# taz.de -- Die Straße wird wegen Corona zur Bühne: „Ich bin auch noch da“
       
       > Vier junge Schauspielerinnen samt Verbündete nennen sich „Die Bühne“.
       > Sie legen überraschende Kurzauftritte vor geschlossenen Theatern hin.
       
 (IMG) Bild: Die Bretter, die die Welt bedeuten, sind jetzt pandemiebedingt mal aus Asphalt
       
       BERLIN taz | Die Theater sind geschlossen. Um 20 Uhr sind kaum noch Leute
       am Ku’damm unterwegs. Im Foyer der Schaubühne brennt abends Licht hinter
       den weiten Fensterscheiben. Außen steht in großen Buchstaben „Ich schlage
       mich durch“. In den Vitrinen gleich neben dem Theater informiert die
       Kriegsgräberfürsorge. In den Schaufensterauslagen am oberen Ku’damm liegen
       Silikonbrüste. Was man sonst übersehen hat, fällt jetzt, wo nichts mehr los
       ist, ins Auge.
       
       Am Donnerstagabend stand um 20.21 Uhr eine junge Frau vor der Schaubühne
       und deklamierte einen Monolog von einer glühende Liebe zum Theater. „Es ist
       etwas Hohes mit der Kunst, ich leide um sie und hatte auch schon einen
       Erfolg“, sprach die junge Frau im kurzen Pelzmantel, von zwei Scheinwerfern
       aus der Dunkelheit gehoben. Die fast leeren Busse rauschten vorbei, der
       Lärm schluckte einen Teil ihrer Worte aus Irmgard Keuns Roman „Das
       kunstseidene Mädchen“, in dem gerade die Naivität der Kunstliebhaberin ihre
       Begeisterung so anrührend macht.
       
       Der Weg in die Kunst ist die Fantasie vom sozialen Aufstieg in diesem Tex,
       und es schmerzt, die vorgezeichneten Enttäuschungen zu ahnen: „Ich werde
       ein Glanz, und was ich dann mache, ist richtig. Und die Leute achten mich
       hoch, weil ich ein Glanz bin, und werden es wunderbar finden, wenn ich
       nicht weiß, was eine Kapazität ist. Ich will so ein Glanz werden, der oben
       ist. Mit weißem Auto und Badewasser, das nach Parfüm riecht, und alles wie
       Paris.“
       
       Passanten gingen vorbei, vorsichtig hinter dem jungen Mann, der die Szene
       auf Film aufzeichnete. Am Ende sprach die Schauspielerin: „Ich bin auch
       noch da.“
       
       Probenräume geschlossen 
       
       Die junge Frau ist Olivia Purka, in Wien studiert sie Schauspiel. In ihr
       hat die Unzufriedenheit rumort, in den Monaten des Lockdowns keinen Raum zu
       haben, um sich auszuprobieren. „Keinen Raum, um zu glänzen, keinen Raum, um
       zu scheitern“, wie sie sagt. Schauspielunterricht im Zoom, Probenräume
       geschlossen, alles wegen Corona.
       
       Da hat sie zusammen mit Celine Zoe Krüger, Esther Ursa Bechtold und Deborah
       Hartmann, alle noch unter 25 und auf dem Weg, Schauspielerin zu werden,
       eine Idee entwickelt: Die Straße als Bühne zu nutzen. Ein Stück
       „Eigenermächtigung“, wie sie sagt.
       
       Dann kam der Plan dazu, damit vor den geschlossenen Kulturhäusern zu
       spielen. Der eigene Behauptungswille wird so zum symbolischen Auftritt für
       den ganzen stillgestellten Betrieb. „Die Bühne“ nennen sie sich und sprühen
       das auf den Asphalt, dort, wo sie spielen. Mitstreiter:innen waren bald
       gefunden.
       
       So waren, während Olivia Purka vor der Schaubühne spielte, begleitet von
       einer Sängerin, andere junge Künstlerinnen vor dem Grips Theater, dem
       Renaissance Theater, der Volksbühne, dem Theaterhaus Mitte, dem
       Friedrichstadt-Palast und vier weiteren Häusern vor Ort für einen Auftritt
       von zehn Minuten.
       
       Sie alle begannen um 20.21 Uhr, einem symbolisch gewählten Zeitpunkt. Denn
       unter dem Hashtag #2021gehtdasLichtan, durchaus hoffnungsfroh gewählt,
       lässt sich die Aktion auf Instagram finden.
       
       Etwas Anrührendes 
       
       Am Donnerstag haben sie zum ersten Mal vor zehn Häusern in Berlin zur
       selben Zeit gespielt, im Januar zogen sie, um die Aktionen zu proben, mit
       einem Bollerwagen an acht Tagen vor acht verschiedene Kulturhäuser. Dass
       sie sich dabei immer an die Hygieneregeln gehalten haben, Abstand, Masken,
       Personen nur aus zwei Haushalten, ist Olivia Purka wichtig zu betonen.
       
       Angekündigt werden ihre Aktionen nicht, man darf ja kein Publikum anlocken.
       Erst die Bilder davon im Netz dürfen verbreitet werden. Die Texte und die
       Spielszenen suchen sich die Künstler:innen selbst, geleitet von
       thematischen Fragen.
       
       Es hat etwas Anrührendes, wie Olivia Purka und ihre Begleiterin, die
       „Summertime“ zwischen dünnen Schneeflocken leicht wackelig gesungen hat, am
       Ende in die Nacht hineinsagen „Ich bin auch noch da“. Das Publikum besteht
       aus mir und einem Passanten, der stehen blieb, die meisten gingen weiter.
       
       Die Spielenden wirken auch da einsam und verletzlich, klein im weiten Raum
       der Stadt. Aber für Olivia Purka, die ja weiß, dass zur selben Zeit an
       anderen Orten weitere Mitglieder der „Bühne“ gespielt haben, überwiegt der
       Gedanke an ihre Verbindung. Das mache Mut.
       
       Es wird in jedem Fall weitergehen. Wo, wann und wie darf nicht verraten
       werden, Kunst ohne Ankündigung heißt die neue Disziplin. Das nächste Mal
       vielleicht dann in einer anderen Stadt.
       
       8 Feb 2021
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Bettina Müller
       
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