# taz.de -- Lage der FDP vor der Berlinwahl: Voll von der Rolle
       
       > Der FDP steht ein schwieriges Jahr bevor: Geht die Pleitenserie bei den
       > kommenden Landtagswahlen weiter oder definiert sie ihre Rolle neu?
       
 (IMG) Bild: Ein echter Baselitz: Sebastian Czaja, Spitzenkandidat der FDP, kopfüber in Berlin
       
       BERLIN taz | Ende Januar postet der FDP-Spitzenkandidat Sebastian Czaja ein
       Bild auf Twitter. Zu sehen ist, wie er auf der Berliner Friedrichstraße
       neben einer Absperrung steht und ein Plakat mit der Aufschrift
       #freedrichstraße hält. Am 12. Februar wird die Berliner Landtagswahl
       wiederholt, [1][Czaja ist im Wahlkampfmodus]. „Das Auto aus der Innenstadt
       zu verbannen, darf nicht das Ziel sein“, findet er.
       
       Im Detail geht es um eine länger anhaltende Großstadtposse, ob ein Teil der
       innerstädtischen Einkaufstraße eine Flaniermeile werden soll, eine
       autofreie Zone. Die grüne Mobilitätssenatorin hat es trotz Widerständen
       durchgedrückt, Sebastian Czaja ist zum Freiheitskämpfer mutiert. Die
       Freiheit des Einzelnen endet da, wo die Freiheit des Autos beginnt.
       
       Und an diesem Punkt spiegelt sich im Landespolitischen auch die
       Konfliktlinie, die auch im Bund zwischen Grünen und FDP zu beobachten ist.
       Die FDP will, dass der Autobahnausbau genauso beschleunigt werden soll wie
       der Ausbau von erneuerbaren Energien. Die Grünen sind dagegen.
       
       In Berlin war die FDP zuletzt 1989 in Regierungsverantwortung. Aktuell
       bewegt sie sich in den Umfragen um die 6 Prozent. Es ist also theoretisch
       alles möglich: Dass die Liberalen aus dem Landesparlament fliegen, dass sie
       auf der Oppositionsbank bleiben oder auf der Regierungsbank landen. Viele
       FDPler*innen macht das nervös. Nicht, weil diese Landeswahl besonders
       wichtig wäre. Sondern schlicht, weil das vergangene Jahr ein Desaster in
       Serie war. Zweimal verpassten sie den Einzug in die Landesparlamente,
       zweimal verloren sie ihre Regierungsbeteiligung. Auch die Umfragewerte im
       Bund sind mittelprächtig.
       
       ## Will eigene Schwerpunkte setzen
       
       Die FDP leidet, mehr als die anderen Parteien SPD und Grüne, unter der
       Ampel. Nach der [2][letzten verlorenen Landtagswahl in Niedersachsen] sagte
       Christian Lindner: „Manche glauben, wir seien jetzt auch eine linke
       Partei.“ Der FDP-Chef kündigte dann an, die „Positionslichter anzuwerfen“.
       Ob das mehr Krawall oder Kooperation bedeutet? Oder beides?
       
       „Natürlich gibt es einen gewissen Druck, dass diese Wahl gut für uns
       ausgeht“, sagt [3][Ria Schröder, Abgeordnete aus Hamburg.] Dennoch sei sie
       zuversichtlich, dass die Berliner FDP mit einem ähnlichen Ergebnis wie beim
       letzten Mal in den Landtag einziehen kann. „Mit dem Schwerpunktthema
       Verwaltungsreform haben wir ein Alleinstellungsmerkmal, das viele Menschen
       in Berlin zu Recht bewegt“, sagt sie.
       
       Für Ria Schröder ist klar: „In diesem Jahr gilt: Wir müssen ins Gestalten
       kommen.“ Punkten soll die Partei mit eigenen Schwerpunkten, etwa der
       Umsetzung der Aktienrente, neuen Freihandelsabkommen, Bildungspolitik,
       Bürokratieabbau und einem modernen Einwanderungsrecht – inklusive
       Abschiebeoffensive. Als Blinken nach rechts will Schröder Letzteres nicht
       verstanden wissen. „Es geht doch um die Umsetzung von geltendem Recht.“
       
       Dann wäre da noch die Fortsetzung des Atomstreits. „Wir brauchen angesichts
       des Krieges neue Brennstäbe und einen Weiterbetrieb der drei AKWs über das
       Frühjahr hinaus“, sagt sie. Das sei gegenüber der Kohleverstromung, „die
       klimafreundlichere Variante“. Eigentlich wurde die AKW-Debatte [4][mit
       einem Machtwort des Kanzlers für beendet erklär]t.
       
       Aber ganz ohne Provokation geht es für die FDP nicht. Der Unmut in der
       Partei wächst ja auch. Im September 2021 distanzierte sich der Kreisverband
       Stralsund in Mecklenburg-Vorpommern von der Ampelregierung und forderte
       eine bessere Wirtschaftspolitik. Der bayerische Landesverband wünschte sich
       Anfang des Jahres in einem Schreiben „FDP pur“. In Bayern stehen im Oktober
       Wahlen an.
       
       „Unser Auftrag in der Ampel-Koalition ist es, Richtiges voranzubringen und
       Falsches zu verhindern. Das geht nicht, ohne auch mal anzuecken“, heißt es
       im Papier. Die FDP müsse „in der Bundesregierung als gestaltende Kraft des
       Fortschritts und als bürgerlich-liberales Korrektiv“ erkennbar sein. Die
       bayrischen Liberalen und wünschen sich einen stärkeren Fokus auf Finanz-
       und Steuersenkungspolitik.
       
       ## „Fremdeln“ mit der Ampel
       
       Lindner muss als Bundesfinanzminister gegenüber seiner Wählerschaft
       [5][eine Rekordverschuldung] erklären. In diesem Bereich kann man der FDP
       innerhalb der Ampel nicht mangelnde Flexibilität vorwerfen. Die Partei
       trägt eine Gaspreisbremse und eine Strompreisbremse mit, ebenso
       milliardenschwere Hilfspakete. Auch wenn Lindner die Schuldenbremse
       rhetorisch hochhält, in der Wählerschaft wird so viel Etatismus skeptisch
       beäugt.
       
       Die Anhänger*innen der FDP „fremdeln“ mit der Ampel, sagt der
       Politikwissenschaftler Thorsten Faas von der Freien Universität Berlin. Das
       zeige sich auch in Rheinland-Pfalz, wo seit 2016 eine Ampel regiert. Für
       viele stünden SPD und Grüne eben doch „auf der anderen Seite“. Faas
       beschreibt das FDP-Dilemma so: „Sie muss klarmachen, dass die Partei zu
       dieser Koalition steht, aber zugleich auch Eigenständigkeit unterstreichen,
       was zu Streit in der Koalition führt, was Wähler:innen nicht goutieren.“
       
       Wer sich mit den Forderungen der Partei befasst, findet gerade beim
       Megathema Klimaschutz eine Menge Positionen, die vor allem den Grünen
       Schmerzen bereiten. Schnellerer Autobahnausbau, Fracking in Deutschland,
       mehr Atomkraft. Im Podcast „Die Lage der Nation“ wurde bereits gemutmaßt,
       es handele sich um eine bewusste Strategie der Liberalen, die asymmetrische
       Demobilisierung. Man vertrete bestimmte Positionen nur, um die Grünen zu
       schwächen.
       
       Der klimapolitische Sprecher der FDP-Fraktion im Bundestag, Olaf in der
       Beek, weist das zurück. Das sei „nicht korrekt“. „Wir Liberale machen keine
       inhaltlichen Punkte wieder auf, die bereits im Koalitionsvertrag geeint
       sind und tragen diese in die mediale Debatte“ sagt er. Man arbeite „jeden
       Tag daran, unser Land zukunftsfähig aufzustellen.“
       
       Olaf in der Beek plädiert für mehr Vertrauen in der Koalition. Auch er
       spricht sich für neue Brennstäbe und einen Weiterbetrieb der AKWs aus, er
       betont aber: „Wir müssen so schnell wie möglich aus der Atomkraft
       aussteigen. Wir haben nach wie vor ein Endlagerproblem.“ Es gebe bei den
       Grünen eine „tief sitzende Angst, dass die FDP den Ausstieg aus der
       Atomkraft unbegrenzt weiterführen will. Das ist aber nicht so.“
       
       ## Czaja will Verwaltung vereinfachen
       
       Das Wichtigste sei, die Planungsverfahren zu beschleunigen, um den Ausbau
       der erneuerbaren Energien voranzutreiben. Aber zum Klimaschutz gehöre auch
       ein beschleunigter Ausbau der Straße. „Millionen bleiben auf das Auto
       angewiesen“, argumentiert in der Beek. Man müsse deshalb „intelligente
       Verkehrsführung und klimaneutrale Antriebe“ vorantreiben.
       
       Die FDP will im konservativen Spektrum punkten. Für sie bleibt die Union
       die größte Konkurrenz. Bei der Niedersachsenwahl verlor sie sogar die
       meisten Stimmen an die AfD. Der Politikwissenschaftler Faas verweist auf
       die geringe Stammwählerschaft der Freien Demokraten. „Ihr Abschneiden ist
       stärker von situativen Faktoren abhängig als das bei anderen Parteien der
       Fall ist.“
       
       Das mag auch an einem blassen Profil liegen. Während die SPD mit Sozialem
       verbunden wird und die Grünen mit Klimaschutz, fällt einem bei der FDP
       jenseits von Steuersenkungen wenig ein. Die Partei selbst schreibt sich
       Wirtschaftskompetenz zu. Aber [6][in Umfragen wird in diesem Bereich der
       Union am meisten zugetraut, danach der SPD.] Nur beim [7][Thema
       Digitalisierung kann die FDP punkten]. Doch auch diese Zustimmungswerte
       sinken, seitdem Digital- und Verkehrsminister Volker Wissing in der
       Regierung ist.
       
       In der Gesellschaftspolitik gibt es große Schnittmengen mit SPD und Grünen:
       Etwa die Abschaffung des Paragrafen 219a oder eine erleichterte
       Einwanderung. „Die Erzählung dieser Koalition war ja,
       eine,Fortschrittskoalition' zu sein – genau mit Blick auf diese Themen“,
       sagt Faas. Der russische Angriffskrieg habe „diese Strategie mindestens
       sehr erschwert“. Richtig sei aber auch „dass – trotz Übereinstimmung im
       Mittel – gerade die Wählerschaft der FDP im Osten nicht ganz so eindeutig
       hinter diesen fortschrittlichen Positionen steht.“
       
       Die Diskrepanz zwischen der politischen Position und der eigenen
       Wählerschaft zeigt sich aber auch Thema Waffenlieferungen. So ist die
       verteidigungspolitische Sprecherin der FDP-Fraktion, Marie-Agnes
       Strack-Zimmermann, mit ihren Forderungen nach Waffenlieferungen sehr
       präsent. Gleichzeitig gibt es in der Wählerschaft der FDP im Vergleich zu
       SPD und Grünen einen größeren Wunsch nach militärischer Zurückhaltung. So
       befürworteten [8][im ZDF-Barometer nur 55 Prozent der FDP-Anhänger*innen
       die Lieferung von Leopard-Panzern], bei der SPD waren es 61, bei den Grünen
       75 Prozent.
       
       Immerhin hat sich der Spitzenkandidat Sebastian Czaja ein nicht so
       kontroverses Thema zum Schwerpunkt gemacht. Er will vor allem die
       Verwaltung in Berlin vereinfachen und hofft auf ein Bündnis mit CDU und
       SPD.
       
       8 Feb 2023
       
       ## LINKS
       
 (DIR) [1] /FDP-Spitzenkandidat-ueber-Koalitionen/!5906876
 (DIR) [2] /Die-Ampel-nach-der-Niedersachsen-Wahl/!5883754
 (DIR) [3] /Sozialpolitik-der-FDP/!5833772
 (DIR) [4] /Scholz-AKW-Entscheidung/!5889227
 (DIR) [5] /Rolle-der-FDP-in-Ampelkoalition/!5846612
 (DIR) [6] https://de.statista.com/statistik/daten/studie/605038/umfrage/beurteilung-der-parteikompetenzen-in-berlin-zum-thema-wirtschaft/
 (DIR) [7] https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/digitalreport-deutsche-trauen-keiner-partei-mehr-die-digitalisierung-zu/28942782.html
 (DIR) [8] https://www.zdf.de/nachrichten/politik/politbarometer-leopard-panzer-lieferung-ukraine-krieg-russland-100.html
       
       ## AUTOREN
       
 (DIR) Jasmin Kalarickal
       
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