# taz.de -- Debatte um Buchpreis für Habermas: Eine überfällige Kontroverse
       
       > Jürgen Habermas hat den „Sheikh Zayed Book Award“ abgelehnt. Nun ist ein
       > Streit um die Strategien auswärtiger Kulturpolitik entbrannt.
       
 (IMG) Bild: Jürgen Habermas, hier ein Bild von 2018, hat den „Sheikh Zayed Book Award“ abgelehnt
       
       Man muss Jürgen Habermas dankbar sein. Dankbar dafür, dass der 91-jährige
       deutsche Philosoph die Auszeichnung mit dem Sheikh Zayed Book Award aus den
       Vereinigten Arabischen Emiraten zunächst annahm. Und noch mehr dafür, dass
       er als international führender Demokratietheoretiker diesen nach dem
       Patriarchen der Herrscherfamilie Abu Dhabis benannten Preis nun doch nicht
       annimmt.
       
       Die mit 225.000 Euro (!) dotierte Auszeichnung sollte ihm im Rahmen der am
       23. Mai beginnenden Buchmesse in Abu Dhabi verliehen werden. Frankfurter
       Buchmesse, Auswärtiges Amt und Wirtschaftsministerium organisieren dort den
       Auftritt deutscher Kultur und Verlage in der Hauptstadt der Emirate. Das
       stärkste der dank Petrodollars reich gewordenen, aber menschenrechtlich
       betrachtet immer noch armen Emirate gilt der auswärtigen Kulturpolitik als
       strategischer Partner.
       
       So sitzt Buchmessenchef Juergen Boos im neunköpfigen Beirat des Sheikh
       Zayed Book Award. Schirmherr des Preises ist kein Geringerer als Kronprinz
       Muhammad bin Zayid Al Nahyan selbst, der de facto Oberbefehlshaber der
       Streitkräfte und Machthaber am Golf ist. „Gerade dieser Preis für Habermas
       wäre jedoch mehr gewesen“, schrieb [1][Stefan Weidner auf dem
       Internetportal Qantara.de], das zur Deutschen Welle gehört.
       
       Der Buchautor und Arabist sagt, was Boos oder Strategen wie Andreas Görgen
       vom Auswärtigen Amt in solchen Fällen zur Rechtfertigung gerne behaupten.
       „Fortan“, so Weidner, „hätte unsere Diplomatie die emiratische Politik an
       den Maßstäben unseres besten Philosophen messen dürfen. Allerdings sind es
       Maßstäbe, denen auch die westlichen Gesellschaften kaum je genügen.“ Der
       zweite Satz hier versteht sich als Zugabe für notorisch antiwestlich
       orientierte Kreise. Über solch relativierende Behauptungen und angedeutete
       Gleichsetzungen von Demokratien mit Diktaturen kann man halt mit allen im
       Geschäft bleiben.
       
       ## Dichtender Emir
       
       Doch gibt es für Weidners Einlassung, die Emirate hätten sich künftig an
       Habermas' Demokratieverständnis messen lassen wollen, glaubwürdige
       Hinweise? Eher nicht. [2][Dietmar Pieper berichtet im Spiegel], wer vor
       Habermas auch schon den Sheikh Zayed Book Award erhielt. Habermas’
       Vorgänger als „kulturelle Persönlichkeit“ des Jahres war 2015 etwa Mohammed
       bin Rashid Al Maktoum, seines Zeichens Emir von Dubai. In seiner Freizeit
       pflegt er das „freie Wort“ und schreibt Gedichte.
       
       Jüngst ließ er jedoch seine Tochter Latifa entführen. Die Prinzessin war
       ins Ausland geflüchtet. Der dichtende Vater ließ sie zurück nach Dubai
       verschleppen. In einem an die BBC gelangtem Video wandte sich die Gefangene
       Hilfe suchend an die Öffentlichkeit.
       
       Wo politisch nichts mehr geht, da geht oft noch etwas mit Kultur, so das
       Credo der mit auswärtiger Kulturpolitik Beschäftigten. Und sie haben
       oftmals recht. [3][Das Goethe-Institut bietet in manchen] Ländern
       tatsächlich Oasen für einen freieren Kulturaustausch. Die Softpower Kultur
       unterschätzen autoritäre Regime häufig, die jeweiligen Zivilgesellschaften
       schätzen sie um so mehr.
       
       Habermas' Schriften zirkulieren im Arabischen. Sollten sie wegen seiner
       Ablehnung in den Emiraten nun unterm Tisch gehandelt werden, wäre die
       Wirkung aufgrund seiner Redlichkeit nur um so größer.
       
       ## Politisch naiv
       
       Für Boos und die Buchmesse sollte die Affäre Habermas den Anstoß geben, die
       Strategie zu überdenken. Legitime geschäftliche Interessen sollte man nicht
       mit kulturell überhöhten und politisch naiv anmutenden Erwartungen
       überfrachten. Es passt irgendwie nicht, im Namen von Toleranz, Freiheit und
       Internationalität Preise absoluter Fürsten zu promoten.
       
       Gerade die Scheichtümer am Golf versuchen sich durch das Einkaufen
       westlicher Kultur und Kunst im großen Maßstab als Player für die Zeit nach
       dem Erdöl neu aufzustellen. Ein nicht nachhaltiger Tourismus,
       Luxus-Parallelwelten und große Investitionen im Ausland sind hierfür
       Stichworte. Demokratische Reformen bleiben aus.
       
       Die Briten haben Hongkong und seine Demokratie aufgegeben. Aus Furcht vor
       einer ökonomisch und militärisch drohenden Diktatur. Über Habermas, den
       Sheik Zayed Book Award und auswärtige Kulturpolitik sollte man offen vor
       dem Hintergrund solcher globalen Entwicklungen sprechen. Stefan Weidner
       schreibt auf Qantara.de, Habermas habe dem kulturellen Dialog durch die
       Absage einen „Bärendienst“ erwiesen. Das Gegenteil ist der Fall.
       
       8 May 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://de.qantara.de/inhalt/habermas-verzicht-auf-sheikh-zayed-book-award-der-philosoph-der-kommunikation-verweigert-den
 (DIR) [2] https://www.spiegel.de/kultur/literatur/philosoph-habermas-lehnt-buchpreis-ab-souveraene-entscheidung-nach-spiegel-kritik-souveraene-ents-a-24be1ac0-cfff-42be-bcf7-9db455cc7557
 (DIR) [3] /Preistraegerin-der-Goethe-Medaille-2020/!5703320
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
       ## TAGS
       
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