# taz.de -- Symposium in der Naxoshalle Frankfurt: Aus dem Mund eines Betroffenen
       
       > Die „Themenwoche gegen das Vergessen“ gedenkt Zwangsarbeitern während der
       > NS-Zeit. Und dem Schicksal einer sozial engagierten Fabrikantenfamilie.
       
 (IMG) Bild: Marlene-Sophie Hagen in „Widerhall“
       
       Die Frankfurter Naxoshalle, ein Industriegebäude, das jetzt als Kultur-,
       Konzert- und [1][Theaterspielstätte] genutzt wird, veranstaltet eine
       „Themenwoche gegen das Vergessen“. Inhaltlicher Schwerpunkt: „Die
       Naxoshalle im Nationalsozialismus“. Es war eine gute Idee, die Geschichte
       des Ortes mit dem zu kombinieren, was aktuell in der Naxoshalle geschieht.
       
       Das historische Schwerpunktprogramm wird deshalb eingerahmt von aktuellen
       Theaterproduktionen, Performances, einem szenischen Denkmal, einem Film,
       einem Konzert und Stadtrundgängen zur Geschichte des Frankfurter Ostends,
       in dem die Halle liegt.
       
       Im Zentrum steht eine kleine, aber informative Ausstellung zum Zusammenhang
       von dem Maschinenhersteller Naxos-Union, [2][Nationalsozialismus und
       Zwangsarbeit]. Die Ausstellung ergänzen Vorträge zum Thema Erinnerung und
       Solidarität mit den Opfern sowie zum Stellenwert von Arbeit im
       Nationalsozialismus.
       
       Die intelligent inszenierte Ausstellung wurde von einem jungen Team aus
       Historikerinnen und Historikern (Luise Besier, Jakob Engel, Björn Fischer,
       Freya Kurek und Susanne Thimm) mit Unterstützung des Instituts für
       Stadtgeschichte in einem nur 26 m2 großen Waren- und Personenlift
       realisiert. Die Installation präsentiert spärlich erhaltene Akten, Fotos
       und andere Quellen.
       
       ## Zeugnis eines Zeitzeugen
       
       Die beeindruckende Pointe der Ausstellung bildet der per Lautsprecher
       eingespielte Text des tschechischen Zwangsarbeiters Václav Danihel, von der
       Naxos-Union ab Oktober 1942 verpflichtet. [3][Zwangsarbeiter und
       Zwangsarbeiterinnen] haben ihr Schicksal aus naheliegenden Gründen nicht
       selbst dokumentieren können. Entsprechend wenig Profil verlieh die
       Geschichtswissenschaft bisher den rund 26 Millionen ZwangsarbeiterInnen,
       von denen die Hälfte auf deutschem Boden arbeitete. Es fehlt einfach an
       Dokumenten über sie.
       
       Es ist deshalb für die historische Aufarbeitung der Zwangsarbeit unter dem
       Nationalsozialismus ein Glücksfall, dass den vier HistorikerInnen ein
       Fragebogen in die Hände fiel, den Václav Danihel (geboren 1922) als alter
       Mann im Jahr 2000 für den „Studienkreis Deutscher Widerstand 1993–1945“
       ausführlich beantwortete.
       
       Der Fragebogen entstand durch eine Initiative zum beschämenden Thema der
       Entschädigungen von ehemaligen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern.
       Dieser Initiative ist es zu verdanken, dass man jetzt aus dem Mund eines
       Betroffenen Genaueres erfährt über die Arbeits- und Wohnverhältnisse der
       ZwangsarbeiterInnen unter Hitlers Diktatur.
       
       Allein in Frankfurt gab es 13 Zwangsarbeitslager, die für jedermann
       sichtbar und präsent waren im Stadtbild. Die zu Zwangsarbeit Verpflichteten
       stammten aus ganz Europa (Italien, Belgien, Frankreich, Niederlande, vor
       allem aber aus dem Osten, vor allem aus der Sowjetunion, [4][Polen] und
       Litauen).
       
       ## Kriegsgefangene und Opfer rassistischer Ideologie
       
       Sie hatten einen unterschiedlichen Rechts- bzw. Diskriminierungsstatus, je
       nachdem ob sie aus dem eroberten Westen angeworben wurden, als
       Kriegsgefangene deportiert oder schlicht als Opfer der
       nationalsozialistischen Kriegsführung und der rassistischen Ideologie der
       sogenannten Herrenmenschen als „Untermenschen“ nach Deutschland kamen.
       
       Zwangsarbeit gab es in allen Wirtschaftsbereichen, auch die öffentliche
       Verwaltung forderte Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter an – etwa das
       Bauamt in Frankfurt, das 1941 „sofort 80 besonders kräftige Leute für die
       Müllabfuhr und 230 für die Straßenreinigung“ bestellte.
       
       Die Zahl der damals unter Zwang Arbeitenden kann man nur über die
       erhaltenen Krankenversicherungsakten und Haushaltungsbücher (Wohnortlisten)
       einigermaßen rekonstruieren. Die Naxos-Union beschäftigte zwischen 1942 und
       1945 rund 700 von ihnen.
       
       Die Beschäftigung von Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter bei der 1871
       von Julius Pfungst gegründeten Firma Naxos-Union, die in ganz Europa
       führend war bei der Produktion von Schleifmaschinen und Schleifmaterialien,
       hat eine tragische Seite. Der Firmenname beruht darauf, dass der Gründer
       über ein Monopol für den Import von Steinen aus Naxos verfügte, das zur
       Herstellung von Schleifmaterial geeignet ist.
       
       ## Das Engagement der Familie Pfungst
       
       Julius Pfungst war sozial engagiert und gründete 1896 einen Pensionsfonds.
       Sein Sohn Arthur erweiterte dieses Engagement und investierte Gewinne in
       Wohlfahrt und Bildung der Arbeitenden. Nach dessen frühem Tod 1912
       übernahmen seine Mutter Rosette und seine Schwester Marie Eleonore Pfungst
       (1862–1943) den Betrieb und gründeten 1918 eine Stiftung, zu der auch die
       Zeitschrift Freie Volksbildung gehörte. Marie Eleonore Pfungst machte sich
       zudem einen Namen in der Frauenbewegung.
       
       Nach 1933 entmachteten die Nazis die Stiftung und integrierten sie in den
       „Kampfbund für deutsche Kultur“. Mit dem neuen Direktor, Rudolf Herbst,
       wurde der Stiftungsname Pfungst getilgt und die Bildungsbestrebungen
       eingestellt. Die Firma beschäftigte jetzt Zwangsarbeiterinnen und
       Zwangsarbeiter, bezeichnete sie jedoch euphemistisch als „Hilfskräfte“.
       
       Nach dem Tod ihrer Mutter musste sich die Firmenerbin Marie Eleonore
       Pfungst – unter Zwang – für 54.658,17 Reichsmark auf einen
       „Heimeinkaufsvertrag“ einlassen und wurde im Herbst 1942 als Schwerkranke
       ins KZ Theresienstadt deportiert, wo sie im Februar 1943 starb. Der
       städtische Koordinator dieser schamlosen Aktion, Stadtrat Dr. Bruno Müller,
       erhielt 1957 die Ehrenplakette der Stadt Frankfurt.
       
       ## „Widerhall“ mit O-Tönen aus den Ausschwitz-Prozessen
       
       Herausragend im kulturellen Beiprogramm der Themenwoche war „Widerhall“ von
       Camilo Bornstein, Loriana Casagrande, Marie Schwesinger und der
       fantastischen Schauspielerin Marlene-Sophie Haagen in einer Collage mit
       Originaltönen aus dem Frankfurter Auschwitz-Prozess von 1963–1965. Dagegen
       rutschte der Versuch eines „szenischen Denkmals für die polnischen
       Zwangsarbeiterinnen auf Naxos“ von Michael Weber ins
       Sentimental-Pathetische ab.
       
       Seit 1979 bietet eine Arbeitsgruppe des DGB „Antifaschistische
       Stadtspaziergänge“ an. Die Naxoshalle liegt im vor 1933 jüdisch geprägten
       Frankfurter Ostend. So bot sich für die Themenwoche ein Rundgang an.
       
       Aus der in der Pogromnacht von 1938 zerstörten Synagoge wurden die noch
       verwendbaren Steine für die Mauer rund um den Hauptfriedhof recycelt. 1942
       erbauten französische Kriegsgefangene auf dem Grundstück der Synagoge einen
       Hochbunker, der heute als Gedenkstätte, wirkliches Mahnmal der Schande und
       Museum dient.
       
       28 Sep 2020
       
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