# taz.de -- Berliner Sommertheater und Corona: Distanz auf der Bühne
       
       > Die Berliner Theater reagieren mit ästhetischen Mitteln auf die Pandemie.
       > Ausgreifende Reifröcke und ausgebaute Sitze dienen als Abstandshalter.
       
 (IMG) Bild: Dieses Motiv ging um die Welt: Der Saal des Berliner Ensembles mit ausgedünnten Sitzreihen
       
       Jetzt spielen sie wieder. In geschlossenen Räumen dürfen die Theater in
       Berlin zwar bis zum 31. Juli auf Anweisung des Berliner Senats keine
       Aufführungen zeigen und dann kommt erst mal die Sommerpause. Aber draußen
       ist das Auftreten vor kleinen Gruppen (meist nur 50 Leute mit Abstand, bis
       100 sind erlaubt) möglich, und das nutzen einige Theater in Berlin schon
       allein deshalb, um Signale [1][ihres Vorhandenseins zu senden]. Sie
       scharren gewissermaßen laut mit den Hufen, bevor es in der nächsten
       Spielzeit – unter welchen Konditionen, ist noch nicht festgelegt–
       weitergehen kann.
       
       Das [2][Theater an der Parkaue] in Lichtenberg, für junge Zuschauer,
       verfügt über einen schönen Hof. Dort wird seit letztem Wochenende eine
       Open-Air-Variante von „Maria Stuart“ aufgeführt. Der Boden ist in den
       Farben der britischen Fahne bemalt, die Wege zwischen den Figuren, immerhin
       zehn Mitspielende, sind weit.
       
       Es zeigt sich, dass weit ausgreifende Reifröcke, wie die beiden
       konkurrierenden Königinnen sie tragen, und die gebauschten Hosen der
       intrigierenden Lords ausgezeichnet als Abstandhalter funktionieren. In der
       Inszenierung von Albert Hirche verstärkt die Distanz unter den Spielenden
       das Moment der Zwanghaftigkeit, die die Charaktere in diesem Spiel um Macht
       in ihren Entscheidungen einschränkt. Der Transport von der Bühne ins Freie
       ist der schnell und schnörkellos erzählenden Inszenierung gut bekommen.
       
       Die Deutsche Oper, in der Wagners „Rheingold“ am 12. Juni Premiere gehabt
       hätte, sie musste abgesagt werden, spielt nun aber auf dem Parkdeck eine
       komprimierte Nachschöpfung des „Rheingolds“, die der britische Komponist
       Jonathan Dove geschrieben hat. Das Orchester wird von Donald Runnicles
       geleitet.
       
       Das Deutsche Theater bringt András Dömötörs Inszenierung der „Pest“ von
       Camus, die im November Premiere in der kleinen Spielstätte Box hatte, auf
       den Platz vor dem Theater. Und im Berliner Ensemble laden
       Ensemblemitglieder ab dem 10. Juni für 15 Abende zu kleinen Programmen ein,
       Improvisationen, Monologen und Theaterreflexionen auf einer kleinen
       Bretterbühne. Das sei wie ein „Gruß aus der Küche“, sagt Oliver Reese, der
       Intendant des BE. Ohne Regisseure, mit geringem Aufwand gestaltet, befinden
       sich doch zurzeit 180 von 200 Mitarbeitern in Kurzarbeit.
       
       ## Sitzinseln als Symbol
       
       Wie aber geht es weiter in der nächsten Spielzeit, deren Programme kaum wie
       langfristig geplant laufen können, aber dennoch jetzt in der Probenphase
       sind? Oliver Reese erläutert das für sein Haus im Telefoninterview. Als das
       [3][Berliner Ensemble] Mitte Mai Fotografien ihres Zuschauersaals
       publizierte, in dem von 700 Plätzen in engen Reihen nur 200 als Zweier- und
       Einser-Sitzinseln übriggeblieben waren, ging das Foto um die Welt. „Das
       wurde über zehn Millionen Mal angeschaut“, sagt Oliver Reese; es sei „zu
       einem Symbol von Theater in Coronazeiten“ geworden. Für Reese spiegelt es
       eine Zeit wieder, in der man sich auf kurzfristige Veränderungen möglichst
       kreativ einstellen muss.
       
       Der Ausbau der Sitze wird genutzt, um die Bestuhlung, deren Polster schon
       über Jahrzehnte durchgesessen sind, zu überholen; die Verteilung der
       Sitzinseln folgt einer mit einem Sicherheitsunternehmen ausgetüftelten
       Logistik, um mit möglichst viel Abstand zu allen anderen zu seinem Platz zu
       gelangen. Ein- und Ausgang sind getrennt, um Stau in den Foyers zu
       verhindern. Dieses veränderte Publikumsmanagement ist freilich nur die eine
       Seite. Was auf der Bühne geschehen kann, wie geprobt wird, die andere
       wichtige Frage.
       
       Von allem wird es weniger geben: weniger Premieren, weniger Wechsel im
       Spielplan, kleinere Stücke ohne großes Ensemble, weniger Technikeinsatz,
       keine Pausen. Das Berliner Ensemble hat seinen Spielplan schon vorgestellt,
       der am 4. September beginnt, mit Stücken von Olga Grjasnowa, Ferdinand von
       Schirach, Henrik Ibsen, Euripides und Elfriede Jelinek.
       
       Dabei ist auch eine Inszenierung von Frank Castorf nach Erich Kästners
       „Fabian“, deren Premiere für März vorgesehen war und nun im November kommt.
       Darüber kann man erst mal ins Spekulieren geraten, wie Castorf, der sich in
       einem Interview des Spiegel im April über Hygiene- und Abstandsregeln
       empört hat, denn jetzt probt. Oliver Reese erzählt, dass er dem Regisseur
       eine Verschiebung der Premiere um ein Jahr angeboten hatte. Aber nach drei
       Tagen meldete sich Castorf, er wolle mit dem Stück doch gerne schon früher
       herauskommen und werde sich dafür auch bei den Proben an die Regeln halten.
       
       ## Erfahrungen der Isolation
       
       Meine Spekulation, ob dann je eine Person in einem Raum alleine vor einem
       Kameramann agiert, wie man es schon von Castorf kennt, und man alles in der
       Projektion sieht, kann der Intendant nicht kommentieren. Aber er erzählt,
       dass die Regisseurin Mateja Koležnik, die Ibsens „Gespenster“ inszeniert,
       ihr ursprüngliches Bühnenbild verworfen habe zugunsten eines neuen, in dem
       jeder Darstellende einen eigenen Raum hat – nicht, weil es dann beim Proben
       einfacher ist, die Abstandsregeln einzuhalten, sondern aus einem
       ästhetischen Impuls heraus, einer Reaktion auf die Zeit der Pandemie und
       ihre Erfahrungen der sozialen Isolation.
       
       Es muss inhaltlich und ästhetisch stimmig sein, was unter Einhaltung der
       neuen Regeln entsteht – dass dies möglich ist, darauf setzt Reese.
       
       Natürlich nimmt ein Haus mit weniger Zuschauern auch weniger Geld ein.
       Zurzeit ist die Kalkulation am Berliner Ensemble, das entstehende Defizit
       durch weniger Ausgaben minimieren zu können, indem Kurzarbeit fortgesetzt
       wird, Stücke en suite gespielt werden, weniger Umbauten erforderlich sind.
       Ästhetik und Ökonomie auszubalancieren, ist mit der Pandemie in eine neue
       und herausfordernde Phase getreten.
       
       10 Jun 2020
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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