# taz.de -- Außenpolitik der Ampel: Unsensibel gegenüber Afrika
       
       > Die Notwendigkeit von Veränderung im Umgang mit Afrika ist
       > offensichtlich. Aber der Regierungswechsel in Deutschland bringt keinen
       > Politikwechsel.
       
 (IMG) Bild: Auch mit der Zerstörung von Familienhäusern kämpft Ägypten im Sinai gegen islamische Extremisten
       
       Welche Afrikapolitik erbt Deutschlands Ampelkoalition von Angela Merkel?
       Die unzähligen Gipfelreden der vergangenen Jahre finden sich auf Seite 156
       des [1][Koalitionsvertrags] nahtlos fortgesetzt: es geht um Partnerschaft,
       Zusammenarbeit, Reformen, Europa. Das spricht für Kontinuität und zugleich
       für Bedeutungslosigkeit: Afrika ist nicht wichtig genug für Kontroversen.
       
       Aber es ist wichtig genug für Geschäfte. 2021 war der größte Käufer
       deutscher Rüstungsgüter ein afrikanisches Land: Ägypten, das mit
       Rüstungsexportgenehmigungen in Höhe von 4,339 Milliarden Euro fast die
       Hälfte der Gesamtsumme des Jahres ausmacht. Ein Großteil der
       [2][Genehmigungen erfolgte in den letzten Tagen der alten Bundesregierung]
       – ohne Öffentlichkeit.
       
       Ägypten ist nicht nur eine Diktatur mit einem brutalen, allmächtigen
       Militär, sondern auch Partei im Konflikt um den Nil zwischen zwei
       Schwergewichten Afrikas. Für Ägypten ist der Staudamm, den Äthiopien am
       Oberlauf des Blauen Nils gebaut hat, eine existenzielle Bedrohung seiner
       [3][Wasserversorgung – für Äthiopien] eine existenzielle Notwendigkeit
       seiner Energieversorgung.
       
       Aus Ägypten sind kriegerische Töne gegen Äthiopien laut geworden,
       [4][Äthiopien versinkt im Bürgerkrie]g und im zwischen beiden Ländern
       liegenden Sudan wehrt sich eine mutige Demokratiebewegung gegen einen von
       Ägypten gestützten Militärapparat. Und was macht Deutschland? Verkauft
       Fregatten und Luftverteidigungssysteme an Ägypten. Das afrikanische Land,
       das sich 2021 am meisten über Deutschland aufregte, war derweil Marokko.
       
       ## Deutsche Waffen für Algerien
       
       Es befindet sich an der Schwelle zum Krieg gegen Algerien, in den
       Merkel-Jahren ein weiterer Großabnehmer deutscher Rüstungsgüter. Von
       Algerien aus und mit Algeriens Segen kämpft die
       Westsahara-„Befreiungsarmee“ [5][Polisario], die 2020 den jahrzehntelangen
       Waffenstillstand mit Marokko aufkündigte. Marokko legte seine Beziehungen
       zu Deutschland auf Eis und ist heute ein militärischer Verbündeter Israels.
       
       All das ergibt eine aus deutscher Sicht originelle Konfliktkonstellation.
       Aber sieht dies in Deutschland jemand? Von Berlin aus ist Nordafrika nicht
       Afrika, sondern Naher Osten. Man nimmt Afrika nicht als Ganzes wahr, man
       sieht keine Machtverhältnisse, keine Geopolitik, möglichst keine Akteure
       mit Eigeninteressen. Man verharrt in Entwicklungspolitik und humanitärer
       Hilfe, einem Afrika als unpolitischer Empfänger von Gaben und
       Reformprojekten.
       
       Dass die zuständigen Ministerien jetzt allesamt die Partei wechseln – das
       Auswärtige Amt von der SPD zu den Grünen, das Bundesministerium für
       wirtschaftliche Zusammenarbeit von der CSU zur SPD –, dürfte daran wenig
       ändern. Die Apparate und Vereinbarungen bleiben. Immerhin enden jetzt
       Kuriositäten wie die Existenz eines persönlichen Afrikabeauftragten der
       Bundeskanzlerin, [6][Günter Nooke], mit Sitz im BMZ.
       
       ## Berlin betrachtet Nordafrika als Nahen Osten
       
       Ob Nookes Steckenpferde – etwa die Rehabilitation des deutschen
       Kolonialismus oder das Begehr, Kongos Energiequellen zum Export nach
       Deutschland statt zur Versorgung Afrikas zu nutzen – erhalten bleiben,
       dürfte einiges über das zukünftige Bild Deutschlands in Afrika aussagen.
       Mehr Sensibilität für Afrikas Wahrnehmung der eigenen Geschichte und für
       Afrikas Prioritäten bei der Verbesserung der eigenen Lebensumstände wären
       gute Fortschritte.
       
       Dies gilt auch in der Migrations- und Flüchtlingspolitik, für viele
       afrikanische Staaten der wichtigste Bereich politischer Interaktion mit
       Deutschland. Interessengeleitete Außenpolitik ist hier längst Realität.
       Legale Möglichkeiten zur Einreise aus Afrika nach Europa gibt es nur noch
       für eine schmale Elite. Die Ausgrenzung von Milliarden Menschen wird schon
       gar nicht mehr hinterfragt, ebenso wenig ein Afrikabild, in dem jeder
       Afrikaner ein potenzieller Flüchtling oder Migrant ist.
       
       Zuletzt sahen deutsche Minister keinen Widerspruch darin, in afrikanischen
       Ländern gleichzeitig „Fluchtursachen zu bekämpfen“ und um Pflegekräfte zu
       werben. Afrika hält in der Wahrnehmung des Globalen Nordens den Status
       eines Naturphänomens, dessen Ressourcen – und Menschen – man ausbeuten kann
       und dessen Gefahren – und Menschen – man sich zugleich vom Leibe halten
       muss.
       
       Erst ein solches Weltbild macht Ideen wie Energieexport aus Afrika nach
       Deutschland bei gleichzeitiger Abschottung der Grenzen überhaupt denkbar.
       Oder auch die Reaktion, als Südafrika Ende November als erstes Land der
       Welt die hochansteckende Omikron-Variante des Coronavirus identifizierte:
       Totale Einreiseverbote.
       
       ## Nur geschulte Menschen aus Afrika sollen kommen
       
       „[7][Das Virus aus Afrika ist bei uns]“, schlagzeilte die Rheinpfalz am
       Sonntag, während die spanische La Tribuna eine Karikatur von fröhlichen
       schwarzen Viren mit wulstigen roten Lippen in einem Flüchtlingsboot mit der
       Aufschrift „Omicron“ und der südafrikanischen Flagge druckte. Dass sich
       solche Haltungen ändern müssen, ist allen bewusst, die im realen Leben mit
       Menschen aus Afrika Kontakt halten.
       
       Auf einem Fachgespräch der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik
       (SWP) wenige Tage nach dem Regierungswechsel im Dezember war viel von der
       wachsenden Bedeutung Afrikas in der Welt und der zugleich schrumpfenden
       Bedeutung Europas für Afrika die Rede. Man müsse „mehr zuhören“, hieß es,
       und „mit Afrika, nicht über Afrika sprechen“.
       
       Aber während die Deutschen abstrakt über Demografie, Klimawandel und
       erneuerbare Energien sprachen, betonten zugeschaltete Teilnehmer aus
       afrikanischen Ländern konkrete Lebenserfahrung: Autoritarismus, Frustration
       mit gewählten Regierungen, Konfrontation zwischen religiösen und liberalen
       Werten. Noch wird mehr aneinander vorbeigeredet als miteinander.
       
       Europa, auch Deutschland, verliert gegenüber Afrika allmählich seinen
       kolonialen Habitus. Aber ob darauf postkoloniales Engagement folgt oder
       präkoloniale Ignoranz, ist noch offen.
       
       3 Jan 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Koalitionsvertrag/Koalitionsvertrag_2021-2025.pdf
 (DIR) [2] /Rekord-bei-Ruestungsausfuhren/!5820189
 (DIR) [3] /Trockenheit-in-Aethiopien/!5786642
 (DIR) [4] /Anti-Militaer-Proteste-in-Sudan/!5812580
 (DIR) [5] /Konflikt-um-die-Westsahara/!5764658
 (DIR) [6] /Deutsche-Afrikapolitik/!5575963
 (DIR) [7] https://www.rheinpfalz.de/politik_artikel,-die-rheinpfalz-im-shitstorm-_arid,5285134.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Dominic Johnson
       
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