# taz.de -- Reichsbürger in Deutschland: Bewaffnet und unberechenbar
       
       > Die Schüsse eines Reichsbürgers zeigen: Die Szene besitzt Waffen – obwohl
       > es längst anders sein sollte. Ein Verfassungsschützer sieht Probleme.
       
 (IMG) Bild: Fordert eine Verschärfung des Waffenrechts: Baden-Würtembergs Innenminister Thomas Strobl
       
       BERLIN taz | Im Schützenverein von Markus L. gibt man sich zugeknöpft. „Wir
       möchten dazu momentan gar nichts sagen“, erklärt die Vorständin am Telefon
       und verabschiedet sich höflich. Das langjährige Vereinsmitglied steht
       gerade bundesweit im Fokus – seit es am Mittwoch während einer Razzia gegen
       Reichsbürger:innen [1][in Reutlingen auf SEK-Kräfte schoss] und einen
       Beamten am Arm traf.
       
       Im Schützenverein wurde der frühere EDV-Verkäufer als „Oberschießleiter
       Pistole“ oder Sieger im „Jägerschießen“ geführt. Äußern aber will sich
       niemand. Und auch von der Stadt Reutlingen und ihrer Waffenbehörde erfährt
       man nur, dass der 46-Jährige nicht als Reichsbürger bekannt gewesen sei.
       Alles Weitere müsse die Bundesanwaltschaft mitteilen.
       
       Die Razzia am Mittwoch hatte die Bundesanwaltschaft veranlasst, im Zuge
       einer zweiten Durchsuchungswelle nach den großen Razzien [2][gegen
       terrorverdächtige Reichsbürger] im Dezember. Markus L. war dabei gar kein
       Beschuldigter, sondern nur Zeuge. Klar war aber: Er besaß als Sportschütze
       legal etliche Schusswaffen – 22 Stück. Deshalb rückte auch das SEK mit an.
       Nach dem Schusswechsel im Wohnzimmer lautet der Vorwurf versuchter Mord,
       Markus L. sitzt in Haft. Wie kann es sein, dass ein Reichsbürger aus dem
       Umfeld einer mutmaßlichen Terrorzelle [3][weiter derart bewaffnet ist]?
       
       Die Sicherheitsbehörden hatten Markus L. lange nicht auf dem Schirm. Erst
       nachdem sie im Dezember 25 Reichsbürger:innen unter Terrorverdacht
       festnahmen, stießen sie auf den Reutlinger. L. war in einschlägigen
       Chatgruppen aktiv, auch am Coronaprotest soll er sich beteiligt haben. 2017
       spendete er 10 Euro an die AfD, wie die Partei bestätigt. Später soll er
       Kontakt zu der terrorverdächtigen Verschwörergruppe gehabt haben. Von der
       Durchsuchung, die am Freitag andauerte, erhoffen sich die
       Ermittler:innen darüber weitere Erkenntnisse.
       
       ## Auch ein aktiver Soldat unter den Durchsuchten
       
       Die Schüsse von Reutlingen widerlegen diejenigen, [4][welche die
       terrorverdächtigen Reichsbürger:innen] als verspinnerte „Rentnerkombo“
       abtaten. Sie wecken Erinnerungen an Georgensmünd, wo [5][2016 ein
       Reichsbürger einen Polizisten erschoss,] als die Beamten seine Waffen
       einziehen wollten. Auch im vergangenen Jahr feuerte ein Reichsbürger in
       Boxberg in Baden-Württemberg auf Beamte, als diese ihn kontrollieren
       wollten, und verletzte zwei. Erst an diesem Freitag wurde ein Reichsbürger
       wegen versuchten Mordes vom Oberlandesgericht Stuttgart zu zehn Jahren Haft
       verurteilt. Der 62-Jährigen hatte vor gut einem Jahr im Kreis Lörrach einen
       Polizisten bei einer Kontrolle mit seinem Auto angefahren und schwer
       verletzt.
       
       Schon im Dezember waren unter den Durchsuchten sechs aktive oder frühere
       Polizist:innen und ein aktueller Soldat sowie mehrere frühere
       Bundeswehrangehörige. Auch unter den nun Durchsuchten sind nach
       taz-Informationen mindestens ein aktiver Soldat, ein Polizist und ein
       pensionierter Polizeibeamter. Auch Markus L. soll zumindest für seinen
       Grundwehrdienst bei der Bundeswehr gewesen sein. Was eine zweite Frage
       aufwirft: Wie groß ist das Reichsbürgerproblem in den Sicherheitsbehörden?
       
       Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) warnte nach Reutlingen, wie
       „brandgefährlich“ die Reichsbürger:innen seien. 23.000 Personen rechnet
       der Verfassungsschutz der Szene bundesweit zu – zuletzt mit einem Anstieg
       um 2.000 Personen, auch weil die Coronaproteste ihr Auftrieb gab. 2.300 von
       ihnen gelten als gewaltorientiert.
       
       Nach Georgensmünd hatte der Verfassungsschutz die Szene erstmals
       systematisch unter Beobachtung gestellt, Innenminister kündigten an, sie zu
       entwaffnen. Helfen sollte dabei auch eine Verschärfung des Waffenrechts:
       Fortan sollten Waffenbehörden Regelabfragen beim Verfassungsschutz machen,
       um Extremist:innen unter den Waffenbesitzenden aufzuspüren.
       
       Seitdem wurden laut dem Bundesinnenministerium bei rund 1.100
       Reichsbürger:innen waffenrechtliche Erlaubnisse entzogen. Dennoch sind
       den Behörden bis heute etwa 400 bekannt, die legal Waffen besitzen.
       
       In Baden-Württemberg, das mit 3.800 Reichsbürger:innen zu den
       Hochburgen zählt und einen strengen Kurs gegen die Szene vorgibt, besaßen
       zuletzt noch 11 entsprechende Personen Waffenerlaubnisse – 216 wurden in
       den vergangenen Jahren entzogen. Aber auch bei der Razzia im Dezember
       fanden die Ermittler 97 Schusswaffen und 25.462 Schuss Munition – auch hier
       war es bei 9 Beschuldigten legaler Besitz.
       
       Thüringens Verfassungsschutzchef Stephan Kramer räumt Probleme ein. „Die
       Entwaffnung der Reichsbürgerszene ist und bleibt erklärtes Ziel“, sagte er
       der taz. „Wir unterstützen die Waffenbehörden dafür mit unseren
       Erkenntnissen, soweit es irgend möglich ist.“ Anders als oft behauptet,
       gebe es auch keine rechtlichen Hürden beim Austausch zwischen den Behörden.
       
       Das Problem sei lange Zeit eher ein technisches gewesen, so Kramer: Dem
       Bund sei es nicht gelungen, die Daten des Nationalen Waffenregisters mit
       denen der Verfassungsschutzämter zu verknüpfen. Bis heute würden allerdings
       auch „viel zu viele“ die Reichsbürger:innen als bloße Spinner:innen
       abtun, klagt Kramer. Und wo nicht, scheitere man wiederholt vor Gericht,
       weil verfassungswidrige Aktivitäten laut Gesetz nur „in der Regel“ zu
       Waffenentzügen führten – nicht automatisch. „Diese rechtlichen Spielräume
       schaffen uns immer wieder große Probleme“, so Kramer.
       
       ## Faeser fordert verschärftes Waffenrecht
       
       Faeser fordert eine Verschärfung des Waffenrechts, wie schon nach den
       Razzien im Dezember. Auch Baden-Württembergs CDU-Innenminister Thomas
       Strobl fordert „schleunigst“ eine Verschärfung und verweist auf einen
       entsprechenden Beschluss der Innenministerkonferenz. Das Waffenarsenal von
       Markus L. nennt er „pervers“. Doch die FDP und Justizminister Marco
       Buschmann (FDP) halten dagegen, sehen nur ein Vollzugsproblem.
       
       Der Druck wächst, die Aktivitäten von Sicherheitsbediensteten in der
       Reichsbürgerszene nochmals auszuleuchten. Die Reichsbürgergruppe hatte
       eigens einen militärischen Arm gegründet, wollte bundesweit
       „Heimatschutzkompanien“ aufbauen – maßgeblich organisiert von früheren
       Bundeswehr- und Polizeiangehörigen. Zuletzt hatte der Verfassungsschutz in
       einem Lagebild 327 Verfassungsfeinde in den Sicherheitsbehörden
       festgestellt, 48 von ihnen Reichsbürger:innen.
       
       Zu den am Mittwoch Durchsuchten gehört auch Ralph Niemeyer, der frühere
       Ehemann von Sahra Wagenknecht. Zuletzt kandidierte der Münchner für die
       Querdenker-Partei „Die Basis“, gab sich als Russlandfreund – und trat als
       Vertreter einer deutschen „Exilregierung“ auf. Die Bundesanwaltschaft
       bestätigt, dass er als Zeuge durchsucht wurde. Nach taz-Informationen soll
       die Reichsbürgertruppe Niemeyer angefragt haben, als Bote nach Russland zu
       agieren. Der 53-Jährige erklärte auf seinem Telegramkanal, er habe sich
       „nichts vorzuwerfen“, und sehe die Sache „sehr gelassen“.
       
       Reutlingens Oberbürgermeister Thomas Keck, ein SPD-Mann, lobte das Vorgehen
       der Behörden gegen die Reichsbürgerszene. Das sei „absolut gerechtfertigt“,
       das Gewaltpotenzial müsse man ernst nehmen. „Wer weiß, was hier noch
       schlummert.“
       
       24 Mar 2023
       
       ## LINKS
       
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