# taz.de -- Wahrheitsfindung in Polen: Vergangenheit glätten
       
       > Ein Urteil in Warschau gegen zwei renommierte Holocaustforscher
       > gefährdet die weitere Geschichtsaufarbeitung in Polen.
       
 (IMG) Bild: Barbara Engelking, Direktorin des Zentrums für die Erforschung des Holocausts
       
       Richter sollten nicht über Geschichte zu Gericht sitzen. Oder nur in
       absoluten Ausnahmefällen. Denn Streitfälle unter Historikern werden in
       Seminaren gelöst, Fehler durch Rezensionen und öffentlichen Diskurs
       aufgedeckt und behoben.
       
       In Warschau hat dennoch eine junge ehrgeizige Richterin in einem
       Verleumdungsfall gegen zwei renommierte Holocaust-Forscher „Recht
       gesprochen“. Nun müssen sich die P[1][rofessoren Barbara Engelking und Jan
       Grabowski] bei der Nichte eines Kriegshelden und Judenretters
       entschuldigen, den sie in ihrem 1.600 Seiten starken Werk „Dalej jest noc.“
       („Und immer noch ist Nacht“) auch als Nazi-Kollaborateur und Judenverräter
       bezeichneten.
       
       Maßgebend, so die Richterin, sei das Recht der Klägerin auf den „Kult des
       Gedenkens an einen Verstorbenen“. Die Historiker – Engelking als Autorin
       und Grabowski als Herausgeber – hätten sich in der Passage über das
       Schicksal der Jüdin Estera „Ungenauigkeiten“ zuschulden kommen lassen.
       
       Tatsächlich hatte Engelking irrtümlich zwei Edward Malinowskis für eine
       Person gehalten. Allerdings hatte dies keine Auswirkung auf den guten Ruf
       des Judenretters, da nicht die zweite Person, sondern er selbst von der
       geretteten Jüdin bezichtigt wurde, ihr Geld und einen Pullover geraubt zu
       haben, sowie später andere Juden an die Deutschen verraten zu haben.
       
       Der zweite Fehler war eine fehlende Fußnote, mit der Engelking diese
       Aussage Esteras vor der Shoah-Foundation in den USA hätte dokumentieren
       müssen. Gerade bei sehr langen wissenschaftlichen Texten kann das schon
       einmal vorkommen. Normalerweise wird den gedruckten Büchern dann ein
       Errata-Zettel beigelegt und der Fehler in der nächsten Auflage des Buches
       berichtigt.
       
       ## Jüdischer Zeugin nicht geglaubt
       
       Viel schlimmer für die Autoren und für die Zukunft der Holocaust-Forschung
       in Polen ist aber, dass die Richterin die gerettete Jüdin für unglaubwürdig
       hält, weil sie beim Verrat der im Wald versteckten Juden durch Polen und
       dem späteren Mord an ihnen durch Deutsche nicht als Augenzeugin dabei
       gewesen sei.
       
       Mehr Glauben schenkt die Richterin dem stalinistischen Gericht im Polen des
       Jahres 1950. Dieses hatte Malinowski vom Juden-Verrat und der
       Nazi-Kollaboration freigesprochen. Allerdings hatte zuvor ein mit
       Malinowski befreundeter Schlägertrupp alle Zeugen der Anklage so
       verprügelt, dass im Prozess keiner seine vorherige Aussage aufrecht
       erhielt. Für die Richterin spielte dieser Kontext keine Rolle.
       
       Hochproblematisch ist auch, dass die 81-jährige Klägerin Filomena
       Leszczynska von der rechtsnationalen Stiftung „Reduta – Festung des guten
       Namens“ benutzt wird, um ihre politische Agenda durchzusetzen. Immerhin ist
       es der Stiftung nicht gelungen, mit dem „Recht auf Nationalstolz“ einen
       Präzendenzfall zu schaffen. Die Definition der polnischen Nation als eine
       „Nation von Judenrettern“ war dann auch der jungen Richterin zu dubios.
       
       Engelking und Grabowski werden in die Berufung gehen, und dann wird in
       zweiter Instanz dieses fatale Urteil hoffentlich aufgehoben.
       
       10 Feb 2021
       
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