# taz.de -- Konflikt zwischen Türkei und Kurden: Angriff zur Schneeschmelze
       
       > Türkeis Armee attackiert Stellungen der PKK im Nordirak. Das begründet
       > sie mit Selbstverteidigung, obwohl die PKK kaum mehr in der Türkei aktiv
       > ist.
       
 (IMG) Bild: Seit 1984 kämpfen PKK und Türkei gegeneinander, Zehntausende sind in dem Konflikt umgekommen
       
       ISTANBUL taz | Mit Luftangriffen, Kampfhubschraubern und Fallschirmjägern
       greift die türkische Armee seit Anfang der Woche Stellungen der kurdischen
       Partiya Karkerên Kurdistanê (PKK) im Nordirak an. Laut türkischer Armee
       sind bislang 26 PKK-Milizionäre getötet worden, auf türkischer Seite erlag
       ein Offizier seinen Verwundungen.
       
       Der grenzüberschreitende Militäreinsatz ist offenbar mit der kurdischen
       Autonomieregierung im Nordirak abgesprochen worden. [1][Am Freitag letzter
       Woche traf sich Masrur Barsani], Regierungschef der kurdischen
       Autonomiezone im Nordirak, in Istanbul mit dem türkischen Präsidenten
       Tayyip Erdogan. Die PKK gab bislang keine öffentliche Erklärung ab.
       
       Vor dem Einsatz ihrer Bodentruppen hatte die Luftwaffe in den
       nordirakischen Grenzprovinzen Zap, Avasin und Metina vermeintliche
       Stellungen der PKK bombardiert. Zusätzlich wurde von türkischer Seite der
       Grenze mit schwerer Artillerie in das Gebiet gefeuert. Dann übernahmen
       Kampfdrohnen und Hubschrauber den Luftraum und setzten Bodentruppen ab, die
       das Gebiet jetzt durchkämmen.
       
       Die türkische Regierung macht Selbstschutzgründe geltend. Angeblich habe es
       Erkenntnisse gegeben, dass die PKK sich mit der Schneeschmelze zu
       Frühlingsbeginn auf neue Angriffe auf türkisches Territorium vorbereitet
       hätte. Der türkische Verteidigungsminister Hulusi Akar sagte im TV, der
       Angriff sei ein voller Erfolg, die PKK werde aus der grenznahen Region
       zurückgedrängt. Immer im Frühjahr, wenn die Schneeschmelze in den Bergen
       entlang der türkisch-irakischen Grenze einsetzt, kam es in den letzten
       Jahren zu ähnlichen Einsätzen. Die türkische Regierung führt immer
       dieselben Argumente an, obwohl es schon seit Jahren keine größeren
       PKK-Anschläge innerhalb der Türkei mehr gegeben hat.
       
       ## Kurdische Autonomieregierung im Irak ist ein Gegner der PKK
       
       Wenn die Operation für die türkische Armee gut läuft, ist nicht
       auszuschließen, dass der Radius der Angriffe ausgeweitet wird. Aus der Luft
       hat die türkische Armee das Hauptquartier der PKK in den Kandil Bergen, gut
       100 Kilometer von der türkischen Grenze entfernt, schon mehrfach
       angegriffen. Die Gelegenheit für einen Krieg gegen die Kurden scheint
       günstig: Die Welt schaut auf die Ukraine, [2][Erdogan hat sich durch seine
       Vermittlung im Ukraine-Krieg] wieder ein besseres internationales Image
       erworben. Europa und die USA scheinen im Moment bereit, über den Angriff im
       Nordirak hinwegzusehen.
       
       Dazu kommt, dass die kurdisch-irakische Autonomieregierung unter Führung
       der [3][Barsani-Familie] mittlerweile offener Gegner der PKK ist: Zum einen
       braucht die kurdische Autonomieregierung ein gutes Verhältnis zur Türkei um
       wirtschaftlich überleben zu können – alle Wege aus dem Nordirak heraus
       führen über das Land. Zum anderen werden Anhänger der Barsani-Partei DPK in
       Nordsyrien, wo die von der PKK dominierte PYD das Sagen hat, verfolgt und
       unterdrückt. Schon länger will ein großer Teil der Kurden im Nordirak die
       PKK deshalb gerne loswerden. Um sich die Unterstützung von der Barsanis
       nicht zu verscherzen, hat die türkische Armee größtmögliche Vorsicht
       gegenüber unbeteiligten Zivilisten versprochen.
       
       Der irakische Staatspräsident Barham Saleh, selbst Kurde, verurteilte
       dagegen die türkische Offensive als „Verletzung der irakischen Souveränität
       und Bedrohung der nationalen Sicherheit“. Bagdad hat außerdem den
       türkischen Botschafter Ali Riza Guney einbestellt. Ihm sei eine
       „entschiedene Protestnote“ überreicht worden, mit der Aufforderung „die
       Provokationen und inakzeptablen Verstöße zu beenden“.
       
       Der türkische Geheimdienst MIT ist seit Jahren im Nordirak stark vertreten.
       Die Armee kennt deshalb die potentiellen Ziele im Nachbarland sehr gut.
       Seit immer mehr Kampfdrohnen eingesetzt werden, können kurdische
       Guerillakämpfer im bergigen Gelände leichter identifiziert und angegriffen
       werden. Das alles nährt die Illusion, man könne den Kampf gegen die PKK
       militärisch gewinnen, statt eine Verhandlungslösung mit der PKK
       anzustreben.
       
       20 Apr 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.dailysabah.com/politics/diplomacy/erdogan-receives-krgs-barzani-for-talks
 (DIR) [2] /Tuerkische-Diplomatie-im-Ukrainekrieg/!5842968
 (DIR) [3] https://de.qantara.de/inhalt/der-niedergang-kurdistans-iraks-leuchtturm-strahlt-nicht-mehr
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jürgen Gottschlich
       
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