# taz.de -- Claudia Roth als Kulturstaatsministerin: Keine Macht für Niemand
       
       > Claudia Roth wird Staatsministerin für Kultur und Medien. Mit der
       > Grünen-Spitzenpolitikerin wird es für Preußen-Nostalgiker ungemütlich.
       
 (IMG) Bild: Claudia Roth, Vizepräsidenten des Bundestags, fordert auf einer Demo Coronahilfen für Künstler
       
       Die Kulturpolitik des Bunds war in den letzten Jahren innenpolitisch eine
       Domäne der Christdemokraten. Monika Grütters (CDU) hatte hier das Sagen und
       war als Staatsministerin für Kultur und Medien direkt im Kanzleramt
       angesiedelt. Sie konnte über einen Etat von über 2 Milliarden Euro verfügen
       und setzte wichtige Personalentscheidungen durch, etwa die Berufungen der
       Niederländerin Hetty Berg als Leiterin des Jüdischen Museums Berlin und von
       Raphael Gross an die Spitze des Deutschen Historischen Museums in Berlin.
       
       Auch für die Leitung des Filmfestivals Berlinale wurde ein international
       versiertes und gemischtes Führungsdoppel gefunden. Außenpolitisch wurde die
       deutsche Kulturpolitik während der Großen Koalition allerdings aus dem von
       der SPD geführten Auswärtigen Amt gesteuert. Dieses stellte auch nicht
       unwesentliche Mittel für die Aktivitäten des auf der ganzen Welt tätigen
       Goethe-Instituts zur Verfügung.
       
       Nun werden also wohl bald in beiden Regierungsinstitutionen Politikerinnen
       der Grünen die Führung übernehmen. Im Auswärtigen Amt ist es Annalena
       Baerbock. Und als Staatsministerin für Kultur und Medien wird es Claudia
       Roth sein, die aus dem von der SPD-geführten Kanzleramt unter Olaf Scholz
       wirken wird.
       
       Für Insider war die Nominierung Claudia Roths keine große Überraschung. Die
       1955 in Ulm geborene amtierende Vizepräsidentin des Deutschen Bundestags
       gilt – wie auch der künftige Minister für Ernährung und Landwirtschaft, Cem
       Özdemir – als eine der erfahrensten aktiven Grünen-Politikerinnen
       überhaupt.
       
       ## Kämpferische Vita
       
       Und Roth repräsentiert durch ihre Vita kulturell selbst vieles von dem, für
       das die Grünen nun einstehen wollen. Stichworte sind: mehr
       Gendergerechtigkeit, die konsequente Durchleuchtung staatlicher Sammlungen
       nach arisierter sowie kolonialer Raubkunst, eine dem Antifaschismus
       verpflichtete Erinnerungspolitik sowie eine bessere soziale Absicherung der
       freischaffenden Künstler und Kreativen.
       
       Die bei Memmingen aufgewachsene Roth hat sich als kämpferische, grüne
       Bürgerrechtlerin einen Namen gemacht, die sich auch von älteren polternden
       Herren in ihrer Karriere nicht einschüchtern ließ. Im Jahr 1994 – Erdoğan
       plante da als Bürgermeister von Istanbul gerade erst noch seinen folgenden
       kometenhaften Aufstieg – wurde sie von einem türkischen Staatsminister als
       „Prostituierte“ beschimpft. Sie hatte konservative türkische Nationalisten
       durch ihr Eintreten für die Rechte von Frauen und die kurdische Minderheit
       gegen sich aufgebracht.
       
       In der Bundesrepublik eckte sie wiederum bei der völkischen Rechten wegen
       ihres Engagements für eine multikulturelle Gesellschaft an. Wir befinden
       uns da noch in der Ära Kohl und vor der Reform des Staatsbürgerrechts. Erst
       die erste rot-grüne Bundesregierung erweiterte nach 1998 das
       Staatsbürgerrecht und erleichterte die Einbürgerung von Migranten. Roth
       trat vor der autoritären Wende unter Erdoğan auch für die Aufnahme und
       Einbindung einer demokratischen Türkei in die Europäische Union ein.
       
       ## Softpower Kultur
       
       Softpower, so lautet ein von der SPD gern zitierter Begriff, wenn es um das
       außenpolitische Potenzial beim Export demokratischer Kulturen geht. In
       Staaten und Gesellschaften, in denen man aufgrund totalitärer Systeme mit
       unmittelbarer Politik nur wenig erreichen kann, setzt man weiterhin auf den
       Austausch über die kulturellen Korridore der Öffentlichkeit.
       
       Das Goethe-Institut spielt hierfür über das reine Sprachinstitut hinaus die
       wichtige Rolle, wird oft als der letzte Anker für demokratisch orientierte
       Zivilgesellschaften im Ausland betrachtet. Die Kulturinstitute ermöglichen
       es, unterhalb von Geschäft und Politik mit der Gesellschaft und deren
       zukünftigen Vorstellungen in Kontakt zu bleiben. Auch wenn man oft nicht
       wirklich sagen kann, wem ein solcher Austausch am Ende tatsächlich nutzt.
       
       Internationale Kulturpreise, Buchmessen oder Kunstausstellungen dienen
       Diktaturstaaten mitunter auch nur als Feigenblatt, um ihr schlechtes Image
       im Westen aufzupolieren.
       
       Jüngst lehnte darum etwa der Philosoph Jürgen [1][Habermas eine Ehrung mit
       dem Sheikh Zayed Book Award] durch die Vereinigten Arabischen Emirate ab.
       Er war in menschenrechtlicher Hinsicht von der positiven Softpower der
       Preisannahme weniger überzeugt als die Strippenzieher im Auswärtigen Amt
       und des deutschen Kulturbetriebs.
       
       ## Kultur und Menschenrechte
       
       Mit der Ernennung Claudia Roths zur Staatsministerin dürfte dem
       sozialdemokratischen Pragmatismus beim Ausspielen wirtschaftlicher gegen
       menschenrechtlicher Interessen künftig strengere Grenzen auferlegt sein.
       
       Aber vor allem dürfte Claudia Roth die von Grütters beförderte
       Preußenrenaissance – siehe Fassade und Kuppel des Großprojekts
       Humboldt-Forum – nicht fortsetzen.
       
       Als Ex-Managerin [2][der Band Ton Steine Scherben sollte] die künftige
       Staatsministerin auch wissen, wie man ein [3][allzu lautes Glockengeläut
       der Garnisonkirche zu Potsdam] künftig unterbindet.
       
       26 Nov 2021
       
       ## LINKS
       
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       ## AUTOREN
       
 (DIR) Andreas Fanizadeh
       
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