# taz.de -- Theater-Regisseur Georg Genoux: Held seiner Biografie werden
       
       > Der Regisseur Georg Genoux hat eigene Formen für ein soziales
       > Erzähltheater entwickelt. Nun ist er Leiter des Thespis-Zentrums Bautzen
       > geworden.
       
 (IMG) Bild: Der Theatermacher Georg Genoux in Bautzen
       
       Sein Name klingt nach hugenottischen Einwanderern. Geboren wurde Georg
       Genoux 1976 in Hamburg, aber den größeren Teil seines Lebens für Theater
       und Film hat er in Moskau, Kiew und Sofia verbracht. Den Eindruck, seine
       Erscheinung habe auch etwas Russisches, bestätigt er verschmitzt lächelnd.
       Stattliche Gestalt, volles Gesicht, rötlicher Teint, eine wallende Mähne,
       so sieht er aus.
       
       Erst 2018 entdeckte der Theatermacher Ostdeutschland für seine Projekte,
       [1][konkret die sächsische Oberlausitz], und brachte dort die
       Lebensgeschichten Geflüchteter auf die Bühne.
       
       Zu Beginn dieses Jahres wollte er eigentlich für vier Jahre zurück nach
       Moskau ans Meyerhold-Zentrum gehen. Mit Kriegsausbruch aber bot ihm
       [2][Lutz Hillmann, Intendant des Deutsch-Sorbischen Volkstheaters
       Bautzen], die Leitung des interkulturellen soziotheatralen Thespis-Zentrums
       in Bautzen an.
       
       Seit Mai wird Georg Genoux nun auch von Medien und Kritikern besser
       wahrgenommen; für viele agierte er bisher anscheinend zu sehr in einer
       Nische. Die taz ausgenommen, die [3][Genoux 2015 in der Ukraine] und
       [4][2018 im Raum Zittau/Hagenwerder] ausführlich begleitete. Reporter
       Daniel Schulz wurde 2015 sogar Teil des Theaterprojekts. Nach jahrelangen
       Kämpfen um Unterstützung und geduldiger Werbung für seine Ideen fühlt sich
       Georg Genoux sowohl in Bautzen als auch in der [5][Institution Thespis
       angekommen], deren Zielsetzung der Kommunikation unter vielen Milieus er
       teilt.
       
       ## Stück verarbeitet Elemente des Puppentheaters
       
       Eines der ersten Stücke heißt „Wir schaffen das“ und natürlich spielt der
       Titel auf die legendäre Äußerung der damaligen Kanzlerin Angela Merkel zum
       Höhepunkt des Flüchtlingszustroms 2015 an. Wie kaum anders zu erwarten,
       reden auf der Bühne zwei Ukrainerinnen, eine deutsche Pädagogin und ein
       arabischer Flüchtling. Ein „geprobtes Gespräch mit Elementen des
       Puppentheaters“ nennt Genoux die Runde im Zimmertheaterformat.
       
       Ein mit einfachsten Mitteln inszenierter Austausch beim Kaffeetrinken, für
       das während unseres Treffens kurz vor der Premiere gerade Geschirr
       verschiedenster Herkunft probehalber in die Vitrine geräumt wird.
       
       Dieses authentische Theater, die Selbstheilung durch Selbstentäußerung, hat
       Genoux als seinen persönlichen Weg gefunden. Selbstverständlich schätze er
       hohe Schauspielkunst und klassische Dramatik. Aber seiner erkannten
       spezifischen Leidenschaft im Genre müsse er folgen. „Mich bewegt 24 Stunden
       am Tag das Interesse, mit Menschen über ihr Leben zu sprechen und wie sie
       es meistern“, bekennt er.
       
       In der szenischen Umsetzung entdeckten sie etwas für ihr Leben – aber auch
       die Zuschauer finden meist eigene Anknüpfungspunkte. In „Wir schaffen das“
       schwingt die Bewunderung mit für die Opfer des russischen Überfalls auf die
       Ukraine, die an ihrem Schicksal nicht zerbrochen seien. „Ich bin nicht mehr
       das Opfer meiner Geschichte, sondern ihr Held!“ – dieses Zitat eines an
       einem früheren Projekt beteiligten Schülers begleite jede seiner
       Konzeptionsproben.
       
       ## Ein gewisses Verständnis für Fremdenangst
       
       Wie man diese Arbeit bezeichnet, ist zweitrangig. Partizipatives oder
       interaktives Theater oder eben die „Bürgerbühne für alle Bürger dieser
       Erde“, wie er zum 2018 gegründeten Thespis-Zentrum Bautzen sagt. Eine
       Stadt, die Fremde nicht gerade mit offenen Armen empfing. Für Fremdenangst
       als menschlichen Grundzug entwickelt der empathiestrotzende Georg Genoux
       sogar ein gewisses Verständnis.
       
       Seinen Weg und seinen Stil hat er im Osten Europas, später auch im Osten
       Deutschlands gefunden. Die Prägung durch slawophile Großeltern mag dabei
       ebenso eine Rolle gespielt haben wie ein Fremdeln mit dem „von
       Markenschuhen geprägten Westen“. „Ich habe mich in Hamburg nie zu Hause
       gefühlt!“
       
       Schüleraustausch und Zivildienst in Moskau, mit Beginn der Putin-Ära 1999
       dort Regiestudium, Theatergründungen wie das „Joseph Beuys Theater“ in
       Russland und in der Ukraine sind Stationen seines Weges. 2018 die
       Entdeckung der Transformations- und Deformationsgesellschaft in der
       Lausitz, Annäherung an die schwierigen, aber herzlichen Sachsen, wie er
       meint.
       
       Jedenfalls empört es ihn, wenn ihn jemand wegen seiner Arbeit in
       „Dunkeldeutschland“ anflachst. Auch die 1989 geborene Steffi Seurich,
       bislang schon an Genoux-Projekten beteiligt und bald Mitarbeiterin von
       Thespis, findet, dass solche Klischees daran hindern, Ressentiments der
       Einwohner hier auf den Grund zu gehen. Die eher punkig aussehende junge
       Frau erteilt parallel zur Probe elementaren Deutschunterricht für
       Geflüchtete.
       
       ## Performance einer Regisseurin aus dem Donbass
       
       Genoux’ Einsatz in Bautzen für zunächst drei Jahre hatte einen Vorlauf, für
       den vor allem Intendant Lutz Hillmann sorgte. Unter anderem liefen schon im
       Januar drei Theaterfilme mit dem Titel „HeimaTraum“, an denen seine Frau
       Anastasia Tarkhanova maßgeblich mitbeteiligt war. Jetzt baute sie die
       Puppen für „Wir schaffen das“.
       
       Künftig wird eine Performance der erst 23-jährigen aus dem Donbass
       geflohenen Regisseurin Alina Kobernik Bestandteil der Aufführungen sein. Zu
       einer beeindruckenden Fotoausstellung ihrer neuen Lausitzer Heimat hatte
       sie vom Publikum symbolisch ein Netz ihrer Ängste und Depressionen
       zerschneiden lassen. Der Blick richtet sich jetzt schon voraus auf das im
       Herbst geplante dritte Eine-Welt-Festival „Willkommen anderswo“ in Bautzen.
       
       25 Jul 2022
       
       ## LINKS
       
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 (DIR) Michael Bartsch
       
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