# taz.de -- Polen und Deutschland: Streitfrage Reparationen
       
       > Beide Seiten haben gute Gründe für ihre jeweiligen Argumente. Die
       > Herausforderung ist groß – aber es geht um grundlegende Versöhnung.
       
 (IMG) Bild: Baerbock besuchte während ihres Aufenthalts auch den Friedhof für die Aufständischen Warschaus
       
       Wissen Sie, wo sich das riesige „Sächsische Palais“ befand? Es stand im
       Herzen Warschaus. Der Barockpalast wurde einst vom polnischen König und
       sächsischen Kurfürsten August II. gekauft. 1944 sprengten ihn deutsche
       Soldaten in die Luft.
       
       Die PiS-Regierung, die für ihre antideutsche Rhetorik bekannt ist, macht
       sich nun daran, das Palais wieder aufzubauen – gleichzeitig befinden sich
       aber die deutsch-polnischen Beziehungen in ihrer größten Krise seit Jahren.
       [1][Die PiS fordert von Deutschland umgerechnet 1,3 Billionen Euro an
       Kriegsreparationen].
       
       Warum diese kolossalen Zahlen? Nach 1939 wollte das nationalsozialistische
       Deutschland nicht nur Polen übernehmen, sondern das Land auch vollständig
       zerstören, was großenteils auch gelang. Nach dem Krieg erhielt der
       polnische Staat nie eine nennenswerte finanzielle Entschädigung für die
       Zerstörung.
       
       Das lag zum Teil daran, dass Polen aufgrund der politischen Situation keine
       solchen Reparationen verlangen konnte. Moskau, das die wichtigsten
       Entscheidungen Polens nach dem Krieg kontrollierte, verlangte zunächst die
       Ablehnung des Marshallplans und dann – 1953 – [2][auch den Verzicht auf
       Reparationen von Deutschland], im Gegenzug für die Übernahme der ehemaligen
       deutschen Ostgebiete durch Warschau. Die Entscheidung, die polnischen
       Grenzen von Osten nach Westen zu verlegen, wurde jedoch in Jalta ohne
       polnische Beteiligung getroffen.
       
       Heute haben die deutsche und die polnische Seite ihre jeweils eigene
       Rechtfertigung für ihr Handeln: Die polnische Seite argumentiert, dass die
       beiden Länder nie einen Friedensvertrag geschlossen und die Folgen des
       Krieges nicht bilateral geklärt haben und dass der Verzicht von 1953 von
       der Sowjetunion diktiert wurde. Die deutsche Seite argumentiert, dass
       bisher keine demokratische polnische Regierung nach 1989 dieses Thema
       angesprochen habe und dass Deutschland die Reparationsfrage als
       abgeschlossen betrachtet.
       
       ## Negative Stereotype
       
       Wie könnte die ganze Angelegenheit enden? Ist der Vorschlag der
       rechtsnationalen PiS-Regierung nur das Ergebnis populistischer Rhetorik und
       wird er schnell wieder vergessen sein? Nicht unbedingt. Erstens sind die
       gegenseitigen negativen Stereotype in beiden Gesellschaften weiterhin groß.
       Polen und Deutsche haben einen sehr erfolgreichen Versöhnungsprozess auf
       der politischen Ebene hinter sich, aber das hat sich nicht in ein
       gegenseitiges Verstehen beider Gesellschaften niedergeschlagen.
       
       Zweitens hat die Unentschlossenheit der Bundesregierung in den vergangenen
       Monaten in der Ukraine-Frage die moralische Autorität Deutschlands für
       viele Gesellschaften in der osteuropäischen Region, einschließlich Polens,
       untergraben. Das macht es viel leichter, die aktuellen finanziellen
       Forderungen zu akzeptieren – und so ist es auch zu erklären, dass der
       Reparationsvorschlag von der polnischen Mitte-links-Opposition nicht
       abgelehnt wird.
       
       Drittens finden in Polen bald Wahlen statt, und so wird das Verhältnis
       zwischen Polen und Deutschen, mit der moralischen Verantwortung der
       Letzteren für den Krieg und der scheinbaren Leichtigkeit, diese moralische
       Verantwortung in finanzielle Verpflichtungen umzuwandeln, in den kommenden
       Monaten für weitere Spannungen zwischen Deutschland und Polen sorgen.
       
       Beide Länder stehen also vor ernsten Herausforderungen. Es geht um
       Versöhnung – aber dieses Mal eben auch auf der gesellschaftlichen Ebene.
       Wir hoffen, dass die derzeitige Situation zu einem Neubeginn führen wird.
       Schließlich haben die beiden Länder nicht nur eine sehr schöne gemeinsame
       Geschichte, sondern sie könnten auch so viel gemeinsam politisch bewegen.
       
       30 Oct 2022
       
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