# taz.de -- Berliner Bühnen in der Corona-Krise: Arbeit hinter geschlossenen Türen
       
       > An Vorstellungen, was inhaltlich notwendig ist, mangelt es den Theatern
       > in der Corona-Schließzeit nicht. Wie sich drei Häuser in Berlin
       > positionieren.
       
 (IMG) Bild: Der Vorplatz des Deutschen Theaters, ein Ort zum Treffen und Reden, ist jetzt verwaist
       
       Seit 22. April ist die Ansage offiziell durch den Berliner Kultursenat:
       „Öffentliche Veranstaltungen in Theatern, Konzert- und Opernhäusern dürfen
       bis 31. Juli 2020 nicht stattfinden, dies ist unabhängig von der Zahl der
       Teilnehmenden.“ Zu ahnen war das schon vorher. Wie sich die Theater darauf
       vorbereitet haben, wollte die taz vom Deutschen Theater, dem Grips und dem
       Hebbel am Ufer erfahren.
       
       Ohne Corona hätte am 24. April die Uraufführung von „Number Four“
       stattgefunden – die vierte Inszenierung von [1][René Pollesch am Deutschen
       Theater]. Doch der Vorhang blieb zu, die Publikumsreihen blieben leer. Wie
       das Stück ausgesehen hätte, darüber kann man nicht mal spekulieren.
       
       Denn die Proben, in diesem Fall mit Astrid Meyerfeldt und Sophie Rois, sind
       erst der Ort, an dem Polleschs diskursfreudige Texte in der Regel
       entstehen. Sie begannen zwar, mussten aber nach zehn Tagen Corona-bedingt
       abgebrochen werden. Die Premiere von „Number Four“ wurde auf April 2021
       verschoben.
       
       Die gute Nachricht: Im Juni beginnen die Proben für das nächste Stück von
       Pollesch am Haus, das Ende August herauskommen soll. Das erklärt
       [2][Intendant Ulrich Khuon] in einem Zoom-Gespräch. Einige Premieren wurden
       in den Herbst verschoben, andere Produktionen mussten dafür weichen. „Wir
       können den Herbst gar nicht so engmaschig planen, weil wir nicht davon
       ausgehen können, dass alle Corona-Einschränkungen nach dem Sommer gelockert
       werden.“
       
       Die Krise hat auch finanzielle Folgen: Wegen Vorstellungsausfällen habe das
       Haus schon deutlich über eine Million Euro weniger Einnahmen, so Khuon. „Es
       ist ein Irrtum, dass wir als Staats- und Stadttheater von der Krise
       verschont bleiben. Aber was in der freien Szene, im Kinder- und
       Jugendtheater und mit Privattheatern passiert, ist wirklich gruselig.“
       
       Die Pandemie bedeutet aber nicht einfach Stillstand: Die Kostümabteilung
       näht Atemschutzmasken für Kitas, das Haus arbeitet an einem Onlineprogramm.
       Am Sonntag spielen Alexander Khuon und Valery Tscheplanowa Dimiter
       Gotscheffs „Hamletmaschine“ auf einer leeren Bühne. „Wir wollen einen
       [3][Livevorgang streamen,] nicht nur eine Konserve.“
       
       ## Politisch aktiv bleiben
       
       Auch Sarah Kurzes neue Inszenierung „Die härteste Tochter Deutschlands“
       wird in einem Live-Onlineformat zur Uraufführung gebracht. Das Stück stellt
       die Geschichte einer zerrissenen Familie dar, der Vater ist Reichsbürger
       und driftet in die rechtsextreme Szene ab. Für Khuon ist das ein wichtiges
       politisches Thema: „Die Politik hat in der Krise eine Tendenz, die Künste
       als etwas abzutun, das nur nice to have ist. Das ignoriert die zentrale
       Bedeutung von Kultur: Gerade in der Auseinandersetzung mit der AfD konnte
       man spüren, warum sie so wichtig ist. Jetzt entsteht eine Zone des
       Schweigens über die Künste, und das finde ich fatal.“
       
       Philipp Harpain, Leiter des Kinder- und Jugendtheaters Grips, sieht das
       ähnlich und betont die Notwendigkeit, als Kultureinrichtung weiterhin
       politisch aktiv zu bleiben: „Wir sind plötzlich in einer Kleinstaaterei
       gelandet. Aber wir müssen weiterhin Menschen- und Kinderrechte einfordern
       und Geflüchtete schützen.“ [4][Online setzt sich das Theater für
       Antifaschismus und Klimaschutz ein].
       
       Am 7. Mai sollte die Premiere von „Bella, Boss und Bulli“ im Grips
       stattfinden, die Geschichte einer Freundschaft, doch auch hier machte die
       Coronakrise einen Strich durch die Rechnung. Es ist nun bereits die dritte
       Premiere, die abgesagt werden musste. Der Termin wurde auf den Herbst
       verschoben, doch auch das ist keineswegs sicher. „Wir müssen unseren
       kompletten Spielplan neu würfeln.“
       
       Dazu sind hygienische Schutzmaßnahmen in Planung. „Normalerweise sitzen bei
       uns 360 Menschen im Saal. Wir haben durchgerechnet, dass bis zu 75
       Zuschauer*innen mit Abstand reinpassen könnten. Auf der Bühne gestaltet
       sich das allerdings schwieriger.“
       
       ## Auch hier fehlen die Einnahmen
       
       Ein Theater herunterzufahren sei gar nicht so einfach, erklärt Harpain. Die
       Proben fallen aus, viele Mitarbeiter*innen sind in Kurzarbeit, das Theater
       liegt still – und das hat große wirtschaftliche Folgen. „Ein Viertel des
       Gesamtetats erwirtschaften wir durch Einnahmen. Die fehlen jetzt natürlich.
       Allein für den ersten Monat hatten wir einen Einnahmeverlust von 120.000
       Euro.“ Trotzdem bleibt er optimistisch. „Ich bin mir sicher, dass wir da
       durchkommen. Ich fühle mich vom Senat unterstützt. Klaus Lederer macht
       einen guten Job.“
       
       Zurzeit arbeite das Theater an einer Vorgeschichte des Stücks “Bella, Boss
       und Bulli“ mit dem Videokonferenzdienst Zoom und animierten Bildern. Da
       geht es darum, wie drei Kinder die Coronakrise durchleben. Auch ältere
       Inszenierungen sind auf dem Theaterblog streambar. „Es fehlen aber das
       Livespielen, die vielen Leuten, die Reaktion des Publikums.“ Zudem macht
       sich Harpain keine Illusionen, dass in der Branche bald wieder Normalität
       einkehren kann. „Wir werden lange warten müssen, bis wir wieder hochfahren
       dürfen.“
       
       Für viele Häuser stellt die Pandemie eine Lernkurve der Digitalisierung
       dar. Für das Hebbel am Ufer nicht. Die Krise kam pünktlich zum Auftakt des
       Festivals [5][„Spy on Me #2 – Künstlerische Manöver für die digitale
       Gegenwart“]. „Das war ein Glück, da wir uns sowieso mit Reflexionen über
       den digitalen Raum beschäftigt haben. Wir konnten also ziemlich schnell
       einige Formate online übertragen“, erklärt die Intendantin Annemie
       Vanackere.
       
       ## Schnell reagieren
       
       Das virtuelle Angebot kommt gut an: „Wir sind sehr gefragt, auf die
       aktuelle Situation zu reagieren.“ Da das Haus interdisziplinär aufgestellt
       sei und mit vielen freischaffenden Künstler*innen arbeite, könne es sehr
       schnell auf die Krise reagieren, so Vanackere. Neben theoretischen
       Beiträgen, wie eine Übersetzung des Corona-inspirierten Essays „Vom Virus
       lernen“ des spanischen Queer-Theoretikers Paul Preciado und einem Vortrag
       des Evolutionsbiologen Rob Wallace über die politische Ökologie von
       Epidemien, [6][bietet das HAU auch Performances online.]
       
       Einige Vorstellungen wurden für das Internet angepasst, wie die
       Kurzfilmversion von Gob Squads „Room Service“. Andere Premieren, wie die
       der britischen Performancetruppe Forced Entertainment, wurden verschoben
       und durch ein Onlineformat ersetzt: Am Dienstag, 28. April, findet die
       virtuelle Premiere von „End Meeting for All“ statt, eine Onlineperformance
       auf Zoom. „Wir wollen mit künstlerischen Formen unseren neuen Alltag
       reflektieren – und das macht Forced Entertainment mit viel Humor.“
       
       Auf die Zukunft blickt Vanackere nicht skeptisch, sondern pragmatisch. „Wir
       wissen, dass diese Spielzeit schon gelaufen ist. Lasst uns damit jetzt
       arbeiten: nicht gegen das Virus, sondern mit der Situation. Wir brauchen
       neue Formate mit kritischer Haltung, die über globale Zusammenhänge auf
       einer Alltagsebene reflektieren.“
       
       25 Apr 2020
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /Rene-Pollesch-am-Deutschen-Theater/!5646469
 (DIR) [2] /Khuon-ueber-Regisseur-im-Hausarrest/!5490900
 (DIR) [3] https://www.deutschestheater.de/programm/aktuelles/dt-heimspiel/
 (DIR) [4] http://www.grips-theater.de/home/news/422
 (DIR) [5] /Theater-im-Internet-Spy-On-Me/!5670383
 (DIR) [6] https://www.hebbel-am-ufer.de/hau-online/?fbclid=IwAR22j5TocDqaWuKo51VgXAtEzWJibyC2wW8oM7tELbSS130CMC_U35ACS9A
       
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