. geht hervor, dass Munition, die bei ihm gefunden wurde, von der
       Polizei aus mindestens sieben Bundesländern stammt, dazu von der
       Bundespolizei, der Bundeswehr und dem Zoll. Wir fragen bei den
       entsprechenden Ministerien nach, ob es Nachforschungen gibt, ob und wie die
       Behördenmunition nach Mecklenburg-Vorpommern gelangt ist. Die Antwort
       meist: Das seien Ermittlungen, die die Staatsanwaltschaft in Schwerin
       führe.
       
       Dort erfahren wir: Es laufen offiziell zwar noch Ermittlungen wegen
       Diebstahls oder Unterschlagung, gegen drei ehemalige SEK-Kollegen von Marko
       G.. Sie sollen seit mindestens 2012 Munition aus Behördenbeständen
       gestohlen haben. Gegen Marko G. wurde der Vorwurf nicht weiterverfolgt,
       weil das neben den anderen Taten für das Strafmaß keine entscheidende Rolle
       gespielt hätte. Das Landgericht Schwerin schreibt im Urteil, es habe nicht
       feststellen können, „wie der Angeklagte an einzelne Munitionspositionen
       gelangt ist“.
       
       In Justizkreisen heißt es: Es sei zu aufwendig, die Wege der Munition
       nachzuverfolgen.
       
       Ist Marko G. durch Deutschland gefahren, um sich die Munition zu besorgen?
       Oder hatte er Verbindungen zu Kollegen in anderen Bundesländern, die ihm
       die Munition verschafften?
       
       Unsere Recherchen legen etwas anderes nahe. Sie führen uns zu einem
       Schießplatz in Güstrow, dessen Personal enge Verbindungen zu Nordkreuz hat.
       Und wir erfahren, dass es Gründe gibt, warum die Polizei in
       Mecklenburg-Vorpommern sich nicht so gerne damit beschäftigt. Diese Gründe
       reichen bis an die Spitze, zum Innenminister.
       
       ## Die SEK-Kommission
       
       Im Juni 2019 kam Marko G. in Untersuchungshaft. Er wurde nun wegen seines
       Waffenarsenals und der vielen Munition beschuldigt, das führte später zu
       dem Prozess und zu der Bewährungsstrafe.
       
       Lorenz Caffier sagte damals über ihn und die drei anderen Polizisten, gegen
       die noch ermittelt wird: „Ich bin über das, was als Vorwurf im Raum steht,
       zutiefst erschüttert.“ Er werde „eine strukturelle und personelle
       Überprüfung dieser Diensteinheit veranlassen, um jeglichen Anschein und
       Unterstellungen einer Verstrickung auszuräumen“. Caffier beruft [4][eine
       Kommission, die die Vorgänge im SEK untersuchen soll].
       
       Mehrere Monate lang reisen ein ehemaliger Chef des Bundesamtes für
       Verfassungsschutz, einer des Hamburger Landesverfassungsschutzes und ein
       früherer Bundespolizeichef durch Mecklenburg-Vorpommern. Sie suchen nicht
       nach Gesetzesverstößen, sondern nach Erklärungen. Polizisten sind Teil der
       Exekutive, der ausführenden Gewalt, es ist ihre Aufgabe, den demokratischen
       Rechtsstaat zu verteidigen. Wie kommt es, dass ausgerechnet sie
       rechtsradikales Gedankengut in sich tragen?
       
       Der Kommissionsbericht fällt hart aus. Er beschreibt, wie rechtsextreme
       Polizisten die Meinungsführerschaft innerhalb einer SEK-Einheit übernehmen
       konnten und ihre Vorgesetzten nichts dagegen unternahmen. Daraus ließe sich
       viel lernen, doch die 100 Seiten sind geheim. Einsehen können sie nur
       wenige, darüber reden dürfen sie nicht. Nur eine achtseitige
       Zusammenfassung hat das Innenministerium veröffentlicht. Also recherchieren
       wir der Kommission hinterher, sprechen mit vielen Personen, die mit der
       Sache beschäftigt waren.
       
       Daraus ergibt sich: Marko G. fiel bereits früh rechtsextrem auf. Im
       Innenausschuss des Landtages erfahren die Abgeordneten beispielsweise von
       Büchern über die Wehrmacht und die SS, die Marko G. zur Arbeit mitbrachte.
       Sie hören, von T-Shirts mit einem Spruch, der „eindeutig sei“. Die
       Kommission schildert auch, dass sich mindestens zwei Polizisten mündlich
       und schriftlich an Vorgesetzte wandten und Marko G. als „rechts verankert“
       beschrieben. Die Vorgesetzten unternahmen nichts. Das war 2009, Marko G.
       wurde damals für den gehobenen Dienst fortgebildet.
       
       Sogar in der alten Bundeswehrakte von Marko G. stoßen die
       Kommissionsmitglieder auf Auffälligkeiten: Sein „Interesse für die jüngere
       Militärgeschichte“ sei darin explizit vermerkt.
       
       Und noch etwas fällt der Kommission auf. Marko G. sei 1993 als
       Bundeswehrsoldat ausgerechnet bei der Einheit in einem Brandenburger
       Panzerbataillon eingesetzt gewesen, bei der jene Uzi verschwand, die 2019
       in Marko G.s Arbeitszimmer wieder auftaucht. Das erklärte die Kommission in
       einer Ausschusssitzung.
       
       Vor Gericht hatte Marko G. gesagt, er habe die Uzi auf einem Parkplatz vor
       einer Waffenmesse in Kassel gekauft. Das Gericht übernimmt diese Aussage in
       seinem Urteil als Faktum. Bislang hat kein Ermittler beim Veranstalter der
       Waffenmesse nachgefragt.
       
       Bereits Ende 2016 hatte das Bundesamt für Verfassungsschutz die Männer in
       Mecklenburg-Vorpommern mit ihren Gedankenspielen zum Tag X beobachtet. Mit
       „erheblichen“ nachrichtendienstlichen Mitteln, so nannte es ein leitender
       Verfassungsschutzmitarbeiter im Innenausschuss des Bundestages. Mindestens
       ein Mal informierte die Bundesbehörde das Landesamt für Verfassungsschutz
       über Nordkreuz. Trotzdem erfährt die SEK-Kommission: Das Landesamt verfügt
       über so gut wie keine eigenen Erkenntnisse.
       
       Der Innenminister hat auf den Bericht der Kommission reagiert. Unter
       anderem soll das SEK künftig nicht mehr dem LKA unterstellt sein, sondern
       der Bereitschaftspolizei. Auch zwei Führungspersonen wurden versetzt. Der
       LKA-Chef beispielsweise. Er arbeitet nun beim Verfassungsschutz des Landes
       – im Fachbereich Rechtsextremismus.
       
       ## Der Schießplatz in Güstrow
       
       Einmal im Jahr trafen sich 70 Kilometer von Schwerin entfernt auf einem
       Schießplatz Spezialkräfte aus ganz Deutschland und darüber hinaus.
       Sondereinsatzkommandos, Bereitschaftspolizeieinheiten, GSG-9-Teams, EKO
       Cobra aus Österreich, SWAT-Teams aus den USA, KSK-Soldaten, kurzum:
       Einheiten mit besonderen Schießfähigkeiten. Die lernen sie von einem Mann
       mit erstaunlicher Geschichte: Frank T., mehrfacher deutscher Meister mit
       der Kurzwaffe.
       
       Wo man sich in der Sicherheitsbranche auch umhört, T. gilt als einer der
       größten Könner. Bei seiner Firma Baltic Shooters in Güstrow können
       Fachkräfte üben, was so nur an wenigen Orten in Deutschland geht: Schießen
       aus der Bewegung, auf lange Distanz, aus dem Auto heraus. Und weil nur die
       besten Berufsschützen zu Frank T. kommen, zieht er die großen
       Rüstungsfirmen an: Heckler & Koch, Rheinmetall, Schmeisser Waffen, Sig
       Sauer, Ruag, MEN.
       
       „Special Forces Workshop“ heißt die renommierteste Veranstaltung, sie fand
       jedes Jahr drei Tage lang im Sommer statt. Mitveranstalter war bis 2018 das
       Landeskriminalamt, Marko G.s früherer Arbeitgeber. Innenminister Lorenz
       Caffier war Schirmherr und schaute meist auch selbst vorbei.
       
       Als die Nordkreuz-Ermittlungen 2017 bekannt werden, sind sie kein Grund für
       das Innenministerium, die Kooperation einzustellen. Dabei ist schnell klar,
       dass auch Frank T. Mitglied der Nordkreuz-Gruppe war. Das hatte ein Zeuge
       dem BKA gesagt, wir haben später in der taz darüber geschrieben.
       
       Eher als andere war Frank T. aus der Nordkreuz-Gruppe ausgetreten, ihr aber
       als Unterstützer verbunden geblieben. Nordkreuz-Mitglieder kauften bei ihm
       Waffen und Munition, sie gingen bei ihm schießen. Mehr noch: Auch andere
       frühere Nordkreuz-Mitglieder arbeiten für Frank T. als Trainer, so auch der
       Mann, dem Marko G. an Hitlers Geburtstag „Happy Birthday“ schickte. Sogar
       Marko G. selbst war in Güstrow Trainer für zivilen Schießsport.
       
       Erst nach den erneuten Durchsuchungen im Sommer 2019, als Ermittler auch
       bei Frank T.s Schießstand auftauchen, beendete das Land die Nutzung der
       Anlage.
       
       Aber wie kann es sein, dass die wichtigsten Schießtrainings bei Zivilisten
       stattfanden?
       
       Kurz gesagt: Es gab den Bedarf und es gab das Angebot. Auf Details wurde
       offenbar nicht geachtet. Die SEK-Kommission rügt in ihrem Bericht die enge
       Zusammenarbeit des LKA mit dem Betreiber des Schießplatzes.
       Vergaberechtliche Vorgaben seien nicht beachtet worden und waffenrechtliche
       Besonderheiten nicht genügend berücksichtigt. Und weiter: „Ein besonderes
       Problem sieht die Kommission darin, dass einem privaten Betreiber
       ermöglicht wurde, genaue Einblicke in polizeiliche Interna zu erlangen.“
       
       Und es gab wohl noch ein anderes Problem. Der Schießplatz in Güstrow ist
       ein Ort, an dem sich Marko G. sehr gut seine Munition besorgt haben könnte.
       
       Wir haben in Innenministerien, beim Zoll und der Bundeswehr nachgefragt,
       wie der Munitionsgebrauch bei Übungen nachvollzogen wird, um mögliche
       Verluste zu bemerken. Man teilt uns mit, das werde dokumentiert. Als wir
       bei Munitionsherstellern anrufen, erfahren wir: Detailliert lässt sich
       Munition oft gar nicht verfolgen.
       
       Ein Beispiel: Die Ermittler finden bei Marko G. 12 Kartons à 10 Patronen
       „Remington Sniperline“, Kaliber 223 von MEN. Sie sind mit einer Losnummer
       markiert, mit der Hersteller nachvollziehen können, an wen sie verkauft
       wurde. Das Problem allerdings: Losnummern identifizieren nicht einzelne
       Patronen, sondern nur eine Produktionscharge, also beispielsweise Patronen
       eines Typs, die in einem Durchlauf gefertigt wurden.
       
       Die Ermittler finden so heraus, an wen die Munition ging, von der sie 120
       Patronen später bei Marko G. fanden: 5.270 Stück gingen an Workshops des
       Munitionsherstellers MEN, 1.000 Stück an die Polizei im niederländischen
       Apeldoorn, 90 Stück an Polizeispezialeinheiten in Nordbayern, 3.000 Stück
       an das Polizeipräsidium Frankfurt. In diesem Fall erscheint es in der Tat
       schwierig, nachzuverfolgen, woher die Patronen bei Marko G. ursprünglich
       stammten.
       
       Bei anderen ist das einfacher. Tausende der bei Marko G. gefundenen
       Patronen sind der Firma Baltic Shooters oder Frank T. zuzuordnen. Auf
       manchen Kisten steht sogar sein Name. Andere gingen an das SEK
       Mecklenburg-Vorpommern, das jahrelang auf dem Schießplatz trainierte, an
       das LKA oder an die Polizeiverwaltung. Diese Munition kann Marko G. auf dem
       Platz entwendet oder von jemandem bekommen haben.
       
       Wieder andere Chargen, von denen Patronen bei Marko G. sichergestellt
       wurden, gingen bundesweit an Polizeidienststellen. Es wäre nun denkbar,
       dass Marko G. durch Deutschland fuhr, um sie zu klauen. Er könnte auch
       Komplizen gehabt haben, die ihm Munition besorgten. Oder er hat vom
       Umschlagplatz Güstrow profitiert.
       
       So wurden bei Marko G. 356 Patronen einer Charge gefunden, die 2009 und
       2010 unter anderem an Schleswig-Holstein und die Polizei Berlin geliefert
       wurden. Aus beiden Ländern waren in den Folgejahren Teams in Güstrow.
       
       Oder 102 Patronen, die im Mai 2018 an das Polizeiverwaltungsamt Sachsen
       geliefert wurden. Im Juli 2018 nahmen sächsische Polizisten am Workshop
       teil.
       
       Mehr als 1.900 Patronen stammen aus NRW. Mitglieder mehrerer
       Spezialeinheiten von dort waren immer wieder in Güstrow.
       
       In fast allen Fällen lassen sich unter den Munitionsempfängern
       Polizeibehörden finden, deren Beamte in Güstrow waren. Auch mehrere
       Munitionshersteller – darunter Ruag und MEN – brachten Patronen zum
       Workshop mit.
       
       Eine Person, die vor einigen Jahren am „Special Forces Workshop“
       teilgenommen hat, schildert uns: „Die Munition stand offen rum, man konnte
       sich Patronen nehmen und ballern.“ Es sei nichts aufgeschrieben worden und
       es habe auch keine Kontrollen gegeben. „Ich hätte sogar eine Pumpgun
       einstecken können und rauslaufen.“
       
       Wir haben das Innenministerium Schleswig-Holstein gefragt, ob derartige
       Schilderungen zutreffen. Dort erklärt man uns, der Verbrauch der Munition
       sei vor Ort vermerkt worden. Das widerspricht der Darstellung des
       Teilnehmers.
       
       Frank T. antwortet nicht auf eine taz-Anfrage. Der Munitionshersteller Ruag
       Ammotec teilt mit, an Teilnehmer sei nur „Munition in geringer Stückzahl“
       abgegeben worden und im Anschluss an die Veranstaltungen habe man „keine
       Fehlbestände beim Material festgestellt“. MEN wollte sich nicht äußern. Die
       Sprecherin des Innenministers in Schwerin schreibt uns knapp, es habe keine
       Personen- oder Gepäckkontrollen durch das Landeskriminalamt gegeben.
       
       Ob es zutrifft, dass Lorenz Caffier als Schirmherr auf den Güstrower
       Schießstand kam und sich auch von Frank T. an der Waffe ausbilden ließ,
       lässt sie hingegen unbeantwortet. Genauso wie die Frage, ob das
       Innenministerium eine Sicherheitsüberprüfung von Frank T. und seinen
       Mitarbeitern durchgeführt hatte, bevor sie Zugang bekamen zum sensibelsten
       Wissen, über das eine Polizei verfügt.
       
       Stattdessen heißt es in der Antwort: „Mit der Genehmigung zum Betreiben
       eines Schießstandes oder der Gewerbeanmeldung für ein Einzelunternehmen
       wie,Baltic Shootersʻ sind gewerberechtliche und waffenrechtliche Auflagen
       zu erfüllen, deren Einhaltung durch die zuständigen Ämter (Gewerbeamt,
       Untere Waffenbehörde etc.) überprüft bzw. kontrolliert werden.“
       Kurzgefasst: Irgendeine Behörde wird das schon gemacht haben.
       
       In einer dieser Waffenbehörden arbeitet ein Mann, der als Zeuge vor Gericht
       gegen Marko G. aussagte. Gemeinsam mit einem Kollegen ist er für einen
       ganzen Landkreis zuständig. Er hat Marko G. die Waffenbesitzkarten
       ausgestellt, den Munitionserwerbsschein, er bestätigt, dass G. selbst als
       Sachverständiger registriert ist. Manchmal, erklärt er vor Gericht, habe er
       sich bei ihm Rat geholt. Die beiden duzen sich. Was der Behördenmitarbeiter
       nicht sagt: Auch er war Mitglied im Reservistenverband, wie so viele aus
       dem engeren Kreis von Nordkreuz. Auch er ging gerne schießen.
       
       Nach der ersten Durchsuchung nimmt er Marko G.s Waffen und Munition mit.
       Später entzieht er ihm alle Berechtigungen. Und Marko G. durfte bestimmen,
       was mit den legalen Waffen und der Munition passiert: Sechs Waffen und
       Munition wurden laut der Behörde an einen Waffenhändler übergeben.
       
       „Welcher Waffenhändler war das, an den die Gegenstände ausgehändigt
       wurden?“, fragt die Staatsanwältin.
       
       „Das ist ein Waffenhändler in Güstrow“. Der Beamte der Waffenbehörde
       blättert in dem Ordner, der vor ihm auf dem Tisch liegt.
       
       Staatsanwältin: „Ich helfe ihnen auf die Sprünge. Könnte es Herr T. sein?
       Behördenmitarbeiter: Ja.
       
       Den Angaben der Behörde zufolge wurden nicht alle der sichergestellten
       Patronen an den Eigentümer der Firma Baltic Shooter übergeben, unklar ist,
       wie viele es waren und welche.
       
       Weil er keinen Platz mehr gehabt habe, sagt der Behördenmitarbeiter vor
       Gericht, habe Frank T. die Waffen später der Behörde zurückgegeben. Und
       beiläufig berichtet er dann noch vom Verbleib von Patronen, deren Weg zu
       Marko G. wohl nie mehr offiziell geklärt werden wird. Er sagt: „Die
       Munition wurde verschossen.“
       
       4 Apr 2020
       
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 (DIR) Verhaftung von rechtem KSK-Soldaten: „Schäfchens“ Waffenlager
       
       Wie können Bundeswehrsoldaten immer wieder Waffen und Munition entwenden?
       Das Verteidigungsministerium will das nun überprüfen.
       
 (DIR) Rechte Prepper-Gruppe Nordkreuz: Munition verschwunden? Egal
       
       Der Kopf der Prepper-Gruppe Nordkreuz hatte tausende Patronen aus
       Behördenbeständen gehortet. Berlin zeigt kein Interesse an Aufklärung.
       
 (DIR) Rechter Nordkreuz-Prepper Marko G.: „Eine einmalige Verfehlung“
       
       Ein Polizist bekommt eine Bewährungsstrafe wegen illegalen Waffenbesitzes.
       Das Gericht hat bei der Motivsuche versagt.
       
 (DIR) Polizei in Mecklenburg-Vorpommern: Nazi-Chats und Auslandsmissionen
       
       Ein Polizist aus Rostock hatte Kontakt zum „Nordkreuz“-Chef. Bei ihm wurden
       Waffen und Munition gefunden – und er war für Frontex im Einsatz.
       
 (DIR) Sächsische Polizei und Nazis: Milde Strafe
       
       Weil ein sächsischer Polizist bereits zum zweiten Mal auf Fotos mit
       Neonazis posierte, wurde er ermahnt. Weitere Konsequenzen folgten bislang
       nicht.
       
 (DIR) Rechtsextreme Soldaten: 14-mal die rote Ampel
       
       In der Bundeswehr werden mehr Extremisten erkannt. Denn der MAD schaut bei
       Verdachtsfällen jetzt besser hin.
       
 (DIR) Rechte Bedrohung im Bundestag: Maximilian T. ist Rechtsextremist
       
       Der Bundeswehrgeheimdienst hat einen AfD-Mitarbeiter im Bundestag als
       Rechtsextremist eingestuft. Gegen ihn wurde im Fall Franco A. ermittelt.
       
 (DIR) Interne Dokumente des Vereins Uniter: Rotwein aus dem Schädel
       
       Der Verein Uniter gibt sich harmlos. Dokumente aber zeigen strikte
       Hierarchien, bizarre Rituale und paramilitärisches Training.