# taz.de -- Queerfeministische Performance: Jenseits der Superbodys
       
       > In „Rose la Rose“ werden Körper nicht nur gezeigt, sondern beschrieben.
       > Das Ziel sind künstlerische Audiodeskriptionen, die online verfügbar
       > sind.
       
 (IMG) Bild: Pandemiebedingt nur auf dem Bildschirm dabei: die non-binäre britische Performer*in Amelia Cavallo
       
       Ihre Augen brennen? Sie haben keine Lust, schon wieder auf einen
       Computerbildschirm zu starren? Keine Lust auf das
       fünfhundertdreiundachtzigste digitale Theatererlebnis? Keine Sorge. Das
       Tanzstück „Rose la Rose“ funktioniert auch als non-visuelles Ereignis.
       Nein, die Choreografin Lisa Rykena lädt sogar explizit dazu ein, „die Augen
       zu schließen und den Körpern auf der Bühne zuzuhören“.
       
       Seit Donnerstag ist die neuste Arbeit der beiden Hamburger Choreografinnen
       Lisa Rykena und Carolin Jüngst [1][online über die Kampnagel-Website zu
       sehen]. In „Rose la Rose“ laden Rykena und Jüngst in die obskure und
       zugleich erotische Welt von Showkultur und Spektakel ein. Sie laden ein in
       einen Raum voller Zärtlichkeit, Erotik und Humor, in einen Raum, dessen
       Geheimnis ein 60 Meter langer, transparenter Vorhang zu verbergen und
       enthüllen vermag. Sie laden ein in einen Raum, in dem die vier
       Performer*innen Ursina Tossi, Tian Rotteveel, Lisa Rykena und Carolin
       Jüngst miteinander spielen, sich präsentieren und berühren. Pandemiebedingt
       nur auf dem Bildschirm dabei: die non-binäre, queere und nicht-sehende
       britische Performer*in Amelia Cavallo.
       
       In diesem Bühnenraum huldigen alle Tänzer*innen dem Dazwischen, der Zeit
       vor und nach der Enthüllung, vor und nach der Verführung, vor und nach dem
       Höhepunkt. „Es gibt Seide, Frottee und Alpakawolle, viel Transparenz,
       Fingerspitzen, die sich im Raum bewegen und die Stimme von Ursina Tossi,
       die uns durch den Abend begleitet“, so skizziert Carolin Jüngst das
       Szenario, das Lisa Rykena als einen „sensiblen Parcours aus Sprache,
       Erwartungen und Entblößung“ beschreibt. „Geister des Revuetanzes aus
       vergangenen Jahrzehnten“, fährt sie fort, „finden nur vereinzelt und
       kurzweilig Eintritt in die Körper der Performer*innen, die sich laut tönend
       und ihren Tanz selbstbeschreibend auf der Bühne Gehör verschaffen,
       ermächtigen und gen Zukunft tanzen.“
       
       Tatsächlich sind es Imaginationsräume, in denen die klischeehaften
       Vorstellungen erotischer Körper hinterfragt und umgeschrieben werden
       sollen. Dahinter steht der Gedanke, so Rykena, „anhand des Mythos
       des,Showgirls’ und der 'Show’ den Blick auf den Körper kritisch zu
       hinterfragen und mithilfe der künstlerischen Audiodeskription nach neuen
       Möglichkeiten zu forschen, wie man Körper beschreiben und einen
       solidarischen Blick und eine solidarische inklusive Sprache üben und
       praktizieren kann“.
       
       Die Choreografin versteht das Vorhaben als einen „Versuch, den äußeren
       Blick zu decodieren, der Körper so dominant formt, prägt und einordnet“.
       Und Carolin Jüngst ergänzt: „Für uns war von Beginn an klar, dass wir uns
       mit der Visualität, somit auch dem Sehen an sich, auseinandersetzen wollen,
       mit den Privilegien, die damit einhergehen, aber auch mit den Begrenzungen
       und dem Potenzial, des Nicht-Sehens und dem Mittel der Audiodeskription.“
       
       Wer also nicht sehen kann, kann hören, und natürlich auch: Wer nicht sehen
       mag, darf sich mittels der Audiodeskription ranzoomen an die Körper, an
       deren Interaktionen und das Geschehen auf der Bühne, kann – trotz
       Bildschirmdistanz – den Performer*innen ganz nah sein.
       
       In „Rose la Rose“ sei der Einsatz der künstlerischen Audiodeskription als
       feministisch zu begreifen, erläutern die beiden Choreografinnen. Dieses
       Element vermittele und mache transparent, wie Entscheidungen auf der Bühne
       getroffen werden. Die sehenden und nicht sehenden Performer*innen
       verschränken – zusammen mit der Audiodeskriptorin und Choreografin Ursina
       Tossi, die ihre Funktion als „Stimme, die beschreibt, voraussieht,
       fantasiert und kommentiert“, bezeichnet – visuelle und auditive
       Wahrnehmungsräume. So wollen sie das (Un-)Sichtbare durch das (Un-)Gesagte
       befragen und lassen bewusst Lücken in der Wahrnehmung entstehen, in denen
       das Nichtsichtbare hörbar gemacht wird und umgekehrt.
       
       Die Bild- und Hörflächen verbinden sich durch die Stimmen und Körper der
       Performer*innen zu einem Gebilde verflochtener Erzählungen und
       Interpretationen hybrider Erotik. Körper und Stimmen verschwinden,
       verzerren, dirigieren, fragen, fordern auf.
       
       Natürlich spielen dabei die Musik und die Bühnengeräusche eine wichtige
       Rolle, die der Soundkünstler Konstantin Bessonov für das Stück entwickelt
       hat. Diese „Naturgeräusche im abstrakten Bühnenraum, Synthesizer im Spiel
       mit fragilen Körpern, die menschliche Stimme zwischen Werkzeug und Emotion“
       sind für ihn „kein autonomes Element“, merkt Bessonov an. Vielmehr arbeite
       seine Musik mit schwindenden Atmosphären und sich stets erneuernden
       Versprechen.
       
       Seit 2016 arbeiten Carolin Jüngst und Lisa Rykena als künstlerisches Duo
       zusammen und streifen in ihren Tanzproduktionen unter anderem durch
       Striplokale, Varietétheater der 1920er Jahre und Ovids Metamorphosen. Sie
       hinterfragen – etwa in „She Legend“ (2019) – die fetischisierte
       Projektionsfläche von Superheldinnen und die damit einhergehenden
       Rollenmuster und Geschlechterstereotypen. Sie beschäftigen sich mit
       queerfeministischen, intersektionalen und ableismuskritischen
       Körperdiskursen und der normativen Kategorisierung von Körpern.
       
       So ist es nur konsequent, dass sie in ihrer aktuellen Arbeit die für den
       (erotischen) Körper in der Gesellschaft und im Tanz vorherrschenden
       Ausschlussmechanismen, die den Körper als Produkt und Objekt und nur in
       rein binären Kategorien denken, kritisch hinterfragen. „Diese
       kapitalistischen,Superbodys' aus Pornos, Werbung etc. wirken auf mich immer
       wie Karikaturen, sind und bleiben aber einfach prägende Körper und
       Instanzen, die ganze Generationen formen“, ärgert sich Rykena.
       
       Wie aber passt zu dieser Wut, dass der Titel ihres jüngsten Stücks so
       versöhnlich klingt? Man kann ihn mit Gertrude Steins berühmter Tautologie
       „Rose, is a rose is a rose“ assoziieren. Oder ganz einfach mit der Rose als
       scheinbar schon immer gültigem Symbol der Liebe. Tatsächlich stimmt keines
       von beidem – oder womöglich auch beides zugleich: „Rose la Rose“ war der
       Künstlerinnenname der Striptease- und Burlesquetänzerin Rosina de Pella
       (1919–1972), auf die Rykena und Jüngst während ihrer Recherchen stießen.
       Anfangs noch Arbeitstitel, sei er dann, erzählt Rykena, „im Laufe unserer
       Arbeit nicht mehr wegzudenken“ gewesen – „eine schöne Hommage an eine
       besondere Tänzerin aus der Vergangenheit“.
       
       25 Feb 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.kampnagel.de/de/programm/digitales-programm/
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Katrin Ullmann
       
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