# taz.de -- Klimabewegung und Radikalität: Brauchen wir eine grüne RAF?
       
       > Der Koalitionsvertrag enttäuscht, die Mobilisierung läuft schlecht.
       > Sollte sich die Klimabewegung radikalisieren?
       
 (IMG) Bild: Infrastruktur kann man besetzen, wie hier auf der Kohlebahn im Rheinland 2020 – oder zerstören
       
       Darf man das Förderband eines Braunkohlebaggers kaputtmachen? Darf man
       Maschinen sabotieren, die für die Erhitzung der Erde verantwortlich sind?
       Darüber diskutiert gerade die Klimabewegung. Angestoßen hat die Debatte
       der Klimaaktivist Tadzio Müller. Er prophezeite in einem Interview im
       [1][Spiegel], dass sich ein Teil der Klimabewegung radikalisieren werde.
       Und man hatte den Eindruck, [2][dass er diese Entwicklung nicht ohne
       Sympathie betrachtet]. Sein Schlagwort „grüne RAF“ sorgte für den wohl
       kalkulierten Aufschrei. So geht Pressearbeit.
       
       Müllers möglicherweise selbst erfüllende Prophezeiung hat eine Kontroverse
       ausgelöst, denn seiner Analyse stimmen viele in der Klimabewegung zu: Der
       Koalitionsvertrag entspricht nicht dem 1,5-Grad-Ziel. Lautes Fluchen über
       die Ampel ändert daran nichts. Gleichzeitig werden die Freitagsdemos
       kleiner, und das liegt nicht nur an Corona. Was tun?
       
       Vielleicht hilft ein Blick in die Bewegungsgeschichte: Als die rot-grüne
       Bundesregierung im Jahr 2000 den Atomkonsens verabschiedete, waren viele
       AktivistInnen unzufrieden. Trotzdem wurden die Proteste gegen
       Castortransporte und AKWs kleiner. Erst nach der Ankündigung der
       schwarz-gelben Bundesregierung, den Atomausstieg zu verzögern, erlebte die
       Bewegung einen Aufschwung – und sie wurde radikaler: Mehrere Tausend
       Menschen folgten dem Aufruf, Steine aus dem Gleisbett der Bahnstrecken zu
       graben, auf der Atommüll ins Wendland transportiert werden sollte.
       
       Es war der Versuch, eine radikalere Form des Zivilen Ungehorsams zu
       etablieren – eine angekündigte Straftat für einen höheren Zweck. Aber war
       man damit erfolgreich? Diskursiv war die Aktion sicherlich ein Erfolg und
       verschob den Rahmen dessen, was verboten, aber legitim ist. Aber für den
       endgültigen Atomausstieg sorgte die Katastrophe von Fukushima, nicht die
       Radikalisierung der Bewegung.
       
       ## Radikalität ist kein Selbstzweck
       
       Ähnliche Aktionsformen gibt es immer noch. Die Bewegung Ende Gelände ist
       älter als Fridays for Future. Aber man hat in den letzten Jahren nicht
       gesehen, dass Menschen in Massen von den Freitagsdemos in die Kohlegrube
       gerannt sind. Aktionen des zivilen Ungehorsams sind anspruchsvoll, weshalb
       nie mehr als ein paar Tausend engagierte, mehrheitlich junge Menschen
       mitmachen.
       
       Muss die Klimabewegung radikaler werden? Das ist die falsche Frage.
       Radikalität ist kein Selbstzweck. Die Frage ist, wie man es schafft, mehr
       Menschen aus verschiedenen Milieus für eine Klimapolitik zu gewinnen, die
       der Realität der Klimakrise entspricht. Damit bei der nächsten Wahl die
       Mehrheit nicht wieder sagt, dass ihr das Klima echt wichtig sei, aber nicht
       entsprechend wählt.
       
       In dieser Woche hat die Linksfraktion im Bundestag den ehemaligen
       Porsche-Aufsichtsrat Klaus Ernst zum Vorsitzenden des Klimaausschusses
       gewählt, gegen Widerstand aus der Bewegung. Der Posten ist nicht besonders
       wichtig, aber die Wahl machte ein Problem deutlich. Die politische Linke
       hat kein Personal, das überzeugend gewerkschaftliche und sozialpolitische
       Forderungen mit einer zeitgemäßen Klimapolitik verbindet.
       
       Dieses Problem teilt die Klimapolitik im Parlament mit der auf der Straße.
       Und deshalb kann die Losung nicht sein: mehr Radikalität wagen. Sondern:
       raus aus dem akademischen, homogenen Milieu der Bewegungspolitik. Rein in
       Betriebe, Gewerkschaften, Kleinstädte.
       
       19 Dec 2021
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spiegel.de/politik/deutschland/tadzio-mueller-wer-klimaschutz-verhindert-schafft-die-gruene-raf-a-5e42de95-eaf2-4bc1-ab23-45dfb0d2db89
 (DIR) [2] /Radikalitaet-der-Klimabewegung/!5789719
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Kersten Augustin
       
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