# taz.de -- Recherche zum Erlanger Doppelmord: Beschwiegene Mörder
       
       > Der Historiker Uffa Jensen rekonstruiert die Morde der rechtsextremen
       > Wehrsportgruppe Hoffmann. Sie zeigt, wie Rechtsterrorismus verharmlost
       > wird.
       
 (IMG) Bild: In Zinksärgen werden am 20. 12. 1980 die Mordopfer Levin und Poesche vom Tatort abtransportiert
       
       [1][Im Archiv des ARD-Magazins „Panaroma“ gibt es ein hochinteressantes
       Zeitdokument aus dem Jahr 1974]. Es spielt auf dem Land in Oberfranken.
       
       Ausführlich zu Wort kommt dabei nicht nur eine Handvoll blutjunger
       paramilitärischer Rekruten. Sie gewähren Einblicke in ihre politische und
       persönliche Motivation, sich freiwillig und lustvoll dem eigenen Drill
       sowie der Vorbereitung auf den kommenden Tag hinzugeben. Auch ihrem
       Anführer, Karl-Heinz Hoffmann, wird viel Raum gegeben zur
       Selbstinszenierung als schlagfertiger Faschist.
       
       In seinem Büro auf Schloss Ermreuth hält Hoffmann „statt des Schäferhundes
       einen Puma“, kommentiert die Erzählstimme in einer Mischung aus kritischer
       Ironie und Staunen über diese exzentrische Vorliebe. Hoffmann erklärt
       selbstzufrieden: „Es wäre doch ganz einfach töricht zu leugnen, dass Adolf
       Hitler genial war und dass er zweifellos sehr viele Dinge hier gemacht hat,
       wo wir heute langsam wieder drauf kommen, sie wieder zu tun.“
       
       Die Sendung gibt auch eine Ahnung davon, wie leicht man an der medialen
       Inszenierung von rechtsextremen Rittergutbesitzern mitstricken kann.
       
       ## Wehrsportgruppe Hoffmann
       
       Anfang 1980 wurde die „Wehrsportgruppe Hoffmann“ (WSG) wegen ihrer
       Verfassungsfeindlichkeit bundesweit verboten. Doch noch immer galten ihre
       Mitglieder vielerorts als skurrile, aber harmlose Spinner. Der bayerische
       Ministerpräsident und Kanzlerkandidat Franz-Josef Strauss meinte: „Mein
       Gott, wenn jemand Spaß daran hat, am Sonntag mit einem Rucksack und im
       Kampfanzug mit Koppelschloss durchs Gelände zu spazieren, soll man ihn in
       Ruhe lassen.“
       
       Noch im selben Jahr verübte ein mit der WSG verbundener Rechtsextremer das
       Oktoberfestattentat in München; [2][in Erlangen begang ein führendes
       WSG-Mitglied einen antisemitischen Doppelmord.]
       
       Shlomo Lewin und seine nicht-jüdische Ehefrau Frida Poeschke wurden am 19.
       Dezember 1980 in ihrem Wohnhaus erschossen. 1911 in Jerusalem geboren,
       wuchs Lewin in Posen und in Breslau auf. 1935 floh er zunächst nach
       Frankreich und später nach Palästina.
       
       ## Shlomo Lewin und Frida Poeschke
       
       Mitte der 1950er immigrierte Lewin nach Deutschland, wo er einen jüdischen
       Verlag betrieb und sich als Vorsitzender der jüdischen Gemeinde Nürnberg
       sowie der dortigen Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit
       engagierte. Gegen Antisemitismus, Holocaustleugnung, aber auch direkt gegen
       die WSG nahm Lewin öffentlich und sichtbar Stellung.
       
       Der Mord an Lewin und Poeschke ist ein zentrales Ereignis in der Geschichte
       des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik – heute aber dennoch nahezu
       vergessen. Jahrelang wurde die rechte Gewalt „aggressiv und […] konsequent
       beschwiegen und verdrängt“, schreibt der Historiker Uffa Jensen hierzu in
       seinem neuen Buch.
       
       Vielmehr noch: In Politik, Medien, Kultur sowie in persönlichen
       Erinnerungen sei sie bis heute weitgehend vom Linksterrorismus überlagert.
       Jenen Teil der Geschichte bekannter zu machen, ist ein politisches
       Kernanliegen von Jensens lesenswerter, vielschichtiger Studie.
       
       „Ein antisemitischer Doppelmord“ bewegt sich hin und her zwischen
       verschiedenen inhaltlichen Strängen: So rekonstruiert Jensen akribisch und
       quellenkritisch die Erlanger Mordtat, ihre antisemitischen Motive, das sie
       mit ermöglichende Netzwerk sowie den Gerichtsprozess gegen WSG-Mitglieder
       wegen verschiedener Anklagepunkte.
       
       Daneben liefert Jensen eine fast lexikonartige Beschreibung der
       rechtsextremen Szene in der Bundesrepublik und dem behördlichen Umgang mit
       ihr bis 1980. Dem Lesefluss sind die mitunter weit ausholenden
       Kontextualisierungen leider nicht immer zuträglich.
       
       ## Antisemitischer Charakter
       
       Den Umgang mit dem Rechtsterrorismus durch Politik, Justiz,
       Sicherheitsbehörden und Lokalmedien thematisiert Jensen ebenfalls. In Bezug
       auf den Mord an Lewin und Poeschke arbeitet er heraus, wie wenig es ihnen
       gelang, dessen antisemitischen Charakter in den Blick zu bekommen.
       
       So wurde zunächst vor allem im persönlichen Umfeld der Opfer ermittelt,
       Lewin als zwielichtiger Charakter dargestellt und sogar das Gerücht über
       eine Agententätigkeit für den israelischen Auslandsgeheimdienst Mossad
       verbreitet. Immer wieder verstärkten sich einmal in die Welt gesetzte
       Narrative gegenseitig.
       
       Nach ihrem Verbot Anfang 1980 war die WSG in einem militärischen
       Ausbildungslager der Palästinensischen Befreiungsorganisation (PLO)
       untergekommen. Das interessierte, aber auch spannungsreiche Verhältnis
       zwischen den deutschen Rechtsextremen und den radikalen Palästinensern
       beschreibt Jensen sehr differenziert.
       
       ## Wehrsportgruppe im Libanon
       
       Im Libanon zerfleischten sich die WSG-Mitglieder letztlich selbst: Man
       tritt auf der Stelle, und neben einer starken gruppeninternen Hierachie und
       gnadenlosem Drill herrschte eine brutale Folterlust gegenüber Sündenböcken
       und Abtrünnigen aus den eigenen Reihen.
       
       Hoffmann selbst lebte privilegiert in einer palastähnlichen Unterkunft in
       Beirut und pendelte immer wieder zum Schloss Ermreuth. Im Juni 1981 gefasst
       am Frankfurter Flughafen, wurde Hoffmann schließlich 1986, nach einem
       langen und spät eröffneten Prozess, wegen verschiedener Delikte zu einer
       mehrjährigen Freiheitsstrafe verurteilt.
       
       Im Erlanger Doppelmord aber hatte die Justiz das WSG-Mitglied Uwe Behrendt
       als Täter identifiziert. Er war von Hoffmann selbst als unabhängig von ihm
       agierender Einzeltäter belastet worden, hatte aber bereits im September
       1981 im Libanon Selbstmord begangen.
       
       Antisemitismus als Tatmotiv spielte im abschließenden Gerichtsurteil
       absurderweise keine Rolle; auch nicht die WSG als Netzwerk mit Hoffmann als
       ihrem unangefochtenen Anführer, der nachweislich zusammen mit Behrendt kurz
       vor der Tat ein Modell der Tatwaffe einsatzfähig machte, einen
       Schalldämpfer baute und diesen sogar im eigenen Keller testete.
       
       ## Nicht Mittäter, nur Mitwisser?
       
       Vor Gericht gab Hoffmann zu, Behrendt „zwar nach der Tat gedeckt“, ihn aber
       „nicht angestiftet“ zu haben. Hoffmann selbst sei daher nicht Mittäter,
       sondern bloß nachträglicher Mitwisser einer von Behrendt autonom
       ausgeführten Tat.
       
       Seine Zweifel an dieser bisher gültigen Version des Erlanger Doppelmords
       begründet Jensen zum Teil auch mit dem Gericht damals nicht bekannten
       Erkenntnissen. Die Dekonstruktion der fatalen Engführung der Tat auf den
       Typus des unpolitischen Einzeltäters in Justiz, Politik und Medien ist ein
       weiterer Strang in seiner wichtigen Studie; eine Engführung, die, wie
       Jensen betont, an den Umgang mit späteren rechtsterroristischen Taten
       erinnert.
       
       2 Oct 2022
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] https://www.ardmediathek.de/video/panorama/die-wehrsportgruppe-hoffmann/das-erste/Y3JpZDovL25kci5kZS8zMGRiMTAxNy1hNTZhLTRkZmMtOTQ2YS1lNzA0M2ExMWY0NjQ
 (DIR) [2] /Behoerden-und-Nazimorde/!5797858
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Till Schmidt
       
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